Ein Paukenschlag: Simon Rattle wird Erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie
Es ist ein Paukenschlag: Stardirigent Simon Rattle wird ab der kommenden Spielzeit einer der beiden Ersten Gastdirigenten der Tschechischen Philharmonie. Am Mittwoch unterzeichnete er einen Fünfjahresvertrag in Prag.
Rachmaninows 3. Klavierkonzert in d-Moll ist eines der ersten Werke, bei dem Simon Rattle am Donnerstag als designierter Erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie hinter dem Pult steht. Am Mittwoch unterschrieb er seinen Vertrag mit dem Prager Ensemble. Warum hat sich der Stardirigent dafür entschieden, nun dauerhafter Gast in Prag zu werden? Auf diese Frage antwortete Sir Simon Rattle im Interview für die englische Redaktion von Radio Prag International:
„Die Anfrage war eine große Freude. Ich habe mich in dieses Orchester verliebt, als ich zum ersten Mal hierherkam, um es zu dirigieren. Natürlich kannte ich die Philharmonie schon vorher, aber hinter dem Pult zu stehen, ist dann doch immer noch einmal eine andere Sache. Ich dachte mir, dass das eine Zusammenarbeit ist, die ich wirklich beibehalten und verstetigen möchte. Ich wollte ein Teil dieser Institution werden. Denn dieses Orchester ist eines der besten weltweit – ich hoffe, die Leute hierzulande wissen das! Die Zusage war also im Grunde eine egoistische Entscheidung, ich wollte einfach weiterhin Musik mit der Philharmonie machen“, so Simon Rattle mit einem Schmunzeln.
Rattle ist aktuell einer der weltweit anerkanntesten Dirigenten. Bis 2018 war er langjähriger Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, seit 2023 leitet er unter anderem den Chor und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. In Prag wird Rattle nun ab der kommenden Spielzeit Gastdirigent sein. Die Tschechische Philharmonie stellt sich damit mit einer Dreierspitze auf: Semjon Bytschkow ist nach wie vor Chefdirigent des Orchesters, der Tscheche Jakub Hrůša, der an der Spitze der Bamberger Symphoniker steht, bleibt weiterhin ebenfalls Erster Gastdirigent in Prag.
Mit Rattle kann sich die Tschechische Philharmonie nun also mit einem weiteren klingenden Namen rühmen. Der Vertrag wurde dabei vorerst auf fünf Jahre geschlossen. Das Gastdirigat des Deutsch-Briten trägt den Zusatz „zu Ehren Rafael Kubelíks“. Der tschechisch-schweizerische Dirigent und Komponist habe eine große Rolle in seinem Leben gespielt, verriet Rattle im Interview:
„Kubelík hatte großen Anteil daran, dass ich Musiker geworden bin, er hat mich sehr geprägt. Das liegt vor allem daran, wie er die Leute in seinem Umfeld behandelt hat. Er war sehr menschlich. Derzeit dirigiere ich in München ja sein altes Orchester. Seinen Geist fühlt man an diesem Ort noch immer. Die Menschen begegnen sich dort mit Wertschätzung und Respekt, und das liegt auch an Kubelík.“
Rafael Kubelík verstarb 1996. Hat Simon Rattle ihn in seinen jüngeren Jahren einmal persönlich getroffen? Der Dirigent verneint:
„Ich hatte nie den Mut, zu ihm hinzugehen und hallo zu sagen. Aber über was hätte ich mich schon mit ihm unterhalten können?“, so Rattle.
Mit der Tschechischen Philharmonie steht Simon Rattle schon länger in Verbindung. Vor fünf Jahren gab es das erste gemeinsame Konzert, in der Saison 2022/2023 war Rattle dann Artist in Residence in Prag. Dem Prager Klangkörper stehe er aber schon viel länger nahe, sagt er:
„Seit meiner Kindheit war ich ein Fan dieses Orchesters. Das fing damit an, dass ich mir Supraphon-Platten gekauft habe und begeistert war von diesem speziellen Sound der Philharmoniker. Sie klangen für mich sehr hell, aufgeweckt und lebhaft. Ich hatte diese Erinnerungen immer in meinem Kopf, habe aber nie daran gedacht, dass ich einmal ein Teil dieser Familie werden könnte.“
Seiner Arbeit in dieser „Familie“ blickt Rattle durchweg positiv entgegen und scherzt zugleich, dass sich der Job eigentlich eher wie Urlaub anfühle…
„Die Atmosphäre ist sehr herzlich, und die Leute haben Humor. Es fühlt sich so an, als gebe es keine Grenze dessen, was erlaubt ist. Ich denke, wir werden viel experimentieren und gemeinsam eine gute Zeit haben.“
Eines dieser Experimente sollen Kurt Weills „Sieben Todsünden“ sein, die Rattle für die kommende Spielzeit mit der Philharmonie einstudieren wird. Bisher habe das Orchester dieses Werk noch nie gespielt, so der Komponist. Und so sieht es Rattle auch als seine Aufgabe als Gastdirigent an, das Repertoire der Tschechischen Philharmonie stetig etwas zu erweitern:
„Interessanterweise war das Orchester in der Vergangenheit recht konservativ. Es gab es ein kleines Repertoire, das immer und immer wieder gespielt wurde – und das natürlich auf Weltniveau. Aber man muss gar nicht lange überlegen, um festzustellen, dass etwa Stücke aus der Romantik bisher außenvorgelassen wurden. Es wurde etwa nicht viel Schumann gespielt. Und das Gleiche gilt für Wagner, Bruckner und ebenso für die Musik aus Frankreich und England sowie für Haydn.“
Und so darf man gespannt sein, mit welchen Konzerten die Tschechische Philharmonie in Zukunft überrascht. Sir Simon Rattle hat im Übrigen eine enge Beziehung zu Tschechien, denn er ist mit der Mezzosopranistin Magdalena Kožená verheiratet, die aus dem mährischen Brno / Brünn stammt. Die Stadt habe er oft besucht, so Rattle, ebenso wie Prag. Nun werde das Ehepaar wohl noch öfter in Tschechien sein.
„Für einen Kerl aus Liverpool ist es schon komisch, jetzt von einer Heimkehr zu sprechen. Aber in gewisser Weise fühlt sich das genauso an“, so Rattle.