Drogenabhängige leiden an geschlossenen Grenzen
Die geschlossenen Grenzen wegen der Corona-Pandemie haben einen problematischen Nebeneffekt: Es kommen keine Drogen mehr ins Land, und Süchtige sitzen auf dem Trocknen. Für viele von ihnen hat das drastische Folgen, denn sie konsumieren dafür teureren und schlechteren Stoff. Doch auch eine Therapie ist wegen der rigorosen Maßnahmen kaum möglich.
„Derzeit ist es so, dass es zu wenige Drogen für zu viele Konsumenten gibt. Das ist sehr unvorteilhaft für unsere Klienten. Denn die nehmen jetzt alles, was sie bekommen können – von Aufputsch- über Betäubungsmitteln bis hin zu Amphetaminen. Sie schlucken also alles, unabhängig von ihrer eigentlichen Sucht.“
Der Mangel an Crystal Meth dürfte überraschen, da Tschechien europaweit als Hochburg für die Produktion dieser Droge gilt. Richterová Těmínová macht aber darauf aufmerksam, dass viele Rohstoffe für das Rauschmittel ebenfalls nur im Ausland zu bekommen sind. Deshalb würde die Herstellung stillstehen oder aber mit minderwertigen Ersatzstoffen weitergehen, so die Sozialarbeiterin und Therapeutin. Währenddessen verlagert sich die Sucht oft anderswohin:„Die Abhängigen nutzen dabei alle möglichen Quellen. Zum Beispiel konsumieren sie viel mehr Medikamente oder Phentanyl-Pflaster, wenn sie welche bekommen können. Auf jeden Fall trinken sie verstärkt Alkohol.“
Chance für alternative Therapiemethoden
In Tschechien gibt es aktuellen Schätzungen zufolge fast 48.000 Konsumenten von sogenannten harten Drogen. Nun könnte man meinen, dass viele Abhängige durch die derzeitige Lage einen Weg raus aus ihrer Sucht finden. Für einige dürfte das auch tatsächlich zutreffen, meint Richterová Těmínová, vor allem da die Betroffenen durch einen Entzug anderen akuten Problemen entkommen könnten:„Natürlich ist die derzeitige Lage für einen Teil unserer Klienten eine Motivation, sich einer Behandlung zu unterziehen. Es mangelt ja nicht nur an Drogen, sondern auch an Essen, so dass die meisten Hunger haben. Außerdem fallen viele Möglichkeiten weg, sich zu waschen. Für die Süchtigen ist das Leben komplizierter geworden. Deshalb erwägen sie letztlich einen Entzug. Die Epidemie ist eine Art ‚Arschtritt‘, der die Menschen zum Handeln zwingt.“
Doch oft kommt man nicht alleine raus aus der Sucht. Aber gerade da gibt es ein massives Problem zu Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Denn Entzugskliniken sind teilweise geschlossen und notwendige Therapien damit kaum möglich:„Es ist tatsächlich so, dass der Zugang zu einer adäquaten Behandlung viel schwieriger ist. Denn in allen Krisenplänen für den Fall einer Pandemie sind psychiatrische Kliniken eine Art ‚Ersatzteillager‘. Von dort wird nämlich im Krisenfall medizinisches Personal an die Intensivstationen anderer Krankenhäuser geschickt. Durch diese Maßnahme mussten viele andere Abteilungen geschlossen und die Behandlung dort eingestellt werden. Meines Wissens sind derzeit nur zwei Entzugsstationen hierzulande offen, was die Aufnahme neuer Patienten unglaublich kompliziert macht. Natürlich funktionieren die ambulanten Beratungsstellen auch weiterhin. Doch es sind keine Gruppentherapien möglich, was für neue Patienten oft nicht annehmbar ist.“
Martina Richterova Těmínová schlägt deshalb vor, anders auf die Drogensüchtigen zuzugehen. So müssten genug Substitutionsmittel gestellt werden, um Betroffene möglichst „am Leben zu erhalten“. Gleichzeitig bestehe nun eine gute Gelegenheit, alternative Therapieansätze zu wagen, meint die Leiterin von Sananim:„Bisher gibt es diese neuen Methoden bei uns nicht. Wir sind nun drauf und dran, diese einzuführen. Die derzeitige Lage wäre auch ein Katalysator für die laufende Reform der Psychiatrien, wobei die Patienten möglichst im eigenen Umfeld behandelt werden sollen. Das macht aber einige weitere Schritte nötig. So sollten die Kosten für Substitutionsmittel von den Krankenkassen getragen werden, da die Betroffenen wegen der Krise oft keine eigenen Einkünfte mehr haben. Auch müssten die Psychiater den Mut finden, tatsächlich ins Feld zu gehen – also zu den Patienten nach Hause, in Notunterkünfte oder besetzte Häuser. Eigentlich ist das noch Zukunftsmusik, nun ist aber der richtige Zeitpunkt gekommen, um das alles zu versuchen.“
Laut Martina Richterová Těmínová hat Sananim kein Problem damit, entsprechende Maßnahmen sofort zu starten:„Zunächst könnten wir in die Krisenunterkünfte für Obdachlose gehen. Wegen der Pandemie wurden viele dieser Menschen ja in Zeltstädten oder leeren Hostels untergebracht. Von unserer Seite steht also das Angebot, dass wir da reingehen und unsere normale Suchtberatung durchführen.“
Skype und Erziehung
Sananim kümmert sich derzeit um rund 10.000 Drogenabhängige, fast 7000 von ihnen leben auf der Straße. Die Coronakrise ist für sie laut Martina Richterová Těmínová eine ganz besondere Herausforderung, vor allem da sich der „Klientenstamm“ der Sozialarbeiter in den vergangenen Jahren stark verändert hat:„Momentan macht sich besonders bemerkbar, wie stark sich die Drogenszene gewandelt hat. Denn die Süchtigen werden immer älter, wobei sie auch altersspezifische Beschwerden mit sich herumtragen. Unsere Arbeit heute sieht also anders aus als vor einigen Jahren, als die Konsumenten noch junge Hüpfer waren und der Drogenverbrauch für sie mit mehr Freude verbunden war. Unsere Klienten leiden sehr an ihrer Einsamkeit. Das Wichtigste für uns ist also, sie gerade jetzt nicht im Stich zu lassen.“
Erschwerend kommt hinzu, dass die Kontaktzentren von Sananim derzeit nur auf Sparflamme laufen. Es werden also nur noch Essen, Hygieneartikel und auch Mundschutzmasken ausgegeben sowie Spritzen ausgetauscht. Für warme Worte oder eine tiefgründige Betreuung fehlen die Kapazitäten. Vor allem wegen einem Mangel an Schutzmitteln mussten die Helfer ihre Dienste auf ein Minimum reduzieren:„Mittlerweile geht es wieder, denn wir konnten einiges Material einkaufen. Auch der Magistrat hat uns bestimmte Mittel überlassen. Die ersten zwei Wochen waren aber sehr anstrengend, denn wir hatten nichts. Immerhin haben unsere Mitarbeiter Mundschutzmasken genäht, und einige haben wir auch von lieben Mitbürgern bekommen. Die konnten wir an unsere Klienten weitergeben.“
Doch gerade der Kontakt mit den Mitmenschen würde den Abhängigen viel bedeuten, meint Richterová Těmínová. Und der gehe den meisten nun ab. Einen gewissen Ersatz bietet aber das Internet. Denn einige Beratungen und Gruppentherapien laufen nun über Skype oder Ähnliches. Zwar sei das für beide Seiten gewöhnungsbedürftig, aber auch erleuchtend, meint die Therapeutin Richterová Těmínová:„Das ist sehr interessant, da es eine ganz neue Erfahrung für alle ist. Dadurch wird vieles sichtbar, was wir vorher nicht gesehen haben. In normalen Gruppensitzungen können wir Therapeuten beispielsweise aus der Sitzhaltung oder Gestik des Klienten viel herauslesen. Das fällt nun weg. Dafür sehen wir unsere Klienten im Bademantel oder ihre Haustiere und Bücherregale. Das ist ein merkwürdiger Einblick in ihr Leben für uns.“
Risikogruppe Obdachlose
Doch die Einsamkeit und die fehlenden Therapien sind nicht das Schlimmste für die Abhängigen und insbesondere für diejenigen, die auf der Straße leben.„Natürlich sind unsere Klienten bedroht, vor allem wegen ihres Lebensstils. Wir versuchen sie ein bisschen zu erziehen, also wie man einen Mundschutz trägt oder wie man gewisse hygienische Regeln einhält. Wenn aber jemand auf der Straße schläft, dann ist es mit der Hygiene ganz einfach schwierig. Außerdem werden die Abhängigen immer älter und haben zahlreiche Vorerkrankungen, weshalb sie klar zu den besonders bedrohten Menschen gehören.“
Vielleicht sei es aber auch ganz anders, und die Menschen auf der Straße seien gerade durch ihren Lebensstil resistenter gegen das Coronavirus, hofft Richterová Těmínová. Das könnten aber erst großangelegte Test zeigen, so die Sozialarbeiterin.