Plädoyer für die „Macht der Machtlosen“ - Prague Civil Society Centre unterstützt Zivilgesellschaften im postsowjetischen Raum
Als Reaktion auf den zunehmenden politischen Druck, dem nichtstaatliche Initiativen in Russland und anderen Ländern ausgesetzt sind, ist in Prag eine neue Institution zur Unterstützung der Zivilgesellschaften im postsowjetischen Raum entstanden: Das Prague Civil Society Centre steht unter der Leitung der tschechischen Organisation „Mensch in Not, in Zusammenarbeit mit der norwegischen Human rights foundation und dem polnischen Institute of public affairs. Im Aufsichtsrat sitzt auch der amerikanische Historiker Timothy Snyder. Finanziert wird das Zentrum von privaten Stiftungen sowie von den Regierungen Tschechiens, Schwedens und der USA.
„Unser Zentrum will die Zivilgesellschaften in den postsowjetischen Ländern unterstützen. Es stimmt, Zivilgesellschaft ist ein ziemlich weit gefasster Begriff. Wir verstehen darunter nicht nur die traditionelle Definition, den so genannten dritten Sektor – also strukturell organisierte Nichtregierungsorganisationen. Wir wollen auch weitaus weniger formelle Strukturen unterstützen – zum Beispiel Bürgerinitiativen, die sich über das Internet koordinieren. Aber auch zum Beispiel engagierte Filmemacher, Künstler oder so genannte Opinion makers, die sich an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen: Historiker, Wissenschaftler - kurz: aktive Intellektuelle.“
Die Gründung des Zentrums ist eine Reaktion auf die aktuelle politische Situation?
„Zumindest auf die Situation der Menschen, mit denen wir regelmäßig in Kontakt sind. Wir haben beobachtet, dass immer mehr Menschen fliehen mussten – aus Russland, Aserbaidschan. In Aserbaidschan wurden in dem letzten halben, dreiviertel Jahr all diejenigen, die sich für Menschenrechte engagiert haben, inhaftiert. Es ist die größte Verhaftungswelle in den letzten 20 Jahren. Und das ist nur ein Beispiel. Auch in anderen Ländern verschlechtert sich die Situation. Und daher liegt für uns auf der Hand, dass es einer Organisation bedarf, die diesen Menschen hilft.“
Was brauchen Zivilgesellschaften in postsowjetischen Gesellschaften heute am dringendsten? Immer mehr NGOs, etwa aus Belarus oder Russland gehen in letzter Zeit ins Exil....„Das stimmt. Und die Idee hinter unserem Zentrum, eine neue Organisation zu gründen, die die Zivilgesellschaften in diesen Ländern noch viel aktiver unterstützen kann, ist dieser aktuellen Entwicklung geschuldet. Das liegt auf der Hand. Natürlich kann man die Länder dieser Region nicht alle in einen Topf werfen. Die Situation in der Ukraine ist mit Sicherheit eine andere als etwa die in Russland oder Aserbaidschan. Dennoch gibt es einen generellen Trend: Im postsowjetischen Raum, und vor allem in Russland, Aserbaidschan und Zentralasien sehen wir immer dreistere Versuche seitens der Regierungen, Initiativen aus der Zivilgesellschaft zu unterdrücken – NGOs, unabhängige Journalisten, oppositionelle Parteien. Der Druck wird immer größer. Eines der jüngsten Beispiele: Der Mord an Boris Nemzow. Das war ein starkes Signal an die Gesellschaft, nach dem Motto: Seht, was mit denjenigen passiert, die gegen die Machtelite sind. Damit hängt dann natürlich auch die verstärkte Emigration zusammen. Viele Menschen, vor allem in Russland, sehen heute keine Perspektive mehr für sich in ihrem Land, weil sie anderer Meinung sind als das Regime.“
Wie kann man eine Zivilgesellschaft in einem Land wie Russland unterstützen, wenn die dortige Regierung eine solche Zivilgesellschaft für überflüssig hält?„Das ist eine sehr schwierige Frage. Es kommt immer auf die konkreten Menschen und ihre Situation an, welche Art von Hilfe sie brauchen. Wir bieten ihnen einerseits Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten an – Reisen nach Tschechien und in andere Länder, wir vermitteln Kontakte zu anderen Partnern. Aber auch Rechtsbeistand oder ärztliche Hilfe, wenn es etwa zu körperlichen Übergriffen kam. Oder wir leisten Hilfe, wenn Menschen ins Exil gehen. Denn der Weg ins Asyl ist langwierig und schwierig.“
Auf wessen Initiative geht die Gründung des Prague Civil Society Centres zurück?„Die Idee, eine neue Institution zu gründen, kam aus den Kreisen verschiedener Sponsoren und Organisationen, die die Zivilgesellschaft in den postsowjetischen Ländern unterstützen. An oberster Stelle standen zwei große private Stiftungen: Die Oak Foundation und die CS Mott Foundation. Daraus entstand dann eine Ausschreibung, die wir gewonnen haben. Und jetzt ist es unsere Aufgabe, diese neue Institution aufzubauen.“
Welche Erfahrungen mit zivilgesellschaftlichem Engagement kann Tschechien als postkommunistisches Land an die postsowjetischen Gesellschaften weitergeben?
„Viele Menschen hier erinnern sich immer noch gut – nicht nur an die kommunistische Zeit, sondern auch an die Zeit der Transformation nach 1989. Und all die Veränderungen und Probleme, die das mit sich brachte und nach wie vor mit sich bringt. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Und diese Erfahrung ist sehr wertvoll für Länder wie etwa die Ukraine. Die Ukraine befindet sich jetzt in einer ähnlichen Situation: Das Regime hat sich geändert und es müssen neue Gesetze für ein neues System her. Natürlich lassen sich Erfahrungen nicht eins zu eins übertragen. Aber man kann auf gute und schlechte Erfahrungen hinweisen, die man in den letzten 25 Jahren gemacht hat. Wir planen daher in unserem Zentrum ein Programm für Transformationsstudien, das die Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa und in den postsowjetischen Staaten vergleicht. Das soll eine Hilfestellung für jetzige Transformationsstaaten sein, ein System aufzubauen, das dem Druck von unterschiedlichen Seiten standhält. Diesen Druck, dem eine freie Gesellschaft ausgesetzt ist, kennen wir in Tschechien auch – seitens verschiedener Oligarchen etwa.“Nennen Sie uns ein paar konkrete Vorhaben/Projekte Ihres Zentrums...„Wir wollen uns in drei Richtungen entwickeln: Zum einen wollen wir ein Förderprogramm für zivilgesellschaftliche Organisationen entwickeln. Aber auch für informelle Initiativen, wie ich eingangs erwähnt habe. In Ländern wie Russland oder Aserbaidschan. Hier wird es Fördermittel für die Zusammenarbeit bei verschiedenen Projekten geben. Unsere zweite Richtung ist das, was man auf Englisch capacity building nennt. Dazu zählen verschiedene Schulungen, Trainings und workshops. Dabei geht es nicht um Schulungen im klassischen Sinne. Sondern wir wollen die Menschen aus den verschiedenen Ländern zusammen bringen. Ein konkretes Beispiel: russische Dokumentarfilmer und russische NGOs. Hier gibt es ein enormes Potential für eine Kooperation. Und das wollen wir fördern. Und die letzte Richtung habe ich schon genannt: Transformationsstudien. Hier geht es darum, die Erfahrungen mitteleuropäischer Länder mit dem Transformationsprozess zu reflektieren. Und zu überlegen, welche dieser Erfahrungen für die postsowjetischen Länder relevant sind und welche Reformen hier heute wichtig wären.“
Der Name Václav Havel ist heute für viele Dissidenten in postsowjetischen Ländern ein Symbol für die „Macht der Machtlosen“ - dafür, dass es Sinn macht, gegen ein restriktives politisches System anzukämpfen. Ist das Ihre Botschaft?„Auf jeden Fall. Das Bild „Macht der Machtlosen“ von Václav Havel ist sehr stark und sehr aktuell. Wir konnten das zuletzt in der Ukraine bei der Maidan-Bewegung sehen, als sich eine Studentendemonstration in eine gesamtgesellschaftliche Protestbewegung verwandelt hat. Das ist ein sehr starkes Beispiel. Vor allem die Solidarität, die die Ukrainer füreinander gezeigt haben. Das Land hat in den letzten anderthalb Jahren einen enormen Wandel durchgemacht. Und er beruht eben auf dem Engagement der Menschen von unten. Das ist genau das, was der Begriff „Macht der Machtlosen“ meint.“