Die Hilfsorganisation „Člověk v tísni“: Solidarität mit den Notleidenden
Der Name „Člověk v tísni – Mensch in Not“ ist in Tschechien ein Begriff. Die Hilfsorganisation steht für professionellen Einsatz in den Krisengebieten der Welt. Dank dieser unabhängigen Organisation ist Solidarität mit den Notleidenden in der tschechischen Gesellschaft kein Fremdwort mehr. Hinter dem Aufbau der Hilfsorganisation steht ein außergewöhnlicher Mann: der 41-jährige Šimon Pánek. Im November 1989 war er als Studentenführer an der „Samtenen Revolution“ beteiligt. Er bereiste den halben Erdball, arbeitete als Journalist und Krisenmanager. Als Šimon Pánek „Mensch in Not“ 1994 gründete, standen ihm eine Handvoll engagierter Mitarbeiter zur Seite. Heute ist die Hilfsorganisation eine der größten Mitteleuropas.
„Damals tat sich eine Gruppe von Studenten zusammen und organisierte die Hilfe. Das geschah völlig unabhängig von den offiziellen Strukturen und staatlichen Sammlungen für Armenien in der damaligen Tschechoslowakei. Unterstützt wurden wir dabei von der russischen Botschaft, die unter Gorbatschow freier war als die anderen Länder des Warschauer Paktes, also auch als die kommunistiche Regierung in der Tschechoslowakei. Wir machten erstmals die Erfahrung, dass diese Arbeit möglich und sinnvoll ist. Und wir stellten fest, dass es eine Idee und jede Menge Energie braucht, aber zugleich machbar ist, sogar unter den Kommunisten.“
Zwei Flugzeuge transportieren damals Tonnen von Hilfsgütern nach Armenien. Das tschechische Fernsehen berichtet von der gelungenen Aktion. Erstmals wird zu einer öffentlichen Spendenaktion aufgerufen, der viele Menschen bereitwillig folgen. Für die tschechoslowakische Gesellschaft hat die erste „von unten“ organisierte Hilfsaktion Signalwirkung. Zuerst engagiert sich Šimon Pánek 1989 als Studentenführer. Nach der Öffnung der Grenzen wird an ihn wieder eine neue Aufgabe herangetragen.
„Als Jaromír Štětina, einer der Gründerväter von „Mensch in Not“ und Korrespondent der Zeitung „Lidové noviny“ in der Sowjetunion, einige Wochen im Gebiet Bergkarabach verbrachte, schickte er uns die Nachricht: Organisiert Hilfe, Karabach hat sie dringend nötig! Ich habe kaum darüber nachgedacht und habe die Aufgabe angenommen. Anfang der 90er Jahre hatte ich Zeit, alles lag vor uns, alle Wege standen offen. Und auf diesen ersten Aufruf von Jaromír Štětina hin organisierten wir das erste Flugzeug mit Hilfsgütern nach Bergkarabach. Und dann kam eins zum anderen.“
Das Leben von Šimon Pánek dreht sich seit der Gründung von „Mensch in Not“ um Notleidende in vielen Ländern der Erde. Er organisiert Hilfstransporte und große Spendenaktionen. Die Bevölkerung in ganz Tschechien unterstützt die Hilfsaktionen, vor allem bei aktuellen Krisen: bei Überschwemmungen in Bangladesch, Indien oder im eigenen Land, der Tsunami-Katastrophe in Asien oder den Feuerverwüstungen in Griechenland. Für Šimon Pánek umfasst die Spendenproblematik mehr als nur das jährliche Millionenaufkommen:
„Man muss sich bewusst machen, dass ein relativ großer Teil der tschechischen Gesellschaft solidarisch ist. Die Tschechen sind solidarisch, wenn es um Krisen geht. Diese Einsicht gibt es für langfristige Hilfen, etwa für Projekte in den Entwicklungsländern, aber noch nicht. Das sind vor allem solche Probleme, über die nicht im Fernsehen oder auf den Titelblättern der Zeitungen berichtet wird. Da ist es schwer, dauerhaft Spenden zu bekommen. Dass dafür erst so langsam ein Bewusstsein entsteht, ist ein Problem aus der Zeit des Kommunismus. Der Kommunismus hatte uns 40 Jahre lang vom Rest der Welt abgeschnitten.“Die Einsicht, dass ein verbessertes Verständnis von den Problemen der Welt zu größerer Hilfsbereitschaft führt, hat neue Impulse für die Arbeit von „Mensch in Not“ gebracht. So ist beispielsweise ein Filmfestival zum Thema „Menschenrechte“ entstanden und Programme für den Schulunterricht. Mitarbeiter berichten in verschiedenen Informationsveranstaltungen über die Lebenssituation der Menschen in den Krisengebieten dieser Welt. An vielen Orten wird Überzeugungsarbeit geleistet. Zu Beginn war das kein leichtes Unterfangen, bestätigt Šimon Pánek:
„Die Mentalität ist hier immer noch sehr verschlossen. In den letzten 18 Jahren hat sich das natürlich wesentlich verbessert, aber es ist nicht zu vergleichen mit Ländern, hinter denen keine kommunistische Vergangenheit liegt, die offener sind oder am Meer liegen. Die Kommunisten haben den Menschen 40 Jahre lang eingetrichtert: ´Kümmert euch nur um euch selbst, eure Familie und den eigenen Garten!´ Darum ist es schwer, die Leute davon zu überzeugen, sich um mehr zu kümmern, als nur um das. Das ist ein echter Kampf gegen tief verankerte Stereotypen, die wir hier in der Gesellschaft vorfinden.“
Die Erfahrungen aus der kommunistischen Zeit fließen in die Arbeit von „Mensch in Not“ ein. Die Hilfsorganisation unterstützt aktiv Menschen, die gegen totalitäre Regime kämpfen. Dazu Šimon Pánek:
„Wir versuchen etwas von dem Know-how weiterzugeben, das wir in den letzten 18 Jahren durch die Erfahrungen mit der Transformation in Mittel- und Osteuropa gesammelt haben. In diesem Sinne können wir uns am Aufbau einer besser funktionierenden Gesellschaft in einigen Ländern beteiligen. Aber es gibt Länder, in denen das leider bisher noch nicht möglich ist. Da geht es vor allem um die klassische Unterstützung von Dissidenten, Opposition und unabhängigen Journalisten. Genauso wie es in der Zeit des Kommunismus bei uns ablief.“
Die Unterstützung der Menschenrechte etwa auf Kuba oder Burma setzt „Mensch in Not“ im eigenen Land wirksam in Szene: Bekannte Persönlichkeiten lassen sich in Häftlingskleidung für einige Stunden in eine nachgebaute Gefängniszelle auf dem Wenzelsplatz in Prag einsperren. Dies ist eine angesehene und von der Gesellschaft längst akzeptierte Aktion. „Mensch in Not“-Chef Šimon Pánek weiß schon länger, dass es leichter ist, auf Menschenrechte und soziale Probleme in fremdem Ländern aufmerksam zu machen, als im eigenen Land. Mit dem Programm der sozialen Integration der Roma stieß die Hilfsorganisation auf Widerstände:
„Zu den größten realen Problemen in der Tschechischen Republik gehört die soziale Ausgrenzung der überwiegend aus Roma bestehenden Gemeinschaften. Darum haben wir im Jahr 1999 damit begonnen, uns mit den sozialen Problemen der Roma zu beschäftigen. Es geht primär um die Fragen von Bildung, Wohnsituation oder die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wir müssen manchmal erklären, warum wir nicht bei unserem traditionellen Engagement für Afrika bleiben. Viele Leute in Tschechien können nicht einsehen, dass es sich um ein gemeinsames Problem handelt. Entweder haben sie Vorurteile, schlechte Erfahrungen oder ihnen fehlt die Fähigkeit, das Problem rational zu erfassen.“
Dabei ist die Botschaft der Hilfsorganisation eindeutig. Dies zeigt auch die Antwort eines Passanten auf die Frage, was er mit „Mensch in Not“ verbindet:
„Sie sammeln Hilfsmittel in Situationen und für Menschen, die es dringend brauchen. Und das auf der ganzen Welt.“