Ostern 1938 – Beneš verkündet auf drei Tage den Gottesfrieden
Ostern vor 71 Jahren. - Europa steht unter dem Druck nationaler Interessen und vor allem deutscher Machtpolitik. Hitler hatte sein Ziel klar vor Augen: Die Zerschlagung der Tschechoslowakei. Er setzte den Hebel der Nationalitätenkonflikte an. Im Frühjahr 1938 versuchte Präsident Beneš noch mäßigend auf die Deutschen in seinem Land einzuwirken.
Am 11. April 1938 nahm der tschechoslowakische Staatspräsident Edvard Beneš – ganz im Zeichen des Osterfestes – die Jahresfeier des Roten Kreuzes zum Anlass und erklärte im deutschen Programm des Tschechoslowakischen Rundfunks:
„Wir verkünden in der ganzen Republik auf drei Tage den Gottesfrieden. Das ist die Einstellung aller politischen, sozialen und nationalen Kämpfe, indem wir daran erinnern, dass uns alle das Band der Liebe und der gemeinsamen menschlichen Solidarität verbindet.“
Verbinden sollte, muss man hier anfügen. Die politische Lage in der Tschechoslowakei und in Europa war im Frühjahr 1938 äußerst angespannt. Die Tschechoslowakei befand sich seit Jahren im zähen Ringen mit ihren nationalen Minderheiten, vor allem mit den Sudetendeutschen. Das Schweizer Modell, das der spätere Staatspräsident Masaryk noch vor der Staatsgründung 1918 propagiert hatte, war nicht umgesetzt worden. Und viele Vertreter der Deutschen im Lande konnten sich nicht mit dem Machtwechsel und dem Machtverlust in der ČSR abfinden. Am 12. März 1938 war Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen worden. In der benachbarten Tschechoslowakei wuchs die Angst vor Hitler. Die radikale Sudetendeutsche Partei hatte sich mittlerweile zum gewollten und vollständigen Vasallen der Hitlerschen Imperialinteressen entwickelt. In dieser Situation versuchte Beneš noch ausgleichend in die Eigendynamik der Ereignisse einzugreifen:
„Wir behaupten und wollen in der Praxis den Grundsatz zur Geltung bringen, dass diese Streitigkeiten beider Nationen, die eine wirklich humane Kultur haben, nicht der Lösung durch Gewalt und Waffen bedürfen, sondern im Wege der Diskussion, des Übereinkommens und Kompromisses gelöst werden können.“
Der Wahlspruch der Republik - ´Die Wahrheit siegt´ - gehe von für ihn unabänderlichen ethischen Grundsätzen aus, so Beneš:
„Er verlangt, dass wir in unserem Nächsten stets das geheiligte Ziel unseres Handelns sehen und ihn niemals zum Mittel oder Werkzeug unserer Ziele und Bestrebungen machen. Er verlangt, dass wir den Menschen und seiner Seele ethisch als uns gleichwertig betrachten. Er verlangt, dass wir einen Einzelnen, eine Klasse oder Nation nicht als höher stehend und die anderen als geringer betrachten.“
Alles Grundsätze, die dem europäischen und vor allem deutschen Zeitgeist der Machtpolitik zuwider liefen. Das wusste auch Präsident Edvard Beneš. Der Wahlspruch über den Sieg der Wahrheit bedeute nicht, passiv abzuwarten:
„Er bedeutet die aktive Verteidigung der Wahrheit. Der Mensch, der versklavt und seiner menschlichen Würde beraubt werden soll, dem Toleranz, Objektivität und guter Wille versagt werden, hat das Recht, sich zu wehren. Ebenso jede Gesellschaft, Nation und Staat.“
Das seien die Grundsätze der tschechoslowakischen Außen- und Innenpolitik. Beneš versuchte noch einmal, die Nationen in die Pflicht zu nehmen:
„Die Tschechoslowaken ebenso wie die Deutschen in der Tschechoslowakei sind reife Träger der Europäischen Kultur, welche die Pflicht haben und den Ehrgeiz haben sollen, vor ganz Europa ein gutes Beispiel dafür zu geben, wie nationale Schwierigkeiten im Interesse eines Jahrhunderte alten gemeinsamen Vaterlandes in richtiger und vernünftiger Weise zu lösen sind.“
Ein Jahr später, am 15. März 1939 war aus dem tschechischen Teil der Tschechoslowakei das Reichprotektorat Böhmen und Mähren geworden. Der Staat hatte aufgehört zu existieren.