Obama und Medwedew in Prag – ein Grund zur Freude?

Barack Obama und Dmitri Medwedew (Foto: Štěpánka Budková)

Prag ist die Bühne für das neue atomare Abrüstungsabkommen zwischen den beiden Großmächten USA und Russland, das wichtigste der letzten 20 Jahre, um es mit den Worten des US-Präsidenten Obama zu sagen. Was halten eigentlich die Prager selbst davon, dass gerade ihre Stadt zum Treffpunkt von Obama und seinem russischen Amtskollegen Medwedew auserkoren wurde? Auch Journalisten hatten in ihren Kommentaren immer wieder gefragt: Wird Tschechien jetzt neuerdings als neutrales Land betrachtet, wo man ja eben solche Verträge in der Regel unterschreibt? Christian Rühmkorf hat bei schönstem Sonnenschein in einem Park mit Blick auf die Burg einige Prager befragt, was sie von dem politischen Großereignis vor ihrer Haustür halten.

Eigentlich freut sich jedes Land, vor allem wenn es so klein ist wie Tschechien, dass es im Rampenlicht des Weltgeschehens stehen darf. Jedenfalls wenn es um eine gute Sache geht. Ein Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland – daran zweifelt kaum jemand – ist so eine gute Sache. Was halten also die Prager von der Vertragsunterzeichnung auf ihrer Burg? Fangen wir mal mit Ü 60 an, also mit der älteren Generation, die vielleicht noch den Zweiten Weltkrieg, aber auf alle Fälle das Plattwalzen des Prager Frühlings 1968 durch die Sowjets und ihre Bruderstaaten erlebt habt.

Was hält zum Beispiel eine 65-jährige Rentnerin mit Enkel im Kinderwagen von dem hohen Besuch aus dem Westen und dem Osten?

„Also, ich denke, ja. Das ist eine gute Sache. Denn das lenkt die Aufmerksamkeit auf Prag und damit auch auf das ganze Land. Es wird nicht mehr nur ein kleines Land am Rande des Weltgeschehens sein. Tschechien wird plötzlich im Rampenlicht stehen, in Europa und in der Welt.“

Barack Obama und Dmitri Medwedew  (Foto: Štěpánka Budková)
Immer wieder waren aber auch kritische Stimmen zu hören: Solche Verträge zwischen den Großmächten werden doch in neutralen Ländern unterzeichnet. Wird das Nato-Land Tschechien von den USA und vor allem von Russland jetzt als neutrale Brücke zwischen Ost und West betrachtet?

„Daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe auch Angst vor den Russen. Dennoch glaube ich, dass die Vertragsunterzeichnung hier in Prag eine gute Sache ist. Es ist eine Angelegenheit, die die ganze Welt betrifft. Wenn das ein geheimes Abkommen wäre oder nur ein bilaterales, dann sähe das anders aus. Aber so gibt es keinen Grund etwas zu befürchten.“


Der vielleicht 60-jährige Mann sitzt auf einer Bank im Sonnenschein. In der einen Hand eine Zigarette, mit der anderen hält er den Kinderwagen seines Enkels in Bewegung.

„Es ist doch egal, wo sie das unterschreiben, Hauptsache, dass sie es tun! Darum geht es doch.“

Vielleicht. Aber warum haben sich Obama und Medwedew gerade auf Prag geeinigt?

„Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sie vorher das US-Radar hier installieren wollten. Na und jetzt müssen sie sich uns gegenüber dankbar zeigen.“

Dmitri Medwedew  (Foto: ČTK)
Der rauchende Großvater hätte das Raketenabwehrradar gerne in seinem Land gesehen. Daraus wird nun nichts mehr. Russland hatte ja immer wieder scharf protestiert. Aber was den Abrüstungsvertrag betrifft, warum wird er gerade in einem Nato-Mitgliedslands unterzeichnet und nicht auf neutralem Boden?

„Ja, Tschechien ist Nato-Mitglied. Aber, wissen Sie, dieses Land wurde schon so oft enttäuscht, wir sind so oft enttäuscht worden. Ich habe das Ende des Prager Frühlings erlebt. Darüber denke ich mir so meinen Teil. Jedenfalls wäre es einfach besser, wenn das Radar hier aufgebaut würde. Denn hier droht immer Gefahr. Die machen ja doch, was sie wollen. Aber ich verstehe nicht, warum Russland sich gegen das Radar wehrt. Es ist doch nicht gegen die Russen gerichtet, auch wenn sie das behaupten. Aber es sind eben zwei Großmächte, eine größer als die andere und jede will an erster Stelle stehen.“

Und die Angst vor Russland, gibt es die noch?

„Ja, sicher, ganz klar. Wissen Sie, wir Tschechen haben nie gekämpft. Sie wollen uns zwar weismachen, dass wir zur Hussitenzeit gekämpft haben, aber das kann doch niemand beweisen. Wir haben einfach nie gekämpft. Im Zweiten Weltkrieg haben wir aufgegeben. Dann kam 1968. Da haben wir auch aufgegeben. 1989 war meines Erachtens vorbereitet worden. Russen gibt es hier sowieso immer noch viele, und das geht alles weiter; im Stillen zwar, aber es geht weiter. Sicher, die einfachen Russen sind nicht gefährlich. Die sind wie Sie und ich. Die haben ihre alltäglichen Sorgen und zwar mehr als genug. Aber die da oben. Sie wissen doch wie das läuft: Einer gibt den Befehl, der andere drückt aufs Knöpfchen und schon ist alles egal.“


Nur ein paar Bänke weiter ein etwa 80-jähriger weißbärtiger Herr. Er beugt sich tief über sein Buch. Verzeihung, was halten Sie davon, dass die Unterzeichnung des START-Vertrags gerade hier in Prag stattfindet?

Barack Obama  (Foto: ČTK)
„Das ist ganz sicher gut. Sehr gut. Allein schon deshalb, dass Obama ja vor einem Jahr hier war und seinen Plan unterbreitet hat. Und jetzt wird er schrittweise umgesetzt.“

Dass Tschechien durch die Vertragsunterzeichnung eher als neutrales Land betrachtet wird oder sogar mehr in die russische Einflusszone zurückrutschen könnte, glaubt der alte Herr nicht.

„Für das Gleichgewicht der Mächte in der Welt sind bestimmte Zugeständnisse notwendig. Aber das muss maßvoll sein. Das darf nicht zu weit gehen. Ich hoffe, dass es Obama gelingt, das richtige Maß zu finden. Hoffentlich.“

Und die Angst vor Russland? „Nein, ich habe keine Angst vor Russland.“


Nicht alle Älteren haben also – obwohl sie den Kommunismus erlebt haben - Angst, dass Tschechien doch wieder ein bisschen Richtung Osten rückt. Wer aber denkt, dass die Jüngeren – wie die beiden folgenden jungen Frauen - restlos begeistert sind, dass die Augen der Welt auf Prag gerichtet sind, der irrt.

„Das ist sicher wichtig, also die Tatsache, dass sie so einen Vertrag unterzeichnen. Aber gegenüber Russland habe ich immer noch so eine Abneigung. Also ich bin froh, dass Obama kommt, aber auf den anderen freue ich mich nicht so besonders.“

Ihre Freundin sieht das ganz genauso. Aber wenn es bei einem Kurzbesuch von Medwedew bleibt, dann geht es noch: „Das halten wir schon aus.“ Ihre Freundin lacht und meint: „Wir haben ja die Russen schon länger ausgehalten als einen Tag.“


Zwei Männer, vielleicht 25 Jahre alt, mit Baseballkappen, lässt der ganze Rummel überhaupt eher kalt:

„Ich habe keine Ahnung, warum die das hier unterschreiben. Und ich muss auch sagen, dass mir das ein bisschen egal ist.“

Und sein Freund?

„Prag bringt das sicherlich etwas ins Gespräch. Aber der Aufwand ist zu groß: Polizeimanöver, Einschränkungen im Straßenverkehr und das ganze kostet unheimlich viel Geld. Ich weiß nicht, für mich bedeutet das eher Einschränkungen. Aber was soll man machen?“

Und ist es nicht ein Grund zur Freude, dass Prag im Zentrum des Weltgeschehens steht?

„Das ist mir eigentlich egal. Prag ist ohnehin auf der ganzen Welt bekannt. Mit und ohne Obama-Besuch.“

Wenn manche immer noch Angst haben, dass Tschechien nicht hundertprozentig im Westen verankert ist, denken die beiden Männer ähnlich? Ist die Angst berechtigt?

„Ich denke eigentlich nein. Denn es sind andere Zeiten als früher, als die Warschauer-Pakt-Mächte uns einfach überrollt haben. Ich denke, man muss keine Angst mehr haben. Das hoffe ich jedenfalls!“

Darin sind sich die beiden einig:

„Das beschäftigt mich eigentlich nicht besonders. Ich glaube auch, dass wir in anderen Zeiten leben. Wir sind in der Nato, wir sind in der Europäischen Union. Also ich habe eigentlich keine Angst vor den Russen.“