Orte der Samtenen Revolution: Prager Burg
Im Wladislaw-Saal der Prager Burg wurde Václav Havel am 29. Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Staatspräsidenten gewählt. Er und seine Mitarbeiter haben frischen Wind in den Sitz der Staatspräsidenten gebracht. Unsere kleine Serie über die wichtigen Schauplätze der Samtenen Revolution beenden wir auf dem Hradschin.
„Ich schwöre bei meiner Ehre und meinem Gewissen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik die Treue. Ich werde mein Amt nach dem Willen der in der Republik lebenden Völker ausüben und die Verfassung und alle Gesetze einhalten.“
Der dritte Burghof platzte aus allen Nähten. Mehrere tausend Menschen drängten sich dort, um den neuen Präsidenten zu begrüßen. Sie skandierten seinen Namen, als er auf den Balkon des Palastes kam.
„Liebe Freunde, vor einer Weile wurde ich einstimmig zum Staatspräsidenten unserer Republik gewählt. Ich danke Ihnen allen, Tschechen, Slowaken und Angehörigen anderer Völker für die Unterstützung. Ich verspreche, dass ich Ihr Vertrauen nicht enttäusche und unser Land zu freien Wahlen führen werde. Dies muss auf eine anständige und friedliche Weise geschehen, um das saubere Bild unserer Revolution nicht zu beschmutzen. Dies ist eine Aufgabe für uns alle. Ich danke Ihnen.“Václav Havel war der letzte Staatspräsident der Tschechoslowakei, und von 1993 bis 2003 das erste Staatsoberhaupt der Tschechischen Republik.
Präsident ohne Reisepass
Der Musikkritiker Vladimír Hanzel war persönlicher Sekretär von Václav Havel. Er arbeitete schon zu Dissidentenzeiten mit ihm zusammen. Hanzel war einer der engen Berater Havels, die ihn als neugewählten Staatspräsidenten auf die Prager Burg begleiteten. Er habe schon zuvor ein wenig Erfahrung mit dem Dichterpräsidenten gehabt, erzählte Hanzel vor kurzem in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.„Ich habe vorher ein Mini-Büro von Václav Havel geleitet. Die Präsidialkanzlei hatte aber dann verschiedene Sektionen: Eine war für die Kontakte zu den Journalisten zuständig, ein anderer hat die Zeitpläne zusammengestellt und so weiter. Auf einmal gab es mehr Menschen, die sich um diese Angelegenheiten kümmerten. Als wir die Präsidialkanzlei übernahmen, gab es dort unzählige Angestellte. Präsident Husák, der am 10. Dezember zurücktrat, hielt sich in den letzten Monaten seiner Amtszeit nicht mehr oft auf der Burg auf. Sein Büro war aber kontinuierlich in Betrieb. Dazu gehörte zum Beispiel die Denkmalschutzsektion. In der Kanzlei waren Menschen angestellt, die ein bestimmtes Know-How hatten. Sie wussten wenigstens, wie man vom Sekretariat in den Wladislaw-Saal kommt.“
Direkt nach der Präsidentenwahl begann Hanzel zufolge ein kleines Macht-Vakuum. Das Staatsoberhaupt wurde an einem Freitag gewählt. Dann folgte ein verlängertes Wochenende, denn der Staatsfeiertag an Neujahr fiel auf einen Montag. Am ersten Januar wurde Václav Havels erste Neujahrsansprache im Fernsehen gesendet. Sie begann mit den später vielzitierten Worten „Unser Land blüht nicht“. Nach Jahrzehnten erklang damals im Fernsehen plötzlich eine Neujahrsansprache ohne leere Botschaften, die auch tatsächlich ankam bei den Menschen.„Die erste Neujahrsansprache Havels wurde einen Tag früher gedreht. Daran erinnere ich mich gut, denn ich habe vor kurzem mit dem Fotografen Pavel Hořejší darüber gesprochen. Er kam an dem Tag mit noch einem Kollegen in Havels Arbeitszimmer, um ein Foto des Präsidenten für den Reisepass zu machen. Havel durfte vorher keinen Pass haben, doch als Staatspräsident brauchte er natürlich einen. Die Fotografen hatten Probleme damit, in die Büroräume reingelassen zu werden. Keiner von uns hatte damals irgendeinen Ausweis, der uns den Eintritt ermöglicht hätte.“
Berater ohne Schlüssel
Genauso wie heute wieder sei die Burg damals wie eine Festung gewesen, erläutert Hanzel. Die Polizisten waren auf einmal ratlos, denn aus kommunistischen Zeiten waren sie eher an strenge Regeln gewöhnt. Nun bewegten sich aber unzählige Männer mit langen Haaren und ohne Anzug auf dem Burggelände, die sich als Berater des Präsidenten bezeichneten.„Der Dramaturg und Schauspieler Petr Oslzlý, der Havels Berater für Kultur war und später die Kultursektion der Präsidialkanzlei leitete, beschwerte sich einmal bei Václav Havel darüber, dass er nicht reingelassen wurde. Wir hatten alle zu Beginn nur eine Visitenkarte des Dissidenten Václav Havel. Und darauf stand mein Name als Kontakt. Auf die andere Seite schrieb Havel: ,In die Burg reinlassen! Václav Havel.‘ Diese Visitenkarte zeigten die Leute den Polizisten am Eingang. Die Polizisten kannten damals Havels Unterschrift aber noch nicht und konnten die Echtheit der Dokumente nicht überprüfen.“
Am ersten Tag nach Havels Wahl zum Staatsoberhaupt hatten weder Hanzel noch die anderen Mitarbeiter Schlüssel zu ihren künftigen Büros. Das geplante Treffen mit den Ministern, die im Kabinett das Bürgerforum vertraten, fand darum im Restaurant Vikárka hinter dem Veitsdom statt. Denn dieses war, wie Hanzel erzählt, im Unterschied zu den Büros immer offen.Vladimír Hanzel stand 13 Jahre lang an Havels Seite und er kannte ihn noch aus den Zeiten vor der Wende. Auf die Frage, ob sich Havel im Präsidentenamt geändert hätte, antwortet Hanzel:
„Im Grunde genommen nicht. Seine Arbeit und seine Stellung waren aber anders. Er war in seinem Amt sehr verantwortungsbewusst. Zuvor hatte er die Politiker von außen beobachtet, doch jetzt befand er sich an der politischen Spitze.“
Auf einmal seien Fernsehteams aus allen Herren Ländern nach Prag gekommen, um den Dissidenten im Präsidentenamt zu filmen, erzählt Hanzel:
„Der Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs waren eine Sensation. Auch in den USA, die sich sonst nicht so sehr für Europa interessieren, berichteten die Medien sehr viel darüber. Und eines der Symbole des Umschwungs war Václav Havel.“Phänomen der tschechischen Kneipe
Nicht nur ausländische Journalisten wollten mehr über den neuen Staatspräsidenten erfahren. Auch zahlreiche wichtige Politiker der Welt kamen zu Besuch nach Prag, um mit Havel Gespräche zu führen. Manchmal entführte der Präsident seine ausländischen Amtskollegen in eine der Prager Gaststätten.
„Er erklärte seinen Gästen, dass die tschechische Kneipe ein Phänomen ist. Dies hat eine lange Tradition, denn auch politische Parteien wurden in einer Gaststätte gegründet. Das Besondere an den tschechischen Kneipen ist, dass dort seit jeher Menschen aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft zusammentreffen. In den USA ist es kaum vorstellbar, dass ein Milliardär in die Kneipe geht und dort beispielsweise mit einem Schornsteinfeger plaudert. Aber bei uns ist das auch weiterhin möglich. Václav Havel erklärte dies seinen Gästen viel besser, als ich es erklären kann. Er erzählte ihnen, dass der weltbekannte Jaroslav Hašek den Braven Soldaten Schwejk in verschiedenen Bierstuben geschrieben hat. Auch Bohumil Hrabal fand seine Inspiration in Kneipen. Václav Havel gelang es, renommierte ausländische Politiker zu den üblichen Betriebszeiten in eine Gaststätte mitzunehmen. Und allen hat es gefallen.“Die Zeit, die er bei Václav Havel verbracht habe, könne er nicht vergessen, sagt Vladimír Hanzel. Es seien besondere Zeiten gewesen, so Havels ehemaliger Sekretär.
„Ich denke, dass Václav Havel das Geschehen sehr stark beeinflusst hat. Er stellte der Welt eine neue Republik vor, in der nach Jahrzehnten wieder Demokratie herrschte.“