Wie in einer tschechisch-deutschen Familie: Zweisprachiger Kindergarten „Kids Company“ in Prag

An einem Freitagnachmittag im Januar ist es in dem Kindergarten „Kids Company“ ruhig. Viele Kinder wurden bereits von ihren Eltern abgeholt, und diejenigen, die noch da sind, gehen gerade in den Garten raus. Die beste Zeit, sich mit der Gründerin und Geschäftsführerin der tschechisch-deutschen Kita, Markéta Frank, hinzusetzen und zu unterhalten.

Markéta Frank | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Frau Frank, „Kids Company“ ist ein tschechisch-deutscher Kindergarten im Prager Stadtteil Vinohrady. Können Sie diese Einrichtung vorstellen?

„Wir sind ein zweisprachiger Kindergarten, der die Kinder in der tschechischen und in der deutschen Sprache ausbildet. Die Zweisprachigkeit heißt bei uns, dass jede Erzieherin und jeder Erzieher ausschließlich in ihrer Muttersprache mit den Kindern sprechen. Wir haben deutsche Kollegen, die ein Programm wie in einem Kindergarten in Deutschland betreuen, und nachmittags gibt es das Programm in tschechischer Sprache.“

Dieser Kindergarten besteht schon seit fast zwei Jahrzehnten. Die Gründung geht auf Sie zurück…

Foto: Archiv Kids Company

„Ich habe den Kindergarten 2005 gegründet – eigentlich zunächst für meinen eigenen Bedarf. Ich habe zwei Söhne, die zweisprachig, also mit Deutsch und Tschechisch, aufgewachsen sind. Für sie habe ich damals einen Kindergarten gesucht. Es gab sehr viele englischsprachige Kindergärten in Prag, und es gab auch den deutschen Kindergarten. Aber ich habe nichts gefunden, wo die Kinder gleichzeitig Tschechisch und Deutsch sprechen können. Das war für mich der Grund, diesen Kindergarten zu gründen. 2005 haben wir mit einer kleinen Gruppe von sechs oder sieben Kindern angefangen. Wir waren begeistert, aber wir hatten sehr wenig Ahnung.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

2005 für eigene Söhne gegründet

Sie hatten also einen anderen Beruf?

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Ich habe Deutsch, Politologie und Jura studiert. Nach der Elternzeit habe ich überlegt, was ich weiter machen soll, und dann hat es sich mit dem Kindergarten ergeben.“

Wie waren damals die Anfänge? Was muss man tun, um einen Kindergarten zu gründen und zu betreiben?

„Wir waren am Anfang sehr naiv. Wir haben gedacht, wir finden eine tschechische und eine deutsche Erzieherin, und dann wird‘s laufen. Die ersten Jahre war es ein rein privater Kindergarten, und eigentlich konnten wir machen, was wir wollten. Im Laufe der Zeit haben wir aber viel gelernt und Informationen gefunden, wie man es machen sollte. 2012 ließen wir den Kindergarten im tschechischen Schulregister akkreditieren, was eine bestimmte Qualität garantiert. Inzwischen ist viel passiert. Wir sind in eine schöne Villa in Vinohrady umgezogen. Aus den ursprünglich sechs Kindern sind nun bis zu 40 Kinder geworden.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Wie ist eigentlich das Angebot an deutschsprachigen oder auch tschechisch-deutschen Kitas in Prag?

„Ich glaube, wie sind einer von zwei Kindergärten, die Deutsch und Tschechisch anbieten. Dann gibt es zwei oder drei Grundschulen in Prag, die auch Unterricht in der deutschen Sprache anbieten. Und natürlich die Gymnasien.“

Deutsch und Tschechisch im Alltag

Foto: Archiv Kids Company

Sie haben die Zweisprachigkeit erwähnt. Bieten Sie Sprachunterricht an? Oder werden hier einfach die beiden Sprachen gesprochen?

„Die beiden Sprachen werden tatsächlich in einem ganz normalen Alltag gesprochen. Wir machen keinen Unterricht in dem Sinne, dass wir uns mit den Kindern hinsetzen und Vokabeln oder Grammatik lernen. Die Kinder sollen die Sprachen von Muttersprachlern erwerben. Dies funktioniert ähnlich wie in zweisprachigen Familien. Bei uns in den Gruppen spricht eine Erzieherin Tschechisch, eine andere spricht Deutsch, und die Kinder lernen das sehr natürlich, ohne Stress. Aber es ist sehr effektiv.“

Kitas sind immer auch ein Zeugnis der Zeit. Denken Sie, dass sich in den vergangenen zwanzig Jahren in diesem Bereich hierzulande etwas verändert hat?

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Auf jeden Fall. Zum Beispiel legt man heute viel mehr Wert auf die Eingewöhnungsphase. Die Kinder sollen gut adaptiert werden, wodurch man viele spätere Probleme vermeiden kann. Dass die Eltern mit dabei sind, war vor zwanzig Jahren nicht der Fall. Aber heute ist dies fast in allen Kindergärten üblich. Wir haben jetzt auch angefangen, ein interessantes Thema mit den Kindern zu praktizieren, das wir in Dänemark und Estland gelernt haben: Das ist die Digitalisierung. Man denkt zwar, Medien gehören nicht in den Kindergarten, und die Kinder sollten nicht mit Tablets oder Handys spielen. Dennoch haben wir nun digitales Spielzeug angeschafft. Man kann den Kindern zum Beispiel zeigen, wo die Bienen wohnen, oder in ein Vogelnest hineingehen. Das schadet den Kindern nicht, sondern das bereichert sie. Diese Medien können auch im Kindergarten sehr gut und sinnvoll benutzt werden.“

Die Villa,  in der sich der Kindergarten befindet | Foto: Archiv Kids Company

Kita als Bildungsstätte

Wie sieht eigentlich so ein Tag im Kindergarten aus? Heute ist ein sonniger Tag, Prag ist verschneit. Waren die Kinder schon draußen?

Foto: Archiv Kids Company

„Wir gehen jeden Tag raus. Wir haben einen schönen Garten. Mit den älteren Kindern besuchen wir die Spielplätze in der Umgebung oder auch Veranstaltungen in der Stadt. Einmal in der Woche gehen wir in eine Turnhalle. Gestern zum Beispiel haben wir ein Architektenbüro besucht, weil das gerade unser Thema ist.“

Sie sagen „unser Thema“. Bedeutet das, dass Sie den Kindergarten nicht nur als einen Ort verstehen, wo die Kinder betreut werden, sondern auch als eine Bildungsstätte?

„Der Kindergarten ist vor allem eine Bildungsstätte. Wir überlegen uns immer interessante Themen und Projekte. Jetzt gerade läuft ein Projekt namens ‚100 Jahre unsere Villa‘. Wir sind nämlich in einer schönen Villa untergebracht, die 1924 gebaut wurde. Darum beschäftigen wir uns mit verschiedenen Häusern und Stilen, also mit Architektur.“

Foto: Archiv Kids Company

Wie kann man ein Thema wie Architektur bei so kleinen Kindern umsetzen und bearbeiten? Die Kinder sind drei bis fünf Jahre alt…

„Ich bin davon überzeugt, dass die Kinder auf sehr natürliche Weise neugierig sind und dass ihnen Dinge, die sie nicht kennen, wirklich Spaß machen. Auch das Thema Architektur kann man den Kindern näherbringen, wenn man sich einfach mit Formen beschäftigt, also wie unterschiedlich Häuser sind. Wir sind hier in einem der schönsten Bezirke in Prag und können uns wunderschöne Häuser anschauen. Die Kinder interessieren sich auch sehr für Details. Sie betrachten ganz genau, wie die Fenster oder der Zaun aussehen, wie die Straßen und Wege gestaltet sind. Außerdem haben wir auch Fotos von unserer Umgebung besorgt, die vor 100 Jahren aufgenommen wurden. Die Kinder finden es sehr interessant, wie unsere Straße vor 100 Jahren aussah und wie sie heute aussieht. Ich meine, für die Kinder ist es sehr wichtig, wenn man ihnen Kunst zeigt oder interessante Dinge, die sie umgeben.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„100 Jahre unsere Villa“

Die Villa, in der der Kindergarten untergebracht ist, feiert dieses Jahr also 100 Jahre. Das Haus blickt auf eine interessante Geschichte zurück…

Gedenktafeln von Leo und Marta Ultmann | Foto: Archiv Kids Company

„Die Villa wurde von dem bekannten tschechischen Bildhauer Jan Štursa gebaut. Seine Frau war eine ziemlich berühmte Opernsängerin und Schauspielerin. Die Familie Štursa lebte in diesem Haus aber nur ein Jahr lang. Nachdem Jan Štursa gestorben war, vermietete seine Frau die Räumlichkeiten. In der Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg spielte sich hier ein weiteres interessantes Stück Geschichte ab: Die Wohnung war an ein jüdisches Ehepaar aus Boskovice / Boskowitz in Mähren vermietet. Wir haben ein paar Dokumente gefunden, dass dieses Paar ein Visum nach Australien 1938 beantragt hatte. Dieser Antrag wurde leider abgelehnt, was das weitere Schicksal des Ehepaars bestimmt hat. Die Beiden hießen Leo und Marta Ultmann. Sie wurden zusammen mit vielen anderen Prager Juden zuerst nach Theresienstadt transportiert und später nach Auschwitz, wo sie 1943 ermordet wurden. Diese Geschichte hat uns sehr beeindruckt, vor allem nachdem wir erfahren hatten, dass Leo und Marta Ultmann deutschsprachige Juden waren. Das heißt, in diesem Haus wurde schon früher Deutsch und Tschechisch gesprochen. Das Gebäude hat verschiedene Kulturen und Religionen beherbergt. Weil es in diesem Jahr 100 Jahre feiert, wollen wir an Jan Štursa erinnern und uns mit der Welt der Kunst und Architektur beschäftigen. Und durch die Erinnerung an Štursas Frau beschäftigen sich die Kinder eben auch mit Gesang, Oper und Theater. Für das nächste Jahr planen wir ein weiteres Projekt, das sich mit unseren jüdischen Nachbarn beschäftigt. Dabei wollen wir uns vor allem mit den Themen Toleranz, Respekt und verschiedene Kulturen beschäftigen. Ich denke, das ist in der heutigen Welt erneut sehr wichtig.“

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