Ausblick auf das Jahr 2005
Am ersten Tag des neuen Jahres begrüßt Sie gleich Katrin Bock zu einem neuen Kapitel aus der tschechischen Geschichte. In diesem erfahren Sie, welche bedeutenden Jahrestage im neuen Jahr anstehen.
Vor 60 Jahren, im Januar 1945, war nicht nur der Rundfunk, sondern das gesamte Protektorat Böhmen und Mähren noch fest in den Händen der deutschen Besatzer. Im Herbst 1944 hatten tschechische Einheiten gemeinsam mit der Roten Armee zwar bereits die slowakische Grenze überschritten und somit erstmals Fuß auf den Boden der ehemaligen Tschechoslowakei gesetzt, doch bis auch die Grenze zum Protektorat überschritten wurde, sollten noch einige Monate vergehen.
Als am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, hatten die Tschechen bereits ein halbes Jahr Okkupation hinter sich. Anfang Mai 1945 wurde Prag als letzte Hauptstadt des von den Deutschen Truppen besetzten Europas befreit. Oftmals hört man deshalb Tschechen sagen, dass der Zweite Weltkrieg an der Moldau begann und auch endete.Vor 60 Jahren, genauer gesagt am 14. Februar 1945, erlebte Prag den größten alliierten Bombenangriff - rund 700 Menschen starben damals, Dutzende Wohnhäuser, ein Krankenhaus und das Emaus-Kloster wurden in der Prager Neustadt zerstört. Warum reine Wohnviertel in Prag an jenem 14. Februar 1945 bombardiert wurden, ist bis heute nicht ganz geklärt. Sicher ist, dass die 62 amerikanischen Bomber eigentlich an der Bombardierung von Dresden teilnehmen sollten. Einige vermuten, dass die Piloten die beiden Städte schlicht und einfach verwechselt haben. Andere führen Wind- und Wetterbedingungen an, die zu einer Änderung der ursprünglichen Ziels Dresden geführt haben sollen. Im März 1945 wurde Prag erneut Ziel eines Bombenangriffs - diesmal fielen die Bomben auf die Industrievororte Liben und Vysocany. 370 Menschen kamen dabei ums Leben. In den beiden letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 wurden böhmische Industriestädte wie Kladno, Kralupy oder Pilsen bombardiert. Auch wenn die Bombenangriffe im Vergleich zu denen auf deutsche Städte relativ klein waren, hatten sie doch eine große Schockwirkung auf die tschechische Zivilbevölkerung, die bisher von jeglichen Kriegshandlungen verschont gewesen war.
Am 11. April überschritten die ersten Soldaten der Roten Armee die Protektoratsgrenzen beim mährischen Lanzhot - damit begann die militärische Befreiung der Böhmischen Länder. Eine Woche später, am 18. April 1945, erreichten amerikanische Truppen die westböhmische Grenze. Am 6. Mai 1945 zogen sie in das westböhmische Pilsen ein. Drei Tage später traf die Rote Armee in Prag ein. Zuvor war hier ein Aufstand gegen die deutschen Besatzer ausgebrochen, bei dem der Rundfunk eine große Rolle gespielt hat. Aus dem Gebäude in der heutigen Vinohradska-Straße wurde das Signal für den Beginn des Aufstands gesendet:Mit der Nachkriegszeit vor 60 Jahren sind auch einige dunkle Kapitel der tschechischen Geschichte verbunden - die "wilde Vertreibung" der sudetendeutschen Bevölkerung und die Verabschiedung einiger Dekrete. Ende Mai 1945 starben auf dem so genannten Brünner Todesmarsch wahrscheinlich bis zu 500 Deutsche. Rund 20.000 Alte, Frauen und Kinder deutscher Nationalität wurden aus Brünn Richtung österreichische Grenze getrieben, die Strapazen dieses Marsches überlebten viele nicht. Zwei Monate später, am 31. Juli 1945, kam es im nordböhmischen Usti nad Labem - Aussig an der Elbe zu Ausschreitungen gegen deutsche Zivilisten, bei denen über 90 Deutsche umgekommen und Dutzende verletzt worden sind.
Am 16. Mai kehrte Präsident Edvard Benes aus seinem über sieben jährigen Exil nach Prag zurück. Kurz darauf erließ er einige Dekrete. In diesen wurde u.a. die Enteignung von Deutschen, Ungarn und Kollaborateuren beschlossen sowie die Errichtung von außergewöhnlichen Volksgerichten zur schnellen Verurteilung von nationalsozialistischen Verbrechern. Diese so genannten Benes-Dekrete sorgen auch 60 Jahre später noch immer für einigen Zündstoff. Über all die Ereignisse des Jahres 1945 werden Sie im Laufe dieses Jahres in unseren Sendungen noch einiges hören.
Nun zu einem anderen Jahrestag:
Am 2. Dezember 1805 trafen in der Nähe des mährischen Dorfes Slavkov drei Heere zusammen - das französische, russische und österreichische. Diese Schlacht wurde allerdings nicht nach dem tschechischen Namen jenes Ortes benannt, sondern nach seinem deutschen und so lernt man heute in den Schulbüchern das Datum der Drei-Kaiser-Schlacht von Austerlitz und nicht der von Slavkov. Jedes Jahr finden hier Feierlichkeiten am Jahrestag dieser für die europäische Geschichte wichtigen Schlacht statt, in der Napoleon über die Heere Russlands und Österreichs siegte und seine Eroberung Europas fortsetzte - in diesem Jahr werden sie allerdings besonders groß ausfallen. Sind Sie also ein Fan von alten Uniformen und nachgestellten Schlachten, dann sollten Sie sich jetzt schon einmal die Wochenenden um den 2. Dezember freihalten und nach Slavkov bei Brno-Brünn reisen.
Neben diesen zwei großen Ereignissen wird in diesem Jahr in Tschechien noch an einige andere erinnert. Eine Historiker-Konferenz soll zum 30. Jahrestag der Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki stattfinden. Ende Juli 1975 unterzeichnete auch die Tschechoslowakei diese Abschlusserklärung der KSZE-Konferenz, in der die Unterzeichnerstaaten die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte garantieren. Nachdem die tschechoslowakische Regierung die Schlussakte 1976 ratifizierte, wurde der Vertrag über bürgerliche und politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Bestandteil der Rechtsordnung der CSSR. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Realität und der auf dem Papier garantierten Rechte war einer der Gründe für die Entstehung der Charta 77. Die Menschenrechtsorganisation forderte unter anderem die Prager Regierung auf, von ihr selbst unterzeichnete internationale Verträge auch einzuhalten.
Wären vor 15 Jahren in Mitteleuropa nicht die sozialistischen Regime gestürzt worden, dann hätten die kommunistischen Machthaber dieses Jahr allen Grund zum Feiern gehabt: im Mai wäre der Warschauer-Pakt 50 Jahre alt geworden. Heute liegt dieses Militärbündnis längst auf dem Schrottplatz der Weltgeschichte - zur Zeit des kalten Kriegs war es jedoch der meist gefürchtete Gegner des Westens. Gründungsmitglied war natürlich auch die Tschechoslowakei, die vor 45 Jahren ihren Namen offiziell in CSSR - Tschechoslowakische Sozialistische Republik änderte. Zuvor waren sich die Machthaber wohl nicht sicher gewesen, ob ihr Staat bereits das Stadium des Sozialismus erreicht hat - nach einer Verfassungsänderung am 11. Juli 1960 war es dann amtlich: man lebte in einem sozialistischen Staat. 30 Jahre später, am 20. April 1990, wurde der Name des Landes übrigens wieder geändert. Nach einem kurzen "Bindestrich-Krieg" zwischen Prag und Bratislava einigte man sich auf den Namen "Tschechische und Slowakische Föderative Republik" - ohne Bindestrich zwischen Tschechisch und Slowakisch, sondern mit einem "und", das die autonome Stellung der Slowakei unterstreichen sollte.Überhaupt brachte das Jahr 1990, das erste nach der Samtenen Revolution, jede Menge Veränderungen. Bereits im Februar wurde ein Abkommen über den Abzug der sowjetischen Truppen unterzeichnet und die Geheime Staatssicherheit aufgelöst.
Und genau vor 15 Jahren, am 2. Januar 1990, besuchte der vier Tage zuvor gewählte neue tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel während seiner ersten Auslandsreise die beiden deutschen Staaten. In Berlin traf er mit der amtierenden DDR- Führung zusammen, in München wurde Vaclav Havel von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl empfangen.