Der umstrittene Präsident: Miloš Zeman bilanziert seine Amtszeit und seine politische Karriere
Der Tschechische Rundfunk hat am Sonntag in seinen Inlandssendungen ein Interview mit Präsident Miloš Zeman ausgestrahlt. Ein Teil des Gesprächs dreht sich um die Bilanz des tschechischen Staatsoberhauptes – und zwar sowohl seiner zwei Amtszeiten an der Spitze des Staates, als auch seiner über 30 Jahre langen politischen Karriere.
Wenn Miloš Zeman gegenüber öffentlich-rechtlichen Medien in Tschechien ein Interview gibt, dann muss sich der fragende Journalist auf einiges gefasst machen. Zum Beispiel auf fast schon beleidigende Reaktionen des 78-jährigen Staatsoberhauptes. Das war auch bei jenem Interview der Fall, das der Tschechische Rundfunk am Sonntag ausgestrahlt hat. Nach knapp sieben Minuten weist Zeman den erfahrenen Rundfunkredakteur Tomáš Pancíř auf die ihm sehr eigene Weise zurecht:
„Herr Redakteur, Sie sind wahrscheinlich ein Anfänger. Sie haben fast zehn Minuten für nur eines von mehreren Dutzend Themen verplempert, die Sie mit mir besprechen wollen. Sollten Sie in diesem Tempo weitermachen, befürchte ich, dass wir nicht zum Wichtigsten kommen werden.“
Worauf Tomáš Pancíř antwortet:
„Herr Präsident, das Tempo hängt nicht nur von dem ab, der die Fragen stellt, sondern auch von jenem, der antwortet. Und vielleicht höre ich auch gerne die Antworten auf meine Fragen, ob ich nun Anfänger bin oder nicht…“
In diesem Ton bietet das Interview einige Meinungswechsel. Trotz Zemans Zweifel gelangen er und Redakteur Pancíř aber zu einer Bilanz nicht nur der beiden Amtszeiten, sondern sogar der gesamten politischen Karriere des Staatspräsidenten. Diese dauerte 32 Jahre lang. Und ab März, wenn sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin die Amtsgeschäfte übernimmt, wird Miloš Zeman nicht mehr aktiv in der Politik tätig sein, sondern sich zur Ruhe setzen. Im Interview unterteilt er seine politische Karriere in drei Phasen.
Phase eins: der Vorsitz in der Sozialdemokratischen Partei Tschechiens (ČSSD). Zeman übernahm 1993 dort die Führung – und schreibt sich ihren damaligen Aufstieg zur Volkspartei zu.
„Ein Erfolg war, dass die Partei innerhalb von fünf Jahren von sieben Prozent Wählerunterstützung auf 32 Prozent gekommen ist. Ein Misserfolg ist, dass ich einen sehr schwachen Nachfolger ausgewählt habe. Die Lehre daraus: Nächstes Mal sollte ich nicht dem feudalen Brauch unterliegen, meinen politischen Erbfolger zu bestimmen, sondern dies den Mitgliedern der jeweiligen Partei überlassen“, so Zeman.
Zur Erläuterung: 2001 übernahm Vladimír Špidla den Vorsitz bei den tschechischen Sozialdemokraten. Allerdings wurde er damals in sein Amt gewählt und nicht von Zeman ernannt.
Zemans Fehleinschätzung von Putin
Als Phase zwei bezeichnet Zeman in dem Interview seine Zeit als tschechischer Premier. Dabei rechnet er sich mehrere Dinge positiv an:
„Als Erfolge in meiner Zeit an der Spitze der Regierung halte ich die Verwaltungsreform mit dem Entstehen der selbstverwalteten Kreise, die Professionalisierung der tschechischen Armee und die Privatisierung der Banken. Außerdem ist Tschechien in meiner Amtszeit als Premier der Nato beigetreten, das Atomkraftwerk Temelín ging ans Netz, und das Defizit im Staatshaushalt – abgesehen von den Verlusten der Konsolidierungsagentur – lag nur bei zehn Milliarden Kronen.“
Zehn Milliarden Kronen sind heute umgerechnet rund 410 Millionen Euro. Ende November dieses Jahres lag das Defizit im tschechischen Staatshaushalt übrigens bei 337 Milliarden Kronen (13,8 Milliarden Euro).
Als seinen Misserfolg als Ministerpräsident nennt Zeman den mangelnden Kampf gegen die Korruption.
Phase drei ist in seiner Interpretation die Zeit als tschechisches Staatsoberhaupt. 2012 wurde Zeman zum ersten direkt gewählten Präsidenten des Landes. Fünf Jahre später wurde er im Amt bestätigt, obwohl er als kontrovers galt und bis heute gilt. Und seine Erfolge?
„Ich habe mich in den zehn Jahren vor allem darum bemüht, unsere nationalen Interessen zu verteidigen. Wenn man nicht sagt, was man sich darunter vorstellt, ist das natürlich nur eine hohle Phrase. Wir sind eine kleine, offene Volkswirtschaft, bei der der Export zu 80 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Deshalb halte ich für das nationale Interesse Tschechiens – und das hängt mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und mit dem Lebensstandard zusammen –, unsere Unternehmer, inklusive Exporteure, zu unterstützen. Das heißt, mein Interesse ist die Wirtschaftsdiplomatie. Und in den zehn Jahren habe ich mehrere hundert Aktionen dieser Art unternommen“, bilanziert der Staatspräsident.
Sein Misserfolg sei wiederum, nicht große politische Kreise von der Notwendigkeit der Wirtschaftsdiplomatie überzeugt zu haben, so Zeman weiter. Tatsächlich hat Miloš Zeman sein Anliegen sehr weit getrieben. Petr Hartman ist Kommentator des Tschechischen Rundfunks. Er sagt zu diesem Thema:
„Miloš Zeman hat die Parole der Wirtschaftsdiplomatie ausgegeben. In diesem Zusammenhang ist er sehr weit auf Russland und China zugegangen. Es lässt sich sagen, dass er damit der tschechischen Diplomatie das Leben deutlich erschwert hat. Das hat sich in mehreren seiner Äußerungen und auch Taten gezeigt. Als er zum Beispiel 2015 nach Moskau zur Militärparade anlässlich der Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs flog und andere westliche Staatsmänner der Veranstaltung aber fernblieben, wurde dies als Geste gegenüber Wladimir Putin gewertet – auch wenn sich Zeman letztlich die Parade gar nicht angeschaut hat. Er war also sehr entgegenkommend gegenüber Russland. Erst nach Beginn des Kriegs in der Ukraine hat er seine Meinung komplett geändert und dies als Fehler bezeichnet.“
Diesen Fehler gesteht Zeman auch in seinem bilanzierenden Gespräch für den Tschechischen Rundfunk ein:
„Ich möchte mich jetzt nicht wie ein kleiner Junge herausreden, dass auch andere sich in Putin getäuscht haben. Das stimmt zwar, doch jeder muss für sich selbst die Verantwortung übernehmen. Ich habe in Putin einen Politiker gesehen, den ich nicht idealisiert habe. Aber ich habe geglaubt, dass es ihm wie jedem Politiker um die Interessen seines Landes gehe. Doch die Aggression gegen die Ukraine war gegen die Interessen der Russischen Föderation. Und falls sich Wladimir Putin das nicht bewusst gemacht hat, ist das umso schlimmer.“
Kritik an Begnadigungen
Ein besonderes Privileg des tschechischen Staatspräsidenten ist das der Begnadigungen. Der Amtsinhaber hat davon nur in Einzelfällen Gebrauch gemacht und hält sich dies selbst zugute:
„Begnadigungen sollten nur in ausgewählten Fällen erteilt werden. Und im Unterschied zu meinen Vorgängern, die mehrere Hundert Menschen begnadigt haben, sind es bei mir bisher nur 27 Fälle gewesen – darunter auch der vorerst letzte des Ehepaars Kordys.“
Trotz ihrer geringen Zahl standen die Begnadigungen Zemans unter starker Kritik. Höchst umstritten waren die Freilassung des wegen Doppelmordes verurteilten Jiří Kajínek im Jahr 2017 sowie des ehemaligen Direktors der staatlichen Forstverwaltung in Lány / Lana, also an Zemans zweitem Amtssitz, in März dieses Jahres. Im Fall Kajínek hatte es zwar bei den Ermittlungen und den Verhandlungen vor Gericht Verfahrensfehler gegeben, doch Zweifel an der Schuld des Doppelmörders waren nicht aufgekommen. Warum er dennoch Kajínek auf freien Fuß setzen ließ, hat Zeman niemals zur Gänze erläutert.
Beim Ex-Forstdirektor Miloš Balák ist der Fall noch bizarrer. Dieser war wegen der Manipulation einer öffentlichen Ausschreibung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Schon zwei Tage später folgte die Begnadigung durch Zeman. Der Präsident gibt im aktuellen Interview durchaus zu, dass er sich durch seine Entscheidung in der tschechischen Öffentlichkeit unbeliebt gemacht habe, hält sie aber weiterhin für richtig…
„Balák hat sich im Wildgehege von Lány nicht persönlich bereichert, und es ist auch kein volkswirtschaftlicher Schaden entstanden. Deswegen habe ich die Begnadigung erteilt, obwohl ich um die möglichen Folgen wusste“, so Zeman.
Kritiker werfen ihm vor, die tschechische Justiz mit seiner Entscheidung vorgeführt zu haben. Zudem verweisen sie auf die guten Kontakte von Balák zu den Mitarbeitern des Präsidenten.
Mit Miloš Zeman hört Anfang März ein höchst umstrittener tschechischer Staatspräsident auf. Nach zwei Amtszeiten kann er nicht wiedergewählt werden. Sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin werden Anfang kommenden Jahres erneut direkt vom tschechischen Volk gewählt. Der erste Wahlgang ist für den 13. und 14. Januar angesetzt. Sollte niemand die absolute Mehrheit erreichen, treten die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen zwei Wochen später in einer Stichwahl gegeneinander an.
Zeman hat bereits angekündigt, sich nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit zur Ruhe zu setzen und sagt dazu:
„Ich werde selbstverständlich nicht komplett aus dem öffentlichen Leben verschwinden. Und ich werde sicher keine bedeutenden Persönlichkeiten abweisen, wenn sie mich um Rat fragen wollen. Aber selbst werde ich dies nicht forcieren. Ich bin 78 Jahre alt. Daraus folgt, dass die Lektüre von Büchern, die ich schon mein ganzes Leben liebe, wohl die meiste der mir verbleibenden Zeit ausfüllen wird. Ich denke, dass meine 32 Jahre in der Politik reichlich genügt haben.“