Partydroge mit zerstörerischer Wirkung: Pervitin in Tschechien
In den vergangenen Tagen stand das Thema häufig auf der Tagesordnung: der Verkauf und der Schmuggel von Crystal Meth aus Tschechien nach Deutschland. Der Kampf gegen die Droge, die in Tschechien Pervitin heißt, war Gegenstand von Innenministerkonferenzen, Spezialistentreffen und Arbeitsgruppen beider Länder. Nun soll in Tschechien die tolerierte Mindestmenge gesenkt werden und auch bei den Staatsanwaltschaften gemischte Teams zur Strafverfolgung entstehen. Wie die Droge genau funktioniert und welche Auswirkungen sie in Tschechien selbst hat, diesen Fragen gehen wir in unserer Sendereihe Forum Gesellschaft nach.
Pavel Gregor ist jetzt 59 Jahre alt. In den 1970er Jahren, also noch in der kommunistischen Ära, experimentiert er heimlich mit der Herstellung von Amphetaminen. Gregor gilt als „Wiederentdecker“ von Pervitin in der Tschechoslowakei. Seine Geschichte stand Pate für den 2010 in Tschechien erschienen Film „Piko“. Heute arbeitet Gregor als Therapeut in der Nervenheilanstalt Bohnice in Prag, wo er jenen hilft, die „seiner“ Droge verfallen sind.
In einem Interview anlässlich der Filmpremiere erzählt er dem Tschechischen Fernsehen von seinen Erfahrungen mit dem selbst hergestellten Pervitin:„Ich hatte meine Emotionen und mein Handeln nicht unter Kontrolle, und ich war sehr aggressiv und impulsiv. Pervitin hat vor allem eine schwere Psychose ausgelöst. Weil ich sie nicht behandeln ließ, dauerte diese Psychose zwei Jahre. Ich kann sagen: Das waren die schlimmsten zwei Jahre meines Lebens. Ich konnte die Realität nicht von dem unterscheiden, was in meinem Kopf ablief.“
Crystal Meth, Meth oder Crystal – Pervitin hat im Ausland mehrere andere Namen. Es sieht aus wie Eis oder Kristallsplitter und wird geraucht, gespritzt, geschnupft oder einfach geschluckt. Die Droge macht sehr euphorisch, verringert das Schlafbedürfnis und steigert die Leistungsfähigkeit, das Mitteilungsbedürfnis und das sexuelle Verlangen. Gerade wegen dieser Wirkungen gilt Pervitin als Partydroge – aber auch unter Stress stehende Berufstätige schätzen die Wirkung.Vladimír Kmoch ist Psychiater und arbeitet in der Psychiatrie und Drogenambulanz der Prager Karlsuniversität jeden Tag mit Drogenabhängigen.
„Auf Grundlage einer Ende 2011 veröffentlichten Studie gibt es in Tschechien etwa 40.000 problematische Nutzer illegaler Drogen. Davon nehmen die meisten, etwa 29.000, Pervitin. Die restlichen 11.000 konsumieren Opiate.“Dass Pervitin die meistgenutzte Droge in Tschechien ist, bestätigen auch die Zahlen der Polizei. Allein 2012 hoben die Fahnder mehr als 300 Drogenlabore aus. Und obwohl in den vergangenen Jahren vor allem die deutschen Konsumenten für mehr Nachfrage gesorgt haben, produzieren noch immer viele kleine Drogenküchen für den heimischen, tschechischen Markt.
Pervitin soll die Konsumenten sehr schnell abhängig machen, manche sprechen sogar von einer Sucht nach der ersten Einnahme. Der Fachmann Kmoch sagt dagegen, dass Sucht nicht einfach zu diagnostizieren ist:„Selbst kann das ein Mensch nur sehr schwer feststellen. Wir stellen die Diagnose in unserer Ambulanz immer, wie folgt: Der Patient muss mindestens drei von sechs Kriterien erfüllen. Zu diesen Kriterien gehören: Verlangen nach der Droge, Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, Zerfall der Familie oder Verlust der Arbeit, wiederholte Handlungen, von denen der Patient weiß, dass sie ihm schaden und zum Schluss ein Anstieg der Toleranz. Letzteres bedeutet, dass das Mittel nicht mehr so gut wirkt und die Dosis erhöht werden muss, um die erwünschte Wirkung zu erhalten.“
Je nach Einnahmeform tritt die Wirkung sofort oder nach etwa einer halben Stunde ein. Normalerweise hält der Rausch bis zu elf Stunden an, kann bei stärkeren Dosen aber auch 24 bis 36 Stunden dauern.„Normalerweise wird Pervitin mehrmals täglich eingenommen. Aber meist bedeutet problematische Nutzung regelmäßiger Konsum, also die tägliche Einnahme, aber auch die so genannte Stoß-Einnahme, zum Beispiel viermal pro Monat.“
Die Abhängigen nehmen aber oftmals nicht nur Pervitin ein, wie der Psychiater sagt:
„Es kommt sehr häufig vor, dass die Patienten die stimulierende Wirkung des Pervitins in ungünstigen Situationen mit beruhigenden Mitteln kompensieren oder die Angstzustände des nächsten Tags damit bekämpfen. Ich würde sagen, das trifft auf die Hälfte unserer Patienten zu.“Häufig wird hierbei zu Marihuana gegriffen, vor allem wegen seiner beruhigenden Wirkung. Bei der Behandlung entdecken die Mediziner meist noch eine andere Krankheit, die durch die Einnahme des Amphetamins bekämpft wird: Depressionen.
„Die Depression vertieft sich aber natürlich nach der Einnahme der Stimulantia, der Effekt ist sehr kurzfristig. Wochenendnutzer von Pervitin beschreiben den Effekt zum Beispiel als gleitend. Bis zur Mitte der Woche dämpft sich die Laune und beginnt dann, sich richtig zu verschlechtern, bis hin zu einem totalen Stimmungseinbruch.“Bei der Behandlung wird also Wert darauf gelegt, auch die Ursachen der Abhängigkeit herauszufinden. Neben Ärzten gehören deswegen auch Psychotherapeuten zum Behandlungsteam – vor allem bei Depressionen.
Viele Menschen glauben, Pervitin sei harmlos, weil es nicht körperlich, sondern psychisch abhängig macht. Dem widerspricht der Psychotherapeut und Drogentherapiespezialist Aleš Kuda:„Das ist einer dieser Mythen, der über Aufputschmittel im Allgemeinen kursiert. Als ich noch in der NGO ‚Kontaktzentrum’ gearbeitet habe, kamen junge Einstiegsnutzer von Pervitin, das ja ein Aufputschmittel ist, und sagten: ‚Das ist ja nur eine psychische Abhängigkeit. Wenn ich will, dann kann ich aufhören.’ Die psychische Abhängigkeit und ihre Folgen sind viel stärker als die körperliche Abhängigkeit. Wenn ein Heroinabhängiger versucht, seine Droge abzusetzen, hat er nach sechs bis acht Tagen die schlimmsten körperlichen Entzugserscheinungen hinter sich. Es bleibt die psychische Abhängigkeit, und die braucht Monate bis hin zu Jahren, um behandelt zu werden.“
Generell sei Pervitin-Abhängigkeit im ersten Schritt gut zu behandeln, so Vladimír Kmoch von der Drogenambulanz der Karlsuniversität. Allerdings ist die Rückfallquote sehr hoch. Wichtig für eine Behandlung der Drogenabhängigkeit ist daher auch die richtige Motivation der Patienten:„Wir geben uns Mühe, dass die Patienten, die zu uns kommen, aus eigenen Stücken kommen. Wir wollen nicht, dass es nach dem Motto läuft: ‚Hier habt ihr ihn, in sechs Monaten kommen wir ihn wieder abzuholen.’ Wir versuchen, mit der Motivation des Patienten zu arbeiten.“
Die Drogenambulanz der medizinischen Fakultät der Karlsuniversität im zweiten Prager Stadtbezirk gibt es bereits seit 1993. Zuerst lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf der Behandlung von Alkoholismus und Spielsucht, mittlerweile sind über 50 Prozent der Patienten Suchtkranke. Die meisten sind von Heroin abhängig, dicht gefolgt von Pervitin.
Pavel Gregors Drogenkarriere endete übrigens fast mit seinem Tod: Beim Produzieren von frischem Pervitin machte er einen Fehler – und verursachte mit den Chemikalien eine schwere Explosion. Er verätzte sich mit Säure, verlor ein Auge und ist seitdem schwerhörig. Nach diesem Schock begann er eine Therapie und machte eine Ausbildung als Therapeut. Seitdem betreibt er Vorbeugung, vor allem in Schulen.„Ich bin nun seit 13 Jahren abstinent. Das bedeutet, dass ich weder rauche, noch Alkohol trinke noch irgendwelche anderen Drogen nehme. Damals, im Jahr 1973, kannte ich vielleicht 200 Leute, die mit Amphetaminen experimentierten. Heute sind von ihnen noch sechs am Leben, die anderen sind tot. Diese sechs sind nach meinen Erkenntnissen Obdachlose, die am Prager Hauptbahnhof leben.“