Das Schweizerhaus – die inoffizielle tschechische Botschaft in Wien
Das Schweizerhaus im Wiener Prater ist eine legendäre Gaststätte. In ihrem Namen steht zwar die Schweiz, die Tradition der Bierkneipe ist aber mit Böhmen eng verbunden. Seit über 100 Jahren wird sie nämlich von der Familie Kolarik betrieben.
Budweiser Bier, Schweinshaxen, die hier Stelzen genannt werden, und Kartoffelpuffer – das sind die Markenzeichen der Gaststätte unter den Bäumen des Praters:
„Das Schweizerhaus ist ein Biergarten, der mitten in Wien, im grünen Prater situiert ist. Wir haben im Garten zirka 1500 Sitzplätze und innen 850 Plätze. Viele bezeichnen uns als den Biergarten Wiens, das Lokal der Wiener, die hier gerne einen kurzen Urlaub vom Alltag machen.“
Soweit Karl Kolarik. Das Bierlokal Wiens hat tschechische Wurzeln. Es befindet sich seit mehr als 100 Jahren in den Händen der aus Böhmen stammenden Familie Kolarik beziehungsweise Kolařík. Trotzdem sind Karl und seine Schwestern erst in der zweiten Generation die Eigentümer. Karl blickt in die Geschichte zurück:
„Das Schweizer Haus steht seit über 250 Jahren im Wiener Prater. Schon immer gab es hier Gastronomie. Das Haus hat verschiedene Namen gehabt, wie etwa ‚Zur Tabakspfeife‘, weil man rauchen durfte. An der Hauptallee, die nicht weit von hier entfernt ist, war das feinere Publikum, da durfte man nicht rauchen. Später hieß es dann während des Wiener Kongresses ‚Zum russischen Kaiser‘ und kurz auch ‚Zur Meierei‘. Dann gab es einen bekannten Baumeister, der unter anderem die Staatsoper später gebaut hat, Eduard van der Nüll. Er hat hier um 1840 ein Haus im Schweizer Stil errichtet. Seitdem hat der Betrieb den Namen ‚Schweizerhaus‘. Und seit damals gibt es hier auch tschechisches Bier. Es waren hier viele Betreiber, die aus Tschechien gekommen sind: Jan Gabriel aus Pilsen, Jan Straßnitzky und dann die Familie Kolarik seit dem Jahr 1920.“
1920: Karl Kolarik übernimmt Schweizerhaus
Es war Karel Kolařík, der Vater der heutigen Besitzer, der 1920 das Lokal übernahm. Er musste volljährig gesprochen werden, um es betreiben zu dürfen.
„Es sei eine schwierige Zeit gewesen, hat er erzählt. Es gab die Weltwirtschaftskrise, die großen Inflationen, die Arbeitslosigkeit. Und dann den Zweiten Weltkrieg, in dem das Schweizerhaus abgebrannt ist. Das, was Sie heute hier sehen, ist neu aufgebaut – erst nach 1945.“
Dies sei nur mit dem Fleiß seines Vaters und seiner Mutter möglich gewesen, sagt der Sohn.
„Und mit sehr viel Optimismus. Er hat eigentlich Schulden gehabt, bis er 65 Jahre alt war. Aber er hat nie die Zuversicht verloren, dass es aufwärts gehen wird. Und das hat er auch geschafft.“
Der Betriebsgründer starb 1993. Seit 1996 heißt der Weg vor dem Lokal nach ihm Karl-Kolarik-Weg.
Ende September haben sich mehrere hundert Gäste im Schweizerhaus versammelt, um das 150. Gründungsjubiläum des tschechischen Schulvereins Komenský zu feiern. Der Wiener Landtagspräsident Ernst Woller bezeichnete das Gasthaus bei diesem Anlass als inoffizielle tschechische Botschaft in Wien. Karl Kolarik freut sich über die Bezeichnung:
„Das ist ein lustiger Vergleich. Durch unsere tschechischen Wurzeln haben wir immer wieder sehr viele Leute aus Tschechien bei uns angestellt. Es ist über die Jahrzehnte eine Nähe entstanden. Auch haben wir noch Verwandtschaft in Südböhmen. Das ist gewachsen. Und das ist etwas sehr Positives in einem Gastronomiebetrieb, der gastfreundlich zu sein hat. Und es ist auch schön, wenn man über die Landesgrenzen hinaus leben kann.“
Lydia Kolarik ist Tochter des Unternehmensgründers und Miteigentümerin:
„Ich bin stolz, dass unsere Vorfahren – unsere Eltern und Großeltern – auch den Schulverein unterstützt haben. Das war in der Zeit der Monarchie. Ich durfte auch Tschechisch lernen, acht Jahre lang, und bin froh, dass ich heute die Sprache des Nachbarn kann. Zu uns kommen viele Gäste aus Tschechien, die Verwandten – und umgekehrt fahre ich oft ins Land.“
Tschechische Wurzeln
Und wo liegen also die Wurzeln der Familie? Karl Kolarik:
„Mein Großvater ist aus Südböhmen auf der Walz gewesen. Er war in Augsburg, in München und ist hier in Wien hängen geblieben. Das war in etwa 1895. Mein Vater wurde dann schon in Wien geboren. Er war Jahrgang 1901.“
Schwester Lydia Kolarik ergänzt:
„Meine Großeltern stammen aus Jihlávka in Südtschechien. Sie haben sich in Wien kennengelernt, das war um 1900, in einem Lokal hier im Prater. Dann wurde ein Jahr später mein Vater geboren, Karl Kolarik oder Karel Kolařík.1920 hat er das Schweizer Haus übernommen und hier die böhmische Kultur weitergeführt, mit böhmischer Musik. Es gab immer den tschechischen Hintergrund. Obwohl mein Vater in Wien geboren wurde, haben seine Eltern mit ihm Tschechisch gesprochen. Ja, und dann sind wir gekommen, mein Bruder, meine Schwester und ich – das war nach 1945. Und wir kamen auf die tschechische Schule.“
In der Familie wurde überwiegend Deutsch gesprochen, da Mutter Else kein Tschechisch konnte. Die Kinder haben aber acht Jahre lang die tschechische Komenský-Schule besucht. Sie seien direkt im Prater aufgewachsen, erinnert sich Lydia:
„Nach dem Krieg war alles zerstört. 1945 war der Krieg aus, mein Vater ist aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, und meine Mama Else Kolarik hat das wieder aufgebaut. Da war gar nichts. Wir haben in Holzhütten gewohnt. Und es gab hier einen Riesenradwaggon, der überflüssig war. So hat es begonnen. Langsam wurde das alles wieder aufgebaut, so wie in früheren Zeiten, eine Schauküche, aber alles aus Holz. Bis dann mehr Geld da war und investiert wurde. Mittlerweile ist alles schon gemauert, und wir sind fest hier.“
Budweiser Bier und böhmische Küche
Seit Mitte der 1920 Jahre wird im Schweizerhaus das Bier aus České Budějovice / Budweis, also das Budvar gezapft. Während einer Reise nach Böhmen kaufte Karl Kolarik spontan eine ganze Wagenladung Budweiser und brachte sie nach Wien, wo das Bier reißenden Absatz fand. Lydia erzählt die Familiengeschichte dazu:
„Mein Vater und mein Großvater waren auf einer Reise über Prag nach Budweis. Da waren sie in einem Lokal, tranken das Bier und fanden es gut. Sie haben sehr viel getrunken, jeder hat extra bezahlt, damit der andere nicht weiß, wie viele Krügel es waren. Es waren weit über zehn Krügel. Und am nächsten Tag haben sie kein Kopfweh gehabt, nichts. Sie sind wieder in das Gasthaus gegangen und haben den Kellner nach dem Bier gefragt. Na Budweiser. Und seitdem wurde das importiert. Damals mit der Bahn, später haben wir das mit dem Lkw geholt, und bis heute wird es in Fässern ins Schweizer Haus gebracht.“
Laut Karl Kolarik pflegte sein Vater immer intensive Kontakte mit der Brauerei in der südböhmischen Stadt:
„Er war fest von der Qualität des Bieres überzeugt, so wie wir es auch heute noch sind. Die persönliche Verbindung blieb immer bestehen. Und es gab schwierige Zeiten, das kommunistische System wollte eigentlich gar nicht in die kapitalistischen Länder exportieren. Es war sehr mühselig, das Bier zu bekommen. Aber mein Vater war von der Qualität so überzeugt, dass er diese schweren Jahre durchgedrückt hat. Heute ist die Zusammenarbeit mit der Budweiser Brauerei exzellent.“
Und beim Zapfen des Biers befolge man ein bewährtes Muster, fügt der Gastwirt hinzu:
„Bei uns steht das Fass mindestens eine Woche bei vier Grad im Keller. Wir zapfen so wie früher in Tschechien und in Österreich – also langsam, vorschenken, Pause, nachschenken, Pause, zapfen, fertigzapfen. Und diese Qualität macht sich bemerkbar.“
Neben dem Bier aus Böhmen werden auch traditionelle Gerichte aus dem Nachbarland serviert. Lydia Kolarik:
„Wir haben böhmische Küche. Nach dem Krieg war nichts da, wir hatten nur Erdäpfel, also Kartoffeln. Und so haben sie Erdäpfelpuffer und die Rohscheiben gemacht. So wurde das Geschäft aufgebaut. Wir servieren Budweiser Bier, zudem dršťková (Kuttelflecksuppe, Anm. d. Red.), die Stelze, Powideltaschen, Mohnnudeln, also Spezialitäten aus der Zeit der Monarchie. Wir bewahren in diesem Sinne die Tradition.“
Dritte Generation Kolarik
Und die Familientradition werde auch weitergegeben, sagt Karl.
„Zwei von unseren drei Kindern arbeiten schon seit vielen Jahren im Schweizer Haus, haben ihre Erfahrung im Ausland gemacht und wollen den Betrieb übernehmen.“
Lydia ergänzt:
„Ja, mein Neffe und meine Nichte sind schon im Betrieb. Es setzt sich also fort. Es ist ein Familienbetrieb, und das wissen auch unsere Gäste zu schätzen. Immer ist jemand von der Familie im Betrieb, wir sind immer da für unsere Gäste.“
Das Schweizerhaus hat 80 Prozent Stammgäste. Die Saison beginnt dort am 15. und 16. März, wobei die Gruppe Motovidlo aus Prag sowie eine österreichische Blasmusikkapelle beim Eröffnungsfest für Stimmung sorgen. Aber jetzt steht am 30. und 31. Oktober erst einmal der Saisonschluss bevor – und das auch wieder mit zwei Tagen Musik. Unter dem Jahr werde hingegen nur selten Musik gespielt, sagt Lydia. Denn…
„Die Leute unterhalten sich gerne bei uns. Wenn sie die Gäste anschauen: Sie schauen nicht aufs Handy oder in den Laptop – nichts, sondern sie schauen. Sie schauen Menschen an, sie lachen, sie sitzen, sie essen. Und das ist einfach schön. Man kommuniziert hier miteinander.“