Hilfe für Menschen in Not: Die NGO Člověk v tísni bekam vor 30 Jahren ihren weltweit bekannten Namen
Člověk v tísni (zu Deutsch: Mensch in Not) ist eine der größten nicht-staatlichen Hilfsorganisationen in Tschechien. Sie zählt derzeit rund 3000 Mitarbeiter, wobei etwa 2200 von ihnen im Ausland tätig sind. Gegründet würde die NGO 1992. Aber ihren fast schon ikonischen Namen hat sie sich im März 1994 gegeben, also vor genau 30 Jahren. Aus diesem Anlass haben wir Gründer und Direktor Šimon Pánek vor das Mikrofon gebeten.
Herr Pánek, die Organisation Člověk v tísni wurde schon 1992 gegründet – damals noch als Nadace Lidových novin, also Stiftung der Lidové noviny, einer der größten Tageszeitungen. Den Namen, unter dem die NGO heute bestens bekannt ist, bekam sie am 21. März 1994. Damals wechselte die Stiftung zum öffentlich-rechtliche Tschechischen Fernsehen über. Warum?
„In den ersten beiden Jahren hatten wir unseren Sitz im Prinzip unter dem Dach der Lidové noviny. Dies kam so, weil der damalige Moskauer Berichterstatter, der Journalist Jaromír Štětina, nach dem Ende des Kommunismus in einer Reihe von Konfliktregionen unterwegs war. Wir kannten uns und waren zusammen ein wenig gereist. Štětina wusste, dass ich 1988 gemeinsam mit Freunden schon Erdbebenhilfe für Armenien organisiert hatte. Von Moskau aus forderte er mich also auf, gemeinsam Hilfsprojekte zu starten. Mit der Redaktion von Lidové noviny hatte er verabredet, dass sie uns Büros zur Verfügung stellte und auch medialen Raum, über den wir unsere Pläne kommunizieren und die Öffentlichkeit um Spenden bitten konnten. 1993 haben wir aber auch schon die große Kampagne ‚SOS Sarajewo‘ mit dem Tschechischen Fernsehen gestartet. Dabei zeigte sich, dass die Kraft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens viel größer ist als die von Lidové noviny.“
Erinnern Sie sich noch daran, wie der Name entstand?
„Wir ließen uns vom Beispiel des österreichischen staatlichen Fernsehens anleiten, das Mitorganisator einer großen Spendenkampagne war für die Unterstützung im ehemaligen Jugoslawien namens ‚Nachbar in Not‘. Das hat uns auch zu unserem Namen inspiriert. ‚Nachbar in Not‘ und ‚Mensch in Not‘ ist ja nicht weit voneinander entfernt.“
Der Name Člověk v tísni, also Mensch in Not, ist heute schon fast ikonisch, er ist eine bekannte Marke. Denken Sie mitunter darüber nach, ob er noch zeitgemäß ist? Heute betont man ja nicht mehr die Not und Hilfsbedürftigkeit der Menschen in ärmeren Ländern, sondern eher die Unterstützung zur Selbsthilfe.
„Sie haben Recht, dass es in den letzten Jahren bestimmte Trends gibt bei den Auffassungen über das Auftreten, die Kommunikation und die Vermittlung von Botschaften. Dazu gehört sicher auch die Betonung des positiven Teils unserer Arbeit. Aber selbst wenn manchmal danach gefragt wird, stellen wir unseren Namen nicht in Frage – zumindest ich und auch der engere Führungskreis nicht. Wir sind nicht die einzige Organisation, die eine Sorge äußert. Von ihnen gibt es viele, und die können sich ja nicht alle umbenennen. Wir haben aber unser Logo geändert.“
Im ersten Jahr der Organisation gab es große Sammlungen für Bosnien und auch Bergkarabach – eine Enklave, die heute nicht mehr existiert. Aber schon im zweiten Jahr erweiterte sich die Arbeit auf Afrika, mit einer Sammlung für Somalia. Hatten Sie von Anfang solch große Pläne? Und sind Sie von einer langen gefestigten Existenz der Organisation ausgegangen?
„Wir hatten gar nichts geplant. Wir waren eine Gruppe von Freiwilligen, und die ersten zwei Jahre verliefen im Prinzip ohne Bezahlung. Wenn wir auf den Balkan fuhren, bekamen wir manchmal 100 D-Mark, um uns versorgen zu können. Aber die Organisation wuchs weiter an, und immer gab es neue Herausforderungen. So wie etwa Ende der 1990er Jahre die Mauer, die ein Bürgermeister in der Nähe von Ústí nad Labem zwischen den Wohnsiedlungen und der Roma-Gemeinde bauen ließ. Wir haben uns gesagt, dass wir doch schon einmal eine Mauer hatten und heute froh sind, dass sie weg ist. Also wollten wir uns auch im Inland engagieren, hinsichtlich des Zusammenlebens der Mehrheitsbevölkerung und der Roma-Minderheit. Das war 1997, und 27 Jahre später sind wir eine der größten Organisationen, die sich in Tschechien mit Minderheiten, sozialer Arbeit, aber auch der politischen Agenda beschäftigt.“
Zu Beginn von Člověk v tísni stand die Hilfe für Bosnien und Herzegowina, wo Krieg herrschte, aber auch für Tschetschenien. Gab es in den letzten 30 beziehungsweise 32 Jahren Zeiten, in denen Sie glaubten, dass es keinen Krieg mehr so nah, also in Europa geben würde?
„Bei meinen Reisen auf den Balkan Mitte der 1990er Jahre – also vor langer Zeit – habe ich wirklich gedacht, dass die Welt nun langsam besser funktionieren wird und nicht mehr passieren kann, was ich dort erlebt habe. Die ersten toten Zivilisten, verbrannten Dörfer und sogar Massengräber, in denen die Körper von Zivilisten mit einem Bagger zusammengeschoben wurden, habe ich eben auf dem Balkan und auch in Tschetschenien gesehen – was ganz ähnlich war wie die Massengräber, die nun in der Ukraine gefunden werden. Damals war ich 25 Jahre alt und dachte, dass diese Probleme doch gelöst werden müssen. Ich meinte, dass es auf der Welt ein Mindestmaß an Werten, Rationalität und Zusammenarbeit geben muss, damit keine Zivilisten mehr ermordet und keine ethnischen Säuberungen wie etwa in Bosnien mehr durchgeführt werden. Da habe ich mich geirrt. Ich würde sagen, dass die Welt heute noch schlimmer dran ist als in den 1990er Jahren. Dieser riesige Krieg, also Putins Aggression gegen die Ukraine, ist etwas, das wir uns nicht haben vorstellen können.“
Für den Text haben wir nur einige Auszüge aus dem Interview mit Šimon Pánek, dem Direktor von Člověk v tísni, ausgewählt. Das ganze Gespräch hören Sie in der Audioversion.