In einem selbst die ganze Welt – Im Gespräch mit Nils Frahm
Der Pianist Nils Frahm hat sich in den letzten zehn Jahren zu einer zentralen Figur in der deutschen Electronic-Szene entwickelt. Der 40-Jährige verbindet atmosphärische Raumklänge mit Improvisationen, und besonders seine Livekonzerte sind weltweit berüchtigt und gut besucht. Am vergangenen Donnerstag spielte Frahm eines dieser Konzerte beim Festival Prague Sounds im Forum Karlín. Kurz davor entstand folgendes Gespräch mit ihm über sein neuestes Album, das bevorstehende Konzert und das Musizieren in Krisenzeiten.
Nils, Dein neues Album „Music for Animals“ ist besonders atmosphärisch, und Du hast es gewagt, sehr lange Stücke zu komponieren. Wie ist bis jetzt Deine Live-Erfahrung mit den neuen Songs? Wie gut und auf welchem Weg gelingt es Dir, das Publikum mitzunehmen?
„Die Anpassungen für die Livepräsentation betreffen meist die Lautstärkendynamik. Meiner Erfahrung nach sind große Dynamiksprünge in Studioproduktionen oft eher schwer zu verkraften. Ich glaube, das ist auch der Grund dafür, dass zu Hause wenig Klassik gehört wird. Man weiß nie, wie laut man die Anlage drehen soll: Da kommt das laute Fortissimo, bei dem man sich nicht mehr angenehm unterhalten kann, also dreht man die Musik runter. Der Rest läuft dann aber wiederum viel zu leise weiter. Beim Konzert haben die Hörer keine Kontrolle, was ja auch ganz angenehm sein kann. Ich funktioniere da sozusagen als Schamane, der die Lautstärke vorgibt. In dem Moment kann ich sehr viel mehr Dynamik wagen als auf dem Album, wo alles vor sich hinfließt. Wenn das beim Konzert so wäre, würden wohl alle einschlafen – mich eingeschlossen.“
Wenn ich experimentelle elektronische Musik oder modernen Jazz höre, habe ich oft das Gefühl, mir würde Konzentration abverlangt. Es fühlt sich manchmal falsch an, sich einfach schweifen zu lassen. Hast Du bei Deinem neuen Album eine Vorstellung davon, mit welcher Rezeptionshaltung die Stücke gehört werden sollen?
„Wenn wir uns als Musiker auch noch aussuchen könnten, wie die Leute unsere Musik hören, hätten wir natürlich gewisse Vorteile. Man muss damit leben, dass das Produzierte auf allen möglichen Wegen gehört wird – im Fahrstuhl, beim Staubsaugen, aus dem Baustellenradio. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass meine Stücke über Stereoanlage, also auf mindestens zwei Lautsprechern gehört werden. Heute werden ja meistens Bluetooth-Boxen benutzt. Wenn man sich genau zwischen den Stereoboxen positioniert, ist das gut (lacht). Ich erkläre das so ausführlich, weil ich finde, dass man die Frage schon ernst nehmen muss. Alles weitere – also zu welcher Tageszeit oder in welchem Zustand man das Album hört – bleibt dann jedem selbst überlassen. Meine Erfahrung ist: Wenn man dem Album konzentriert zuhört, schweift man sicherlich auch mal ab. Erwartungshaltungen werden aufgebaut und laufen dann ins Leere, das ist also ganz natürlich. Dann kommt ein Punkt, an dem man wieder auf die Musik aufmerksam wird, auch wenn man vergessen hat, wo man eigentlich war. Ich finde es insgesamt ganz gut, dass man die Musik nicht überblicken kann.“
Es ist ja nicht Dein erstes Konzert in Prag. Wie würdest du deine Erfahrung mit der Stadt und dem Publikum beschreiben? Mit welchen Erinnerungen und Gefühlen bist Du hier?
„Zu Prag hatte ich schon immer eine positive Beziehung, weil es hier gute Netzwerke gibt, die Musikformen wie die meine unterstützen. Die Konzerte in Prag liefen immer gut. Schön ist auch, dass man sich in Tschechien nicht zwischen so vielen Städten entscheiden muss. In Polen zum Beispiel würde man als ersten Ort für ein Konzert an Warschau denken, das stimmt so aber gar nicht. Die Kulturhauptstädte dort sind eher Danzig oder Katowice, und man muss viele verschiedene Konzerte planen. Hier in Tschechien haben wir immer das Gefühl: Einmal in Prag spielen, und alle sind da und freuen sich. Das waren immer rauschende Feste vor einem Publikum, das wirklich abgeht.“
Als Künstler, der die Veranstaltungsorte bewusst auswählt und eine intimere Konzertatmosphäre bevorzugt: Welchen Eindruck hast Du bis jetzt vom Forum Karlín?
„Die Fläche ist recht groß. Das bedeutet, dass man ganz hinten vielleicht nicht mehr genau mitbekommt, was ich auf der Bühne mache. Außerdem ist der Boden hinten nicht erhöht. Das ist mir beides nicht super wichtig, aber dennoch wäre es eigentlich schön, wenn der Raum sich zum Beispiel nach oben öffnete, damit jeder die Verbindung zur Bühne unmittelbar spürt. Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir einen sehr schönen Abend haben werden, zumal die Anlage sehr gut und die Ausstattung brandneu ist. Bei Multifunktionshallen wie dieser müssen wir natürlich immer einige Anpassungen vornehmen. Der Soundcheck war etwas länger, weil einige Teile der Bühne geklappert haben. Ich denke, bei solchen Venues liegt es vor allem an einem selbst, es allen gemütlich zu machen. Dafür haben wir einen tollen Lichttechniker und unsere Soundcrew dabei, die es gemeinsam schaffen, an jedem Ort eine Wohnzimmeratmosphäre herzustellen.“
Wir befinden uns in einer Zeit, in der dauerhaft von Krisen und einer überkomplexen Welt die Rede ist. Nimmst Du das Komponieren und Musizieren eher als Austausch mit der Umwelt und Verarbeitungsform wahr, oder ist es für Dich ein Weg, Dich auf Dich selbst und Dein unmittelbares Umfeld zu konzentrieren?
„Musik ist eine Art von Insel, auf die man sich retten kann. Sie kann – vergleichbar mit Sport – als Ablenkung funktionieren. Das ist die eine Möglichkeit. Auf der anderen Seite kann Musik auch Auseinandersetzung und Konfrontation bedeuten. Sie ist eine Sprache, mit der man alles Mögliche versuchen kann. Mein Ansatz ist der Versuch, möglichst wenig von der Musik zu wollen. Ich versuche ihr eher zu ‚dienen‘, ihr ihre Entstehung zu ermöglichen. Ich will bei der Komposition, Dingen, die organisch passieren, nicht im Weg stehen. Das bedeutet, stellenweise loslassen zu müssen, und das ist nicht immer angenehm. Ich scheitere dann teilweise, und es fehlen auch mal Ideen. Der Prozess ist also einfach eine Spiegelung meiner selbst. Und in einem selbst steckt ja auch immer die ganze Welt. Was einem – sei es gut oder schlecht – passiert, wird immer mit ins Studio und in die Musik getragen. Und ich denke, das ist auch völlig ok.“
„Music for Animals“ ist doch zumindest zum Teil in Pandemie- und Lockdownzeiten entstanden. Inwiefern hat das in Deiner Wahrnehmung eine Rolle für den Kompositionsprozess gespielt? Merkt man die Entschleunigung?
„Ich denke schon, dass das Album dahingehend eine Spiegelung ist. Es war eine Zumutung, plötzlich nicht mehr zu wissen, was morgen passiert. Es wurde unmöglich, Konzerte zu planen. Das alles war letztendlich wie auf der Platte: Es wurden Erwartungen aufgebaut, die dann unerfüllt blieben. Man dachte: Wird es schlimmer oder besser? Nichts passierte. Dann wartete man wieder eine Woche – immer noch kein Antworten. Ich glaube, in dieser Plan- und Orientierungslosigkeit war es wichtig, etwas zu schaffen, das dem entspricht. Es war eine kleine Rache am Schicksal. Ich dachte: Wenn die Welt mir den Stecker zieht und mir jegliche Planungsmöglichkeiten verwehrt, dann bewege ich mich eben kein Stück. Alle sitzen jetzt hier mit mir und hören sich das Gleiche im Kreis an, denn ehrlicherweise war das ja die Situation. Ich hätte es albern gefunden, zu dieser Zeit an einem Club-Track zu arbeiten und mir dabei eine schwitzende, feiernde Meute vorzustellen. Denn man wusste ja nicht, ob das jemals wieder passieren kann. Deswegen war das eine spannende Zeit, um nach einer Klangtapete zu suchen, die in diesen Raum passt, in dem wir alle waren.“