Tod oder Rücktritt: Wie die Präsidenten der Tschechoslowakei aus dem Amt schieden
Die Präsidentschaftswahl in Tschechien wurde an diesem Wochenende mit der Stichwahl entschieden. Am 8. März wird Miloš Zeman also nach zehn Jahren in der Funktion als Staatsoberhaupt abgelöst. Eine solche reguläre Mandatsübergabe gab es hierzulande während des gesamten 20. Jahrhunderts nicht. Alle neun Präsidenten der Tschechoslowakei schieden entweder durch Rücktritt oder durch Tod frühzeitig aus dem Amt aus.
In der Tschechoslowakei wechselten sich in der Zeit ihres Bestehens von 1918 bis 1992 insgesamt neun Männer im Präsidentenamt ab. Es ist ein interessantes Phänomen, dass keiner von ihnen sein Mandat regulär zu Ende geführt hat. Die meisten der neun Staatsoberhäupter sind vor Auslaufen der jeweils letzten Amtszeit gestorben oder traten – häufig auch aus gesundheitlichen Gründen – zurück.
So war es beim ersten Präsidenten und Republikgründer, Tomáš Garrigue Masaryk. Er war bereits 68 Jahre alt, als er erstmals antrat, und bekam in den 17 Jahren seiner Amtsausübung vom Volksmund den Beinamen „Tatíček“ (Väterchen). Wegen seines hohen Alters und der zunehmend schlechten Gesundheit sei Masaryks gesamte Regierungszeit auch immer mit der Frage eines möglichen Nachfolgers verbunden gewesen, sagt Michal Stehlík. Der stellvertretende Generaldirektor des Prager Nationalmuseums erläutert, dass die Mehrheit für Masaryks Wunschkandidaten Edvard Beneš noch nicht gesichert gewesen sei. Deswegen habe sich das „Väterchen“ mit 84 Jahren noch einmal selbst wählen lassen:
„In den Monaten danach war Masaryks Umfeld nur damit beschäftigt, Benešs Wahl nach der möglichen Abdankung Masaryks sicherzustellen. Schon beim Ablegen des Eides musste sich Masaryk soufflieren lassen, was die ganze Nation im Tschechoslowakischen Rundfunk mithörte. Die Lage war also nicht einfach und sein Gesundheitszustand schon sehr schlecht. Masaryk hatte Probleme beim Reden und konnte sich kaum konzentrieren.“
Als Masaryk am 14. Dezember 1935 dann zurücktrat, gelang auch die Wahl von Edvard Beneš zum neuen Staatsoberhaupt. Das „Väterchen“ blieb auf Schloss Lány noch als beobachtender Berater und vom Volk verehrte Autorität wohnen. Masaryk starb am 14. September 1937, und sein Staatsbegräbnis wurde eine beeindruckende nationale Manifestation.
Für Edvard Beneš hingegen kam kurz darauf schon das vorläufige politische Ende – nämlich mit dem Münchner Abkommen von 1938. Jan Dobeš ist Historiker an der Prager Karlsuniversität:
„Für Beneš war München eine politische und menschliche Tragödie. Denn das Werk, dem er sein ganzes politisches Leben gewidmet hatte – die Tschechoslowakei in Form von 1918 – brach zusammen. Seine Beziehungen zu den Verbündeten waren unzureichend, und auch der innere Zusammenhalt des Staates schien nicht so stark zu sein, wie man dachte. Nach München veränderte sich schnell die Atmosphäre in der Gesellschaft und im Staat. In dieser Lage war es für Beneš nicht vorstellbar, in der Funktion zu verbleiben.“
Darum trat der zweite Präsident der Tschechoslowakei am 5. Oktober 1938 zurück. Folgende Worte richtete er per Rundfunk an das Volk:
„Als überzeugter Demokrat glaube ich, dass es richtig ist zu gehen. Ich verlasse das Schiff nicht im Sturm – im Gegenteil, in diesem Moment ist mein politisches Opfer notwendig. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Pflicht vergessen würde, als Bürger und Patriot weiterzuarbeiten.“
Während Beneš die Exilregierung in London führte, wurde in Prag der 66-jährige Emil Hácha als tschechoslowakischer Präsident von deutschen Gnaden eingesetzt. Nicht nur der große psychische und moralische Druck machte Hácha zu schaffen, auch sein Befinden verschlechterte sich in den folgenden Jahren rapide. Da es für die deutschen Besatzer keinen geeigneten Ersatz gegeben habe, hätten sie Hácha selbst in einem kritischen Gesundheitszustand im Amt gehalten, berichtet Jan Dobeš. So sei es zu unwürdigen Szenen gekommen, wie etwa eine gänzlich kraftlose Rundfunkansprache zum 5. Jahrestag der Gründung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ 1944. Fünf Jahre seien für eine Nation eine kurze Zeit – für den Zusammenbruch einer Generation reiche allerdings noch weniger, proklamierte Hácha, bevor er sich im folgenden Satz verliert und ein Mitarbeiter dankend die Ansprache beendet.
Kraftlose Radioansprache
Als der Zweite Weltkrieg etwa ein Jahr später vorbei war, wurde Hácha festgenommen. Er starb kurz darauf, Ende Juni 1945, im Gefängnis im Prager Stadtteil Pankrác. In die erneuerte Tschechoslowakei kehrte Edvard Beneš als Präsident aus dem Exil zurück. Aber auch diesmal konnte er sein Demokratieprojekt nicht lange fortführen. Zwei Jahre und zehn Monate war Beneš vor dem Münchner Abkommen im Amt gewesen, und zwei Jahre und zehn Monate sollte auch seine Regierungszeit nach 1945 dauern.
Denn nach ihrer Machtübernahme im Februar 1948 lauerten die Kommunisten darauf, wann der demokratische Präsident abtreten würde. Als Beneš sich weigerte, die neue Verfassung zu unterschreiben, war der Moment gekommen, an dem er das Amt nicht mehr halten konnte. Seinen Rücktritt am 7. Juni 1948 begründete Beneš nach Absprache mit der kommunistischen Führung allerdings mit gesundheitlichen Problemen. Tatsächlich starb er schon drei Monate später.
Mit Klement Gottwald, dem ersten kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei, begann eine lange Phase, in der das Amt an Bedeutung einbüßte und hinter dem Agieren der Parteiführung zurücktrat. Gottwald selbst sei in den Jahren der Schauprozesse und Todesurteile gegen die eigenen Genossen voller Furcht gewesen, führt Michal Stehlík aus und nennt den Kader deswegen einen „Präsidenten der Angst“. Druck und Gehorsam hätten dann auch zu Gottwalds recht frühem Tod mit 56 Jahren geführt. Der Präsident flog nämlich, entgegen der ärztlichen Ratschläge, im März 1953 zum Begräbnis von Josef Stalin nach Moskau…
„Angesichts seiner jahrelangen Krankheit – einer erweiterten Aorta, hervorgerufen durch eine Geschlechtskrankheit und Alkoholismus – wurde sein Ende noch beschleunigt. Gottwald war schon lange in Behandlung und stand unter der Beobachtung tschechoslowakischer Spitzenärzte. Der Flug nach Moskau und zurück rief eine weitere Krise hervor, und eine Woche später starb er.“
Ungeliebtes Präsidentenmausoleum
Gottwald mag am 14. März 1953 relativ unerwartet gestorben sein – die Partei aber war auf solche Fälle vorbereitet. Automatisch ging die Funktion auf den Regierungsvorsitzenden und Gottwald-Mitarbeiter Antonín Zápotocký über. Aber auch dem damals 69-Jährigen war keine lange Amtszeit beschert. Er starb am 19. November 1957. Noch vor seinem Tod hatte Zápotocký jedoch eine wichtige Entscheidung getroffen. Denn kurz zuvor war das Präsidentenmausoleum auf dem Prager Vítkov-Hügel etabliert worden, in dem Gottwald aufgebahrt lag. Stehlík erläutert:
„An Zápotockýs Ableben ist interessant, dass zu der Zeit zwar noch das Mausoleum in Betrieb war. Im Archiv gibt es aber ein Protokoll, aus dem hervorgeht, dass Zápotockýs Leichnam auf seinen eigenen Wunsch hin eingeäschert wird. Dem ist ein Satz angefügt, dass Antonín Zápotocký zu seinen sterblichen Überresten und dem Mausoleum seine eigene Meinung habe. Er habe klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht den Personenkult von Lenin und Gottwald weiterführen wolle.“
Auch auf Zápotocký sollte eigentlich der aktuelle Regierungsvorsitzende, konkret Viliam Široký, ins Präsidentenamt folgen. Doch die Moskauer Führung wollte es anders. Nach Chruschtschows Anweisung trat Antonín Novotný am 19. November 1957 auf der Prager Burg an. Dort blieb er gut zehn Jahre lang – bis im Prager Frühling die Politkader auf höchster Ebene ausgetauscht werden mussten. Novotný sei in der Zeit der politischen und kulturellen Öffnung zur Persona non grata geworden und gegenüber der Bevölkerung nicht mehr haltbar gewesen, führt Stehlík aus. Er habe aber hartnäckig an seinem Posten festhalten wollen:
„Novotný wollte das Präsidentenamt nicht verlassen. So wurde er nach und nach durch den Druck in der KPTsch hinausgedrängt. Aufgrund seiner eigenen Parteifunktion bemühte er sich noch um Rückhalt aus Moskau und wollte Breschnew nach Prag holen. Dieser hielt das Ganze aber für eine interne Angelegenheit und empfahl den Pragern mit leichter Drohung, sie selbst zu lösen. Novotný fand also nicht einmal bei ihm Unterstützung, und das war sein definitiver Fall.“
Am 22. März 1968 wurde die Öffentlichkeit also informiert, dass Antonín Novotný sich mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand in den Ruhestand begibt. Von diesem hatte der Geschasste dann immerhin noch sieben Jahre lang etwas.
Austausch der Politkader im Prager Frühling
Nun übernahm der 72-jährige Ex-General Ludvík Svoboda. Er musste als Präsident die Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen mittragen. Als Gegenleistung dafür konnte er zumindest die in Moskau festgesetzten tschechoslowakischen Regierungsmitglieder wieder nach Hause bringen. Das verschaffte ihm in Partei und Bevölkerung ein gewisses Ansehen.
Aber auch Svoboda war nicht bei bester Gesundheit. Nach einem Hirnschlag plante er, sein Amt mit der ersten Legislatur auslaufen zu lassen. Diesmal hatte die Parteiführung aber keinen Nachfolger parat, sondern plagte sich mit internen Personalkämpfen. Also wurde Svoboda überredet weiterzumachen. Im April 1974 erlitt er eine Lungenembolie, auf die weitere Hirnschläge und der Fall ins Koma folgten. Der Historiker und Husák-Biograf Michal Macháček fährt fort:
„Den Erinnerungen seiner Tochter Zoe zufolge wollte Svoboda schon vorher seinen Rücktritt erklären. Dies wurde zurückgewiesen – unter anderem, weil Gustav Husák das Amt für sich gewinnen wollte. Dies hatte er aber noch nicht ausgehandelt. Also wurde der kranke Präsident vom Föderationspremier Lubomír Štrougal vertreten, bis Ende Mai 1975 von der KPTsch eine Verfassungsänderung beschlossen wurde. Dort wurde folgende Ergänzung hinzugefügt: In dem Fall, dass der Präsident länger als ein Jahr lang nicht in der Lage ist, sein Amt auszuführen, kann das Parlament einen neuen Präsidenten wählen.“
Dies geschah am 28. Mai 1975, als mit Gustav Husák der letzte kommunistische Präsident der Tschechoslowakei bestimmt wurde. 14 Jahre lang hielt er sich, bis die Samtene Revolution kam. Macháček beschreibt die paradoxe Lage des damals 76-Jährigen:
„Husák berichtete später, dass er nicht wirklich wusste, was vor sich ging. Auf der Burg war er von den wichtigsten Informationen abgeschnitten. Trotzdem war er ja immer noch Präsident, und die Funktion gewann zu der Zeit an Bedeutung. Er musste wichtige Zeremonien ausführen, die Regierung ernennen oder Begnadigungen aussprechen. Husák begriff dies zwar als Erfüllung der Vorgaben der zentralen Parteiorgane. Trotzdem hatte er die Möglichkeit, eine wichtige Rolle zu spielen. Dies kam zum Ausdruck, als er sich nach dem 17. November 1989 weigerte, öffentlich zurückzutreten und die Verhältnisse zu befrieden.“
Es fiel Gustav Husák noch zu, einen neuen Premier zu ernennen. Mit seiner Entscheidung für den Slowaken Marián Čalfa beschloss er indirekt auch die Wahl zwischen seinen beiden möglichen Nachfolgern: Es war nämlich Usus, dass die beiden Ämter des Premiers und des Präsidenten paritätisch unter Tschechen und Slowaken aufgeteilt wurden. Mit Čalfa als Regierungschef geriet nun der Favorit für die Präsidentenfunktion, der Slowake Alexander Dubček, ins Hintertreffen – und an die Reihe kam Václav Havel.
Husák trat am 10. Dezember 1989 zurück, Havel übernahm am 29. Dezember. Er war der letzte Präsident der Tschechoslowakei, und auch er legte sein Mandat vorzeitig nieder. Am 17. Juli 1992 teilte Havel mit:
„Liebe Mitbürger, in den heutigen Mittagsstunden hat Kanzler Karel Schwarzenberg der Föderalversammlung meinen Brief übergeben, in dem ich erkläre, dass ich am 20. Juli um 18:00 vom Amt des Präsidenten der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik zurücktrete. Zu diesem Schritt habe ich mich nach reifer Überlegung entschlossen. Mich führt dazu die Erkenntnis, dass ich die Verpflichtungen, die aus dem Treueeid auf die Tschechische und Slowakische Föderative Republik und ihrer Verfassung folgen, nicht weiter auf eine Weise ausführen kann, die im Einklang mit meinem Wesen, meinen Überzeugungen und meinem Gewissen stünde.“
Anlass für seinen Rückzug war das Auseinanderfallen der Tschechoslowakei. Als erstes Staatsoberhaupt der neu entstandenen Tschechischen Republik konnte Havel allerdings den eigenartigen Fluch beim Abgang der Präsidenten durchbrechen. Sowohl er als auch Václav Klaus und Miloš Zeman haben ihre jeweiligen zwei Amtszeiten bis zur regulären Wahl eines Nachfolgers ausgeübt.