Tut gar nicht weh: Eisschwimmen in der Moldau kann jeder schaffen, meint Publizist Jan David
Verspüren Sie dieser Tage das Bedürfnis, unter freiem Himmel schwimmen zu gehen? In Tschechien jedenfalls hat das Winterbaden seit einhundert Jahren Tradition. Auch Jan David widmet sich diesem bemerkenswerten Hobby. Der Journalist und Publizist hat darüber nun das Buch „Mrzneme napříč Vltavou“ (Wir frieren quer durch die Moldau) verfasst. Darin erinnert er nicht nur an den tschechischen Pionier des Eisschwimmens, Alfred Nikodém. David beschreibt zudem seine persönlichen Gründe, die ihn immer wieder in die eiskalte Moldau steigen lassen.
Bessere Laune, ein gutes Gefühl und viele soziale Kontakte. So fasst Jan David knapp zusammen, was ihm das Eisschwimmen bringt. Im Herbst 2021 stieg er zum ersten Mal für einige Minuten in die kalte Moldau. Seitdem ist er aktives Mitglied beim Ersten Prager Eisschwimmerklub. Der Adrenalinschub sei es, der diese Badegänge so besonders mache, schildert David gegenüber einem Reporter des Tschechischen Rundfunks, der ihn in den Klubräumen am Prager Moldauufer besucht:
„Wenn ich längere Zeit, also etwa 15 oder 20 Minuten, in sehr kaltem Wasser schwimme und dann herauskomme, bin ich aufgeputscht wie Arnold im Fitnessstudio. Ich könnte sozusagen die Türen einreißen und gehe mit einem Gefühl der Stärke zurück in den Klubraum. Wenn ich aber kürzere Zeit im Wasser bin, sagen wir fünf bis acht Minuten, dann fange ich danach einfach an zu lachen. Ich führe das auf die Endorphine zurück. Es ist ganz wunderbar, wie der kalte Fluss einem für kurze Zeit die Stimmung verändern kann.“
Aber auch auf Dauer habe das Hobby einen eindeutig positiven Effekt auf seine innere Verfassung, unterstreicht David. Von Herbst bis Frühjahr gehe er inzwischen zwei- bis dreimal die Woche im Fluss schwimmen:
„Es ist sehr interessant: Im ersten Jahr hat mir Wasser von vielleicht zwölf Grad Celsius geradezu wehgetan. Jetzt, in der dritten Saison, ist eine Wassertemperatur von acht Grad Celsius schon kein Thema mehr. Aber bereits in der ersten Saison habe ich es genossen, beim Schwimmen mit anderen Sportlern geplaudert oder einen Eisvogel auf einem nahen Ast beobachtet. Es ist nicht so, dass ich schnell aus dem Wasser rausmüsste.“
Davon zeugt auch Davids Buch „Mrzneme napříč Vltavou“ (Wir frieren quer durch die Moldau), das Ende vergangenen Jahres erschienen ist. Es handle sich dabei nicht um das Tagebuch eines Eisbader-Neulings, betont der Autor…
„Ich sage im Gegenteil gern, dass ich die am wenigsten interessante Person in diesem Buch bin. An mir zeigt sich nur eines: Wenn ich es geschafft habe, Ende Dezember in der Moldau unter dem Prager Nationaltheater schwimmen zu gehen, dann kann das jeder schaffen.“
Die sind doch verrückt!?
Angefangen hat für Jan David alles aus professioneller Neugier. Als freiberuflicher Journalist verfasste er zunächst einen allgemeinen Artikel über das Eisbaden in Tschechien. Dann folgten eine Reportage und die selbst gestellte Herausforderung, den kommenden Winter mit einer neuen Erfahrung zu bereichern. Inspiration hatte der Publizist an seinem Wohnort im Prager Süden schon genug gesammelt…
„Ich wohne seit mehr als zehn Jahren im Stadtteil Braník, wo die Landschaft entlang der Moldau sehr schön ist. Dort gehe ich oft spazieren. Im Winter habe ich immer diese Verrückten gesehen, die von ihrem Klub aus hinunter zum Fluss gehen. Es ist ein interessanter Kontrast, wenn überall Schnee liegt und sie in ihren Badesachen und Schwimmkappen auftauchen. Ich habe mir dabei immer gedacht: ‚Die sind doch verrückt, was machen die überhaupt hier!‘ Aber gleichzeitig fragte ich mich innerlich auch, wie das wohl ist.“
Kalt ist es. Das weiß David nun aus eigener Erfahrung. Um die drei Grad Celsius hat die Moldau im Dezember. Aber das Eisschwimmen sei auch wunderbar, fügt David sofort hinzu. Unter Anleitung des Klubvorsitzenden tastete sich der Journalist langsam an das neue Hobby heran und schrieb darüber gleichzeitig einen Blog. Diese Texte bildeten dann auch die Grundlage für das nun erschienene Buch. Und beim Ortsbesuch erläutert David näher:
„Das Schwimmen in kalten, offenen Gewässern ist einfach erhebend. Teilweise trage ich eine Schwimmbrille und gehe mit dem Gesicht unter Wasser. Man sagt, dass der Kopf an sich nicht abgehärtet werden kann. Da ich keinen Neoprenanzug trage, tauche ich den Kopf also nicht ganz ein. Andererseits setze ich die Brille auch gerne wieder ab und genieße die Aussicht. Es ist toll, wenn etwa gerade die Sonne untergeht und man im Wasser schwimmt.“
Seine Leidenschaft beschere ihm zwar regelmäßig zu Jahresanfang eine Erkältung, räumt David ein. Aber im Frühjahr mache er dann unbeirrt weiter:
„Das Tolle ist, dass im Wasser kein Wind weht. Es ist zwar eiskalt, aber es zieht nicht. Oftmals ist es also viel besser, vom Klubraum aus über die Wiese zu laufen und schnell ins Wasser zu gehen. Dort pfeift kein Wind mehr, das ist super.“
"Nikodém wäre heute Influencer"
Davids persönliche Zielsetzung zu Anfang war es, am jährlichen Alfred-Nikodém-Memorial teilzunehmen. Indem sich die Winterschwimmer immer am 26. Dezember auf der Prager Schützeninsel treffen und gemeinsam in die Moldau steigen, erinnern sie an den Begründer dieser Sportart in Tschechien. Der 1864 geborene Nikodém hatte diese Tradition nämlich an Weihnachten 1923 gestartet. Öffentlichkeitswirksam schwamm er etwa mit einer Soldatenuniform bekleidet und dem Gewehr auf dem Rücken im Prager Fluss.
Jan David hat sein Buch also pünktlich zum Jahrhundertjubiläum dieser Veranstaltung herausgegeben. Es trägt dann auch den Untertitel „100 Jahre Winterschwimmen seit den Zeiten des Pioniers Alfred Nikodém“. Anhand von Fotos aus Nikodéms Familienarchiv und zeitgenössischen Zeitungsartikeln habe er sich dem Wegbereiter angenähert, berichtet Autor David:
„Ich habe den Eindruck, Nikodém wäre heute ein Influencer, der überall zu sehen sein will und auch ist. Aber er wollte eben Werbung für seine Sportart machen. Angesichts der vielen Artikel und der Fotoalben habe ich mich gefragt, ob er sich damals nicht etwas in den Vordergrund gerückt hat. Aber selbst wenn – Nikodém konnte auf einiges stolz sein. Er war nicht nur ein Förderer des Eisschwimmens und der körperlichen Abhärtung. Sondern er war auch ein reicher Prager Unternehmer, der in der Celetná-Straße und später am Altstädter Ring ein Schmuckgeschäft hatte.“
Nikodém habe mehrere Sport- und Kriegsversehrtenvereine finanziell unterstützt, wofür sich in den Fotoalben zahlreiche Danksagungen fänden, ergänzt David. Zudem habe der damals schon eher betagte Unternehmer auch immer wieder erfolgreich an internationalen Wettbewerben im Eisschwimmen teilgenommen.
Nikodém wirkt für viele Menschen in Tschechien noch heute als Inspiration. Besonders in der Corona-Zeit bekam das Eisbaden hierzulande enormen Zulauf. Gesundheit und neue Freundschaften spielen zwar auch bei vielen anderen Sportarten als Motivation eine Rolle. Jan David hat bei den Moldauschwimmern aber noch etwas anderes beobachtet:
„Auf Seite 363 meines Buches erzählen mir Jan und Jana im Interview, dass das Winterschwimmen ihre Ehe gerettet habe. Bei ihnen stand schon die Scheidung an. Aber die Gruppe von Gleichgesinnten hätte ihnen geholfen, wieder zusammenzufinden. Jana meint, dass sich jene Menschen zum Wasser hingezogen fühlten, die Turbulenzen im Leben haben. Ich würde auch sagen, dass es bei vielen einen Auslöser gibt, im Fluss zu schwimmen – dass nämlich irgendetwas nicht so ganz in Ordnung ist. Diese Menschen verspüren einen Schmerz, sei er körperlich oder psychisch. Das Wasser zieht sie unbewusst an.“
Ob mit oder ohne Schmerz – wer ein Eisbader werden will, findet im Buch von Jan David viele praktische Tipps. Ideal sei es, im Herbst anzufangen, rät der Autor. Mit den sinkenden Außentemperaturen steigere man dann ganz automatisch seinen Schwierigkeitsgrad. Man könne sich aber auch jederzeit mit kalten Duschen an die Sportart herantasten, beschreibt David eine weitere Möglichkeit. Dabei solle man aber darauf achten, nach einer Minute immer eine kurze Pause zu machen, bevor man sich weiter vom kalten Wasser berieseln lässt. Und passend dazu hat Jan David eine Empfehlung:
„Ich kann noch einen Tipp geben, nämlich mit dem Duschkopf in der Hand von unten an den Beinen anzufangen. Wenn man zögert, weiter nach oben zu gehen, sollte man sich das Wasser schnell direkt ins Gesicht sprühen. Dadurch erlebt der Körper einen Minischock. Danach lässt sich das kalte Wasser viel leichter auf die Schultern lenken, und alles ist mit einem Mal viel schöner.“