Generations- und grenzübergreifend: Tschechien geht die „grüne Modernisierung“ an
„Zelená modernizace Česka“ – die „grüne Modernisierung“ ist in Tschechien in vollem Gange. Dies war das Signal, das Mitte Mai von einer repräsentativen Konferenz auf dem Prager Burggelände ausgehen sollte. Veranstaltet wurde sie von der größten NGO Tschechiens, Člověk v tísni (Mensch in Not), und die Schirmherrschaft hatte Staatspräsident Petr Pavel übernommen. Als einer der Ehrengäste trat der schwedische Botschafter in Prag, Frederik Jörgensen, auf. Aber auch aus Deutschland stand ein Redner auf dem Podium. Und vertreten waren ebenso einige tschechische Schüler, die ihre Teilhabe an der gesellschaftlichen Diskussion über die Adaption an den Klimawandel einforderten.
Es ist schon fast anderthalb Jahre her, dass Petr Pavel zum tschechischen Staatspräsidenten gewählt wurde. Aber immer noch ist der frische Wind zu spüren, den er ins Land brachte. Sein Vorgänger Miloš Zeman hatte sich nämlich gern störrisch gegen fast jede Form des gesellschaftlichen Fortschritts gestellt, und dazu gehörte auch die EU-Klimapolitik. Eine groß angelegte Konferenz, bei der einen ganzen Tag lang konstruktiv und betont zuversichtlich über die Anpassung Tschechiens an den Klimawandel diskutiert wird, war auf der Prager Burg zu Zemans Zeiten kaum vorstellbar.
Nun fand aber am 14. Mai die Konferenz „Zelená modernizace Česká 2024“ unter Pavels Schirmherrschaft statt, organisiert von der NGO Člověk v tísni. Deren Leiter Šimon Pánek sagte zum Auftakt:
„Es sind inzwischen 35 Jahre vergangen seit 1989, was unglaublich erscheint. Eines der Themen, für das wir damals eine Veränderung wollten, war unsere Beziehung zur Natur, zur Umwelt und zum Lebensumfeld. Diese Diskussion wurde in den ersten Momenten euphorisch geführt. Dann aber wurde das Thema vor allem von diesem Ort aus – der Prager Burg – 20 Jahre lang denunziert, verlacht, bagatellisiert oder sogar verdreht in eine Haltung, die leider ein bedeutender Teil der Gesellschaft angenommen hat. Demnach sind jene, die sich um die Umwelt und die Natur kümmern, eher Schädlinge – und nicht Menschen, die sich einer allgemeinen Unterstützung und Anerkennung erfreuen sollen, weil sie an die Zukunft denken. Das ändert sich jetzt, und darüber bin ich froh.“
Zu der beschworenen Veränderung gehört, dass bei Veranstaltungen wie dieser nun Vertreter des Staates mit Aktivisten zusammenkommen. Im aktuellen Fall übernahm der Berater des Präsidenten zu Umweltthemen, Ladislav Miko, die Eröffnung der Konferenz. In ihrem Verlauf präsentierten zahlreiche Umweltorganisationen und Bildungsprojekte ihre Arbeit. Aber auch große Firmen wie Ikea oder die Bank ING stellten ihre Klimaagenden vor.
Das Umdenken in der tschechischen Gesellschaft ist inzwischen auch ein Anliegen des Umweltministeriums. Tatsächlich hat das Ressort schon vor Längerem eine Kampagne gestartet, die den gleichen Titel trägt, der auch für die Konferenz gewählt wurde. Minister Petr Hladík (Christdemokraten) gab sich ambitioniert:
„Die grüne Modernisierung findet in Tschechien real statt. Ich bin froh, dass sie gestartet wurde, aber der weitere Weg wird nicht einfach sein. Er ist lang, jedoch absolut wichtig. Die grüne Modernisierung wird sozial ablaufen oder gar nicht.“
So werde etwa schon jetzt hunderttausenden Privathaushalten in Tschechien finanziell geholfen, ihre Energieversorgung zu modernisieren, gab der Minister ein Beispiel. Insgesamt stelle die Regierung bis 2030 etwa eine Billion Kronen (41 Milliarden Euro) zur Verfügung, die in die Anpassung an den Klimawandel und auch für klimaschonende Maßnahmen etwa in der Industrie investiert werden sollen.
„In Tschechien wird eine riesige Menge an neuen Technologien hergestellt, etwa für die Nutzung von Biomethan oder Wasserstoff, ebenso gehören dazu Wärmepumpen oder Teile für Fotovoltaik- und Windkraftanlagen. Wir müssen diese Firmen nutzen, damit sie ihre Leistung für den europäischen Markt weiter erhöhen. Und die grüne Modernisierung bietet noch eine weitere große Gelegenheit: Die Tschechen wollen Windräder. Wir bauen nur keine. Denn der gesamte Genehmigungsprozess dauert enorm lange.“
Dies zu ändern, sei eine der Aufgaben, die sich sein Ministerium gestellt habe, fügte Hladík hinzu.
Klimawandel als Bedrohung un Herausforderung
Bei der Konferenz „Grüne Modernisierung Tschechiens 2024“ blieben die Politiker und wichtigen Akteure nicht nur unter sich. Auf dem Podium sprachen etwa auch Vertreter der Umweltstiftung „Partnerschaft“ (Nadace Partnerství), die die Stimme der Generation Z repräsentieren sollten. Neben diesem 15-minütigen Auftritt hatte die Stiftung zudem eine Gruppe von Schülern und jungen Erwachsenen auf die Prager Burg mitgebracht, die sich unter das Publikum mischten. Sie waren anhand eines thematischen Fragebogens, den landesweit etwa 300 junge Menschen ausgefüllt haben, als Delegierte ausgewählt worden. Vor Beginn der Konferenz sagte etwa die 17-jährige Markéta gegenüber Radio Prag International:
„Die grüne Modernisierung ist für mich so etwas wie eine hellere Zukunft in Bezug auf die Ökologie und Umwelt. Sie gibt uns Hoffnung, dass sich langsam wirklich mit dem Klimawandel und anderen ökologischen Problemen beschäftigt wird und dass sich die Lage in Zukunft verbessert.“
Die 20-jährige Julie hingegen ist nicht nur optimistisch:
„Der Klimawandel löst bei mir Befürchtungen aus und ist gleichzeitig eine Herausforderung. Bedenken habe ich, dass er nicht ernst genommen wird. Aber die Herausforderung ist, dass eben die junge Generation daran etwas ändern kann. Das könnte zu Beginn vielleicht die Art sein, wie das Thema betrachtet wird. Also allein schon die Tatsache, dass wir uns darüber unterhalten, ob Veränderungen überhaupt wichtig sind – und nicht darüber, was geändert werden sollte.“
Noch konkreter wird der 19-jährige Nick:
„Ich denke, dass die aktuelle tschechische Regierung nicht genug tut. Das ist hierzulande ein langfristiger Trend. Wir kämpfen gegen Elektroautos und das Verbot von Verbrennungsmotoren, und darauf wird die gesamte Diskussion über das Klima aufgebaut. Meiner Meinung nach sollte man sich mehr auf eine radikalere Erfüllung der EU-Ziele konzentrieren und nicht aus den Maßnahmen solche Schreckgespenster machen.“
Ähnlich sieht es die 22-jährige Anna:
„Gerade hier in Tschechien haben die Politiker und die Fachwelt eher Angst vor dem Thema Klimawandel, denn es bedeutet große Veränderungen für uns alle. Bei ihnen wird es vor allem darum gehen, dass wir unsere Bequemlichkeit aufgeben. Die Politiker und die Experten fürchten sich davor, dies den Menschen zu sagen. Sie wissen nicht wie. Es wird ein großes Problem werden, die Gesellschaft dazu zu bringen, sich damit abzufinden.“
Bei dieser Debatte könnten aber gerade junge Menschen helfen, also die Generation Z, meint die 16-jährige Emma:
„Ich finde, wenn die Politiker nicht wissen, wie sie das machen sollen, sollten sie sich mit uns Jüngeren unterhalten oder eben mit Leuten, die etwas davon verstehen. Die meisten wollen das aber nicht. Sie sagen dann eher, dass wir Jungen noch nichts erlebt hätten und wir uns einfach dem Studium widmen sollten. Oft wissen wir allerdings sehr gut, was wir für unsere Zukunft wollen. Denn wir sind es, die die nächsten Jahre hier leben werden. Die ältere Generation schiebt es aber auf uns ab, damit wir dann später etwas damit tun. Dann wird es jedoch zu spät sein.“
"Strukturwandel muss anständige Arbeitsplätze schaffen"
So mancher junge Mensch in Tschechien ist sich also bewusst, dass der Klimawandel sein gesamtes Leben beeinflussen wird. Für ältere Menschen bedeutet er in den nächsten Jahren vor allem einen Wandel am Arbeitsplatz. Der Kohleausstieg ist hierzulande für 2033 geplant, und in den großen Abbaugebieten in den Kreisen Mährisch-Schlesien, Karlovy Vary / Karlsbad sowie Ústí nad Labem / Aussig laufen die Transformationsmaßnahmen bereits an. Um über die bisherigen Erfahrungen mit der Dekarbonisierung in Deutschland zu berichten, war Frederik Moch zur Konferenz nach Prag gekommen. Er ist der Abteilungsleiter für Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der Kohleausstieg müsse als ein gerechter Wandel ablaufen, betonte Moch im Gespräch mit Radio Prag International und lobte den tschechischen Umweltminister Hladík für eben jene Bemerkung:
„Bei uns in Deutschland geht es darum, dass die Kohle bis 2038 aus dem Energiesystem hinausfliegen soll. Für uns ist es von Bedeutung, dass wir nicht nur über den Kohleausstieg reden, sondern vor allem über den Einstieg in die Energiewende, über den Umbau des Energiesystems und auch über wirtschaftliche Perspektiven für die Kohleregionen. Dabei ist uns wichtig, dass die Gewerkschaften an diesem Prozess auch intensiv beteiligt sind und dass es Sicherungsmaßnahmen für betroffene Beschäftigte gibt. So können zum Beispiel ältere Arbeitnehmer über ein Anpassungsgeld auch abschlagsfrei in die Rente kommen. Für Jüngere werden über Tarifverträge Qualifizierungsmaßnahmen festgelegt, und es gibt auch neue Jobangebote in den Unternehmen.“
Seit der Kohleausstieg in beiden Ländern beschlossene Sache ist, tauschen sich die Gewerkschafter in Deutschland und Tschechien darüber aus. Denn beim Strukturwandel müsse grenzübergreifend gedacht und gehandelt werden, begründet Moch. Obwohl es jeweils unterschiedliche wirtschaftliche Voraussetzungen gebe, seien Investitionen in neue Wertschöpfungsketten sowie in die Infrastruktur in beiden Ländern ein Thema:
„Man muss zu Tschechien schon sagen, dass die Arbeitsplätze in der Montanindustrie und im Bergbau gewerkschaftlich gut organisierte Bereiche mit anständigen Löhnen und guten Sozialleistungen sind. Nun stellt sich die Frage, wie die Arbeitsbedingungen in den neuen Branchen sein werden, wenn die Energiewende und grüne Jobs kommen. Da haben die Unternehmen natürlich eine Verantwortung, auch dort mit den Gewerkschaften zu verhandeln und für vernünftige Arbeitsbedingungen zu sorgen.“
Außerdem setze sich der DGB dafür ein, dass es auf EU-Ebene eine besondere Unterstützung für die mittel- und osteuropäischen Länder gebe, fügt Moch hinzu. Seiner Einschätzung nach ist Tschechien allerdings gar nicht so schlecht aufgestellt…
„Tschechien zeichnet sich seit der Wende Anfang der 1990er Jahre durch eine massive wirtschaftliche Dynamik aus. Es gibt viele private Direktinvestitionen, beispielsweise bei der Batteriezellenproduktion für die Automobilbranche und in anderen Bereichen der grünen Technologien. Auf deutscher Seite können wir einiges lernen, wie man solch eine wirtschaftliche Dynamik entfacht.“
So sei auch der Ausbau der erneuerbaren Energien ein Thema, bei dem Deutschland und Tschechien intensiv zusammenarbeiten könnten, findet der DGBler. Schließlich handle es sich um zwei befreundete Nachbarländer. Und deshalb könne man dabei kooperieren, dass die grüne Modernisierung auf beiden Seiten der Grenze für die Beschäftigten belastbar funktioniere, meint Frederik Moch.