Öffentliche Verwaltung in Tschechischen Republik rüstet sich für den EU-Beitritt
Willkommen zur aktuellen Ausgabe unserer Sendereihe Eurodomino. Wir widmen uns heute einem Thema, das in Bezug auf den EU-Beitritt Tschechiens eine große Rolle spielt, für die meisten von uns jedoch im ersten Moment recht undurchsichtig ist. Es handelt sich dabei um den Bereich der öffentlichen Verwaltung oder vielmehr die Stärken und Schwächen, die Tschechien in diesem Bereich hat.
Gut funktionierende Strukturen in der öffentlichen Verwaltung sind für jeden Staat wichtig, innerhalb der EU sind sie jedoch unverzichtbar. Gerade in diesem Bereich sind der Tschechischen Republik allerdings in der Vergangenheit die größten Defizite von der Europäischen Kommission bescheinigt worden, was die Vorbereitung des Landes auf den Beitritt zur EU betrifft.
In ihrem diesjährigen Fortschrittsbericht stellt die Europäische Kommission fest, dass die tschechische Regierung Maßnahmen zur Verbesserung der zentralen Verwaltung ergriffen habe und nennt dabei insbesondere die Tatsache, dass ein Gesetz über den öffentlichen Dienst verabschiedet worden ist, mit dem die rechtliche Grundlage für die öffentliche Verwaltung geschaffen wurde. Spätestens im Jahre 2006 soll die Umsetzung dieses Gesetzes erfolgt sein, damit die öffentliche Verwaltung auf die zusätzlichen Anforderungen vorbereitet ist, die im Zusammenhang mit dem Beitritts Tschechiens zur EU auf sie zukommen werden. Der Politologe Vladimir Handl vom Institut für internationale Beziehungen in Prag hält aber gerade die Umsetzung von Gesetzen und Normen, die im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt notwendig sind, grundsätzliche für eine der größten Schwierigkeiten:
"Da liegen die Probleme der Tschechischen Republik und aller anderen Beitrittskandidaten, da die Länder eigentlich zur Zeit ganz gut dastehen, was die Legislative betrifft, aber was die Realisierung der Legislative angeht, befinden sie sich noch in einer Entwicklungsphase." Handl betont, dass viele Schwierigkeiten erst nach dem Beitritt vollends zu Tage treten werden. Denn, so Handl, erst... "
...die Praxis wird zeigen, wo die engsten Stellen der Tschechischen Verwaltung sind. Bisher kann man nur annehmen, dass die zentralen Verwaltungsorgane schon fähig sind, politische Entscheidungen und die gegebenen EU-Normen umzusetzen. Die Frage bleibt, ob die unlängst errichtete mittlere Ebene der Verwaltung und Selbstverwaltung fähig ist, die an sie gerichteten Normen dann auch umzusetzen. Und auch die untere Ebene der Lokalpolitik ist in vielerlei Hinsicht ziemlich unterentwickelt.
" Die sogenannte "mittlere Ebene" ist erst im Rahmen einer umfassenden Reform entstanden, die seit dem politischen Umbruch im Jahre 1989 Schritt für Schritt alte Verwaltungsstrukturen aufgebrochen und neu gestaltet hat und sich nunmehr bereits in ihrer 2. Phase befindet. Der erste Schritt dieser Reform bestand in der Errichtung von Bezirken als territorialen Trägern der Selbstverwaltung, die Aufgaben der Staatsverwaltung übernehmen sollten. Dies sollte zur Dezentralisierung der Verwaltung beitragen - einem der obersten Ziele der Reform insgesamt. Die Übertragung von Kompetenzen einzelner Ministerien an die territorialen Selbstverwaltungseinheiten erfordert gleichzeitig ein höheres Maß an Koordination in den Ministerien und anderen Verwaltungsämtern. Auf den Ministerien wird darüber hinaus künftig, sprich nach dem EU-Beitritt Tschechiens, die Hauptlast bei der Durchsetzung tschechischer Interessen im Rahmen der EU liegen, was eine größere Effektivität erforderlich macht und deshalb ebenfalls einen Reformbedarf mit sich brachte. Im Vordergrund aller Reformen standen und stehen aber neben der Anpassung an EU-Normen, Aspekte wie die Erfüllung demokratischer Grundsätze, rechtstaatlicher Kriterien, die Steigerung der Effektivität und die Dezentralisierung in der Verwaltung.
Darüber, welche Bereiche in den zurückliegenden Jahren verbessert werden konnten, äußerte sich Handl wie folgt:
"Selbstverständlich gibt es Problempunkte, die man lösen musste. Einer davon war der legislative Prozess, der ziemlich kompliziert war. Das Parlament wurde überschüttet von legislativen Vorschlägen, die man nicht nur wegen des EU-Beitritts, sondern auch wegen des Transformationsprozesses, annehmen musste. Diese legislative Arbeit hat man jetzt abgeschlossen und die EU-Kommission hat sehr positiv bewertet, dass die Tschechische Republik, wie auch die anderen Kandidatenländer, in dieser Hinsicht gut vorbereitet ist."
Handl führt weiter positive Ergebnisse an:
"Erstens hat die Tschechische Republik und die tschechische Politik schon die Strukturen der Institutionen geschaffen, die sich mit dem EU-Beitritt befassen und für den Beitritt auch verantwortlich sind. Die jeweiligen Ministerien sind derzeit gut koordiniert, das war nicht der Fall Mitte der 90er-Jahre, als die Rivalitäten zwischen den einzelnen Ministerien ganz stark waren. Zum Ende des Jahrhunderts und in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts hat sich die Tschechische Republik zu guten und effektiven Strukturen der Institutionen durchgekämpft. Positiv ist des weiteren der überwiegende Konsens der politischen Parteien, was den EU-Beitritt angeht - mit der Ausnahme der Kommunistischen Partei. Handl weist aber auch auf Schwachpunkte hin:
"Auf der negativen Seite muss man sagen, dass sich die tschechische Politik sehr wenig mit dem Sinn und den großen Ideen sowie den langfristigen Zielen der EU-Politik auseinandergesetzt hat und dass die politischen Vorstellungen der politischen Akteure und der Parteien ganz weit auseinander gehen."
Wir haben Professor Wessel, Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Politologie an der Universität Köln, zu Wort gebeten, da er an einem Forschungsprojekt beteiligt ist, das den Titel "Europäisierung der öffentlichen Verwaltung in Ost- und Mitteleuropa" trägt und die Entwicklungen in diesem Bereich anhand von fünf Beitrittskandidaten untersucht, der der sogenannten Luxemburg-Gruppe nämlich, zu der auch Tschechien zählt. Zu den Erkenntnissen, die im Rahmen des Projektes gewonnen werden konnten, zählt, dass auch nach den Reformen, die in all den untersuchten Ländern vorgenommen worden sind, Unterschiede bleiben werden, dass es also kein einheitliches Konzept geben wird, was aber auch für die EU-Mitgliedsstaaten gilt. Professor Wessel weist auf eine Sache mit Nachdruck hin, die die Beitrittskandidaten nicht aus den Augen verlieren sollten:
"Ich würde es so formulieren: Die Herausforderungen für alle Kandidaten werden noch größer werden, wenn sie einmal Mitglieder sind. Die jetzige Phase ist noch eine Aufwärmphase und die Situation wird sich verändern, es wird noch mehr verlangt werden, gemeinsam mit anderen zu agieren, sich in den Institutionen in Europa durchzusetzen und einzusetzen. Es wird noch mehr an sachkenntlichen, fachkenntlichen aber auch politischem Gespür und methodischen Fähigkeiten verlangt werden. Die Mitgliedschaft ist also keine Beendigung, wo man sich ausruhen kann, sondern sie öffnet eine Tür und viele andere öffnen sich dahinter."
Hiermit sind wir bereits am Ende unserer heutigen Sendung angelangt. Am Mikrophon verabschiedet sich von Ihnen für heute Katrin Sliva.
Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:
www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union
www.euroskop.cz
www.evropska-unie.cz/eng/
www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online
www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt