Pilsen, öffne dich! – Europäische Kulturhauptstadt 2015

Pilsen (Foto: Norbert Aepli, Wikimedia CC BY 2.5)

Ein Großereignis dürfte das Jahr 2015 in Tschechien besonders prägen: die Europäische Kulturhauptstadt Pilsen. Unter dem Motto „Pilsen: Open up“ geht es dann von Januar bis Dezember rund in der westböhmischen Industrie- und Biermetropole.

Pilsner Urquell Brauerei  (Foto: Archiv Radio Prag)
„Pilsen: Open up“ - da stellt man sich zunächst vor, wie mit einem sanften Zischen der Kronkorken von einer Flasche Pilsner Urquell springt. Doch das tschechische Pilsen ist mehr als Bier, demnächst steht es in einer Reihe mit Athen, Berlin, Florenz und Paris. Die Europäische Kommission hat der kleinen aber bekannten Stadt den Titel Kulturhauptstadt Europas 2015 zuerkannt. Pilsens Ruhm begründet sich, wie jeder weiß, auf dem hier bis zur Perfektion gebrauten Bier. Dazu Mirka Reifová, Pressesprecherin des Projektes:

„Unser Slogan lautet ‚Pilsen Open Up‘, also ‚Pilsen - öffne dich‘ oder auch: ‚Öffne dir ein Pilsner‘. Das ist vordergründig natürlich eine Anspielung auf das Bier, aber für uns ist die symbolische Bedeutung wichtiger, nämlich ‚Öffne dir dein Pilsen‘ im Sinne von: ‚Entdecke die Stadt, komm und sieh, was hier los ist, wie die Stadt aussieht, welche versteckte und interessante Sachen sich hier verbergen.‘ Dies ist aber auch an die Einwohner von Pilsen gerichtet. Sie sollten nicht verschlossen sein und sich auf eine Verwandlung der Stadt bereit machen.“

Foto: PatrikPaprika,  Wikimedia CC BY-SA 3.0
Pilsens Motto ist also auch als Einladung an ganz Europa zu verstehen, ganz ohne dabei die Braukunst verstecken zu wollen. Verstecken könnte Pilsen sein Bier wohl auch gar nicht, es ist schon olfaktorisch omnipräsent – über der Stadt schwebt stets ein lauer Duft von Malz und Hopfen. Doch nicht nur Gambrinus und Pilsner Urquell kommen von hier. Vor der Stadt wird in zahlreichen Gewerbeparks tschechische Hochtechnologie produziert. Vor allem der Industrieriese Škoda stellt hier schwere Maschinen, Kraftwerke und Straßenbahnen her.

Welch Kontrast ergibt sich, fährt man von dort mit einem Oberleitungsbus in die Innenstadt. Alle Jugendstil- und Neorenaissancebauten zeigen sich liebevoll restauriert und in bunter Vielfalt. Fast alle: Das Altstadtpflaster ist noch an vielen Stellen aufgerissen, überall hämmert und klopft es, und die letzten Fassaden werden gestrichen.

Neues Theater in Pilsen | Foto: ČT24
Endspurt: Plzeň / Pilsen hat sich herausgeputzt, seit fünf Jahren wird hier hart gearbeitet. Ein neues Theater wurde gebaut, eine neue Straßenbahnverbindung wird bald fertig, die Anzahl der Gästebetten wurde auf 2000 aufgestockt, und selbst für die St.-Bartholomäus-Kathedrale steht ein Satz neuer Glocken bereit. Spätestens bis zur Eröffnungsfeier im Januar 2015 muss alles fertig sein. Auch die Industrieviertel machen mit - sie sind ebenfalls Pilsen. Leere Fabrikhallen wurden zu alternativen Kulturzentren umgebaut. So wird die Industriestadt zur Kulturstadt mit vielen Facetten.

Mirka Reifová  (Foto: YouTube)
„Im Ausland ist Pilsen hauptsächlich für das Bier bekannt. Wir möchten aber dieses Image ändern, dass Pilsen nicht nur eine Bierstadt ist, sondern zur Kulturstadt wird. Warum lohnt es sich nach Pilsen zu kommen? Weil es einfach eine nette tschechische Stadt ist, mit einem historischen Zentrum, mit vielen Sehenswürdigkeiten und vor allem mit vielen Kulturveranstaltungen. Auf der anderen Seite haben wir die Tschechen, sie kennen Pilsen als Industriestadt, das hat sich aber in den letzten Jahren stark verändert. Grünanlagen sind entstanden, und das Zentrum wird renoviert. Für die Menschen ist es heute viel angenehmer, in der Stadt zu leben, als es früher war“, sagt Pressesprecherin Reifová.

Pilsen  (Foto: Norbert Aepli,  Wikimedia CC BY 2.5)
Tatsächlich ist das Projekt der Kulturhauptstadt nicht von Anfang an für alle Pilsener überzeugend gewesen. Man fürchtete hohe Kosten, Behinderungen durch Bauvorhaben und hatte auch Angst, sich im Falle eines Scheiterns vor ganz Europa zu blamieren. Inzwischen aber hat sich die Stimmung gewandelt, wie Stadtführerin Barbora Živná verrät:

„Ich freue mich schon sehr auf das Jahr 2015, auf das kommende Programm, die vielen Veranstaltungen und natürlich auf die Konzerte. Noch vor zwei Jahren war ich pessimistisch, da die Pilsner die Idee nicht so ernst genommen haben. Aber jetzt ist die Situation ganz anders. Die Stadt ist zusammengerückt, und wir alle freuen uns auf das kommende Jahr. Es gibt inzwischen auch viel mehr Freiwillige, die bei den Veranstaltungen helfen wollen.“

Zirkus  (Foto: Archiv Pilsen 2015)
Vorbereitet scheint Pilsen inzwischen gut. Doch was erwartet den Besucher der viertgrößten Stadt Tschechiens?

Mehrere Flaggschiffe haben die Planer des Kulturprogrammes für Pilsen 2015 konstruiert. Sie bestimmen das Programm. Ganz vorne steht ein moderner Zirkus. Keine Tiere, sondern Menschen zeigen ihre Kunst - die besten Akrobaten und Performancegruppen aus ganz Europa werden hier erwartet. Mirka Reifová:

„Eines von unseren acht Flaggschiffprojekten ist eine ganzjährige Saison des Neuen Zirkus. Das ist etwas für Jedermann. Es gibt da keine Altersbegrenzung, keine Sprachbarrieren, die Vorführungen sind verständlich für Kinder und Erwachsene, es kann einfach jeder kommen.“

Gottfried Lindauer
Zwei Pilsner Künstler von Weltformat bekommen in ihrer Stadt im Jahr 2015 ihre eigenen Ausstellungen. Der eine ist Jiří Trnka, der Walt Disney Europas, an den sich vor allem die älteren Jahrgänge erinnern dürften. Der andere ist Gottfried Lindauer, der durch seine Porträts von neuseeländischen Ureinwohnern berühmt wurde.

„Gottfried Lindauer war ein Pilsener Maler, der nach Neuseeland ausgesiedelt ist und dort die Ureinwohner, die Maoris, respektvoll gemalt hat. Die Porträts gelten in ihrer Heimat als Nationalschatz, und sie werden zum ersten Mal von der Nationalgalerie in Auckland nach Europa ausgeliehen. Diese Ausstellung wird in Pilsen zwischen Mai und August 2015 zu sehen sein. Für die Maoris haben die Gemälde eine religiöse Bedeutung, weil sie glauben, dass die Seelen ihrer Vorfahren sich in den Bildern befinden. Zusammen mit den Bildern werden Schamanen kommen und die westböhmische Galerie in Pilsen mit ihrem speziellen Zauber schützen“, so Reifová.

Barock im Kloster Plasy im Umland Pilsens  (Foto: CzechTourism)
Auf den Straßen wird es in Pilsen an Freilichtkunst nicht mangeln. Hier kommen die Pilsener Nachwuchstalente zum Zuge. Ab Mitte Mai versprechen die Veranstalter Schultheater und Straßenkünstler, Fotoausstellungen und Livemusik an jeder Ecke. Schließlich präsentiert sich auch das Umland Pilsens von seiner schönsten Seite: In Schlössern und Kirchen in den Dörfern der Region richten während des Sommers viele Feste aus. Mirka Reifová:

„Im Sommer 2015 veranstalten wir ‚Neun Wochen Barock‘, das ist ein Programm für Westböhmen, und zwar befinden sich in dieser Region Barockbauten, die ein versteckter Schatz sind. Sie wurden zwar kaum von der Öffentlichkeit entdeckt, aber diese Barockkulturdenkmäler werden wir zum Leben erweckt. Wir planen ein Musikprogramm, klassische Konzerte, Barocktheater, Gastronomie und barocke Nächte mit Feuerwerken. Die Veranstaltungen finden im Juli und August an neun verschiedenen Standorten im Kreis Pilsen statt.“

Genaue Informationen zum Programm finden sich im Internet. An die deutschen Besucher wurde natürlich auch gedacht, schließlich bilden sie traditionell die größte Gruppe der Tschechien-Reisenden. Deswegen sind das Kultur-Programm und viele Informationen auch auf Deutsch verfügbar. Noch nicht auf Deutsch – aber dennoch sehr nützlich – ist eine App. Das kleine Programm führt die Smartphone-Nutzer durch die Stadt und versorgt sie – wahlweise auf Englisch oder Tschechisch – an allen Ecken mit vielfältigen Informationen.

Am 17. Januar ist die Eröffnungsfeier in Pilsen, dann heißt es endlich: Pilsen, Open up!

Autor: Heiner Koch
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