Die Toten Hosen in der ČSSR: Konzert für den Frieden 1987 endete in Schlägerei
Am Donnerstag ist es genau 35 Jahre her, dass in Lochotín, einem Stadtteil von Plzeň / Pilsen, das Olof-Palme-Friedenskonzert stattfand – und sich ein Großteil des Publikums eine Schlägerei mit der Polizei lieferte. Eigentlich sollte die Veranstaltung ein weiteres Zeichen der Entspannung zwischen Ost und West sein. Neben tschechoslowakischen Musikern standen auch Auftritte der Toten Hosen sowie der Einstürzenden Neubauten auf dem Programm. Deren Fans gaben aber ihrem Unmut über den ebenfalls mitwirkenden Disco-Sänger Michal David derart nachdrücklich Ausdruck, dass die Sicherheitskräfte einschritten.
Von der „Disco in Moskau“ sangen die Toten Hosen provokativ in den 1980er Jahren. Disco in Pilsen sollte es aber am 15. September 1987 nicht geben. Beim Friedenskonzert, das dem ermordeten schwedischen Premierminister Olof Palme gewidmet war, schien allein die Zusammenstellung des Programms sehr gewagt: Den Auftakt machte eine tschechische Bluegrass-Kapelle. Gleich danach waren die Toten Hosen an der Reihe, die schon zu jener Zeit eine der populärsten westdeutschen Punkrock-Bands waren. Dann traten die ostdeutsche Band NO 55 und der tschechische Popstar Michal David auf. Laut dem Programm sollten die Avantgarde-Band Einstürzende Neubauten aus West-Berlin sowie die bayrische Volksmusik-Formation Haindling folgen sowie abschließend die tschechische Progressive-Gruppe Stromboli und der Popsänger Dalibor Janda.
Im Amphitheater von Lochotín waren unterschiedlichen Schätzungen zufolge 10.000 bis 13.000 Besucher zusammengekommen. Etwa die Hälfte von ihnen seien Fans der beiden westdeutschen Rockbands gewesen, berichtet Miroslav Vaněk, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der tschechischen Akademie der Wissenschaften:
„Es waren mehr als 3000 Punks aus der DDR gekommen und etwa die gleiche Anzahl aus der Tschechoslowakei. Den Rest des Publikums bildeten Fabrikarbeiter, die die Eintrittskarten über die Gewerkschaftsbewegung bekommen hatten und vor allem wegen Michal David da waren.“
Keine Disco in Pilsen
Vaněk vermutet, dass die örtlichen Organisatoren nicht wirklich wussten, welche Art von Bands da aus Westdeutschland anreiste. Das Konzert in Pilsen stand im Zusammenhang mit den Friedensmärschen, die zu der Zeit sowohl im Westen wie auch im Osten abgehalten wurden. Schon eine Woche zuvor hatte es ein paralleles Konzert in München gegeben, ebenfalls mit den Toten Hosen und den Einstürzenden Neubauten. Bedingung der deutschen Organisatoren war es, dass diese beiden Bands auch bei dem Partnerereignis in der ČSSR auftraten.
Allgemein spiegle die Veranstaltung die Entspannung im Kalten Krieg am Ende der 1980er Jahre wider, fährt Vaněk fort:
„Im Jahr 1983 zum Beispiel, als das Vorgehen gegen Punks in der Tschechoslowakei eine neue Welle erreichte, hätte ein solches Konzert nicht geplant werden können. Nun fand es zwar statt, allerdings mit den bekannten Begleiterscheinungen. Dazu muss aber gesagt werden, dass in den Jahren 1987 und danach hierzulande schon Rockfestivals und ähnliche Konzerte organisiert wurden, die sich eben auch an Punks oder Vertreter des Undergrounds richteten. Das zeigt, dass sich die Zeiten entspannten. Die Jahre 1987 bis 1989 waren schon anders als die am Anfang des Jahrzehnts.“
Um 17 Uhr ging das Programm an jenem Dienstag im Spätsommer 1987 los. Die Atmosphäre im idyllischen Amphitheater von Lochotín war gut...
Die Stimmung im Publikum kippte aber, als Michal David mit seiner Band auf die Bühne kam. Der Musiker mit dem Umhängekeyboard war schon damals der Disco-King der ČSSR. Punks hatten für ihn nichts übrig. Nancy, die als eine der Hauptfiguren in dem Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“ von Jaroslav Rudiš das Pilsner Konzert besucht, nennt David in ihrem Tagebuch nur den „nonstop kokot“, also etwa das „Nonstop-Arschloch“. Dies entspricht der Laune, in der sich die Punkfans in Lochotín plötzlich befanden. Es wurde gepfiffen, und auf die Bühne flogen Schotter, Tomaten oder auch die Gummiattrappe einer Granate. Jožka Zeman, der Moderator des Abends, konnte nicht an sich halten:
„Und ich dachte, dass ein Rockpublikum unglaublich friedvoll ist. Dass es für diese Leute um Musik geht. Ist das bei euch so? Ich würde euch gern sonstwohin schicken. Aber im Moment kann ich euch nur zum Würstchenstand schicken. Die vernünftigen Leute hier im Publikum werden eurem Abgang applaudieren. Wenn euch das hier nicht gefällt, bleibt euch nichts anderes übrig, als von hier zu verschwinden.“
Daraufhin griff die Polizei ein, und vor der Bühne entstanden Tumult und Schlägereien. Nicht nur die Toten Hosen, auch die Einstürzenden Neubauten – die noch gar nicht gespielt hatten – wurden mit Bussen und Taxis an die Grenze verfrachtet.
Ein darauf folgender Kommentar im Tschechischen Fernsehen lautete:
„Die Fans der Toten Hosen, provoziert durch die exhibitionistische Darbietung der Gruppe, wollten keine andere Musik mehr hören. Solch ein rüpelhaftes Verhalten lässt sich nur schwer verstehen, vor allem auf einem Konzert mit einer Friedensbotschaft.“
Anders als die Obrigkeiten in der ČSSR sieht Historiker Vaněk die Schuld für die Ausschreitungen heute nicht allein auf Seiten des Publikums. Vielmehr sei diese Episode ein weiteres Beispiel dafür, dass in Wirklichkeit nicht umgesetzt wurde, was das kommunistische Regime proklamierte – in diesem Falle eine Annäherung der Blöcke und mehr kulturelle Offenheit. Damit sei das Friedenskonzert 1987 eben nicht das würdevolle Ereignis gewesen, als das es geplant worden war:
„Es war von Anfang bis Ende eine verpfuschte Aktion, ein dramaturgisches Versagen. Und mit dem Einsatz der Polizei bekam auch der Frieden eins auf die Mütze.“
Einsatz von Schlagstocken und Hunden
Jiří Sutner von der anwesenden Sicherheitspolizei sprach nach dem Konzert davon, dass die Menge offenbar durch reichlich konsumierten Alkohol in Wallung geraten sei. In seiner Erklärung hieß es weiter, Zitat:
„Ja, dies ist die Jugend, die ihren Friedensgefühlen Ausdruck gibt durch riesige Zwecken an ihren Lederjacken, zerrissene Hosen, geschorene Köpfen und Metallketten, die von Toilettenspülungen stammen. Das rechtzeitige entschiedene, aber nicht allzu aufdringliche Eingreifen der Angehörigen der Nationalen Sicherheit stellte aber den ruhigen Verlauf des Konzerts sicher. Im Areal waren mehr als 14.000 Zuschauer anwesend, und alle verurteilten nicht nur das Verhalten der jungen Vandalen, sondern bedankten sich mit Applaus bei uns, den Polizisten, für unsere Arbeit.“
Den von Sutner genutzten Ausdruck eines „entschiedenen, aber nicht allzu aufdringlichen Eingreifens“ der Polizei deutet Historiker Vaněk als einen Hinweis auf den Einsatz von Schlagstöcken und Hunden:
„Dies ist leider das zeitgenössische Kolorit. Ich glaube aber, dass das Vorgehen nicht brutaler war als jenes gegen Underground-Musiker, das wir schon aus dem Jahr 1974 in der ČSSR kennen. Dies waren alles ähnliche Einsätze gegen junge Alternative. Anlass dazu gaben ihre Frisuren, Jeanshosen, metallene Ohrringe und Ketten. Es war absurd. Schon seit dem Ende der 70er Jahre kam es bei solchen Gelegenheiten zu Prügeleien und der Ausweisung von Bands. Ich finde zudem interessant, dass in Pilsen die tschechoslowakischen Künstler, wie etwa Stromboli, das Konzert noch zu Ende gespielt haben.“
So wurde zumindest aus Sicht der Organisatoren noch für die erfolgreiche Beendigung des Konzertes gesorgt. Für das Regime habe sich aber die ideologisch geprägte Vorstellung bestätigt von den jugendlichen Anhängern der Friedensbewegung, resümiert Vaněk:
„Für die Obrigkeit waren die richtigen Jungs und Mädels immer noch die mit der Bügelfalte und den Polyesterkleidern. Hingegen stellten Jeanshosen, T-Shirts von englischen Bands und verschiedenster Körperschmuck immer noch eine Provokation dar. Diese konnte das Regime bis zum Ende seiner Machtausübung nicht akzeptieren.“
Trotz der Nachrichten über die sich ändernden Haltungen nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch in der erwachsenen Bevölkerung, sei die politische Führung der ČSSR am Ende der 1980er Jahre in ihrer Ideologie verhaftet geblieben, fasst der Historiker zusammen. Auch das Friedenskonzert in Pilsen habe gezeigt, dass sie für die neue Zeit einfach kein Verständnis gehabt habe.