Pläne und Perspektiven: das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren
Das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren hat inzwischen seinen festen Platz im Prager Kulturleben gefunden. Es will nicht nur museal an die große Tradition der deutschen Literatur in und aus Prag erinnern, sondern auch ganz lebendig die Literaturbeziehung zwischen Tschechien und dem deutschsprachigen Raum präsentieren. Um Gegenwart und Zukunft des Literaturhauses geht es im folgenden Kultursalon. Zu Gast bei Thomas Kirschner ist die Geschäftsführerin des Hauses, Lucie Cernohousova.
"Die Idee zu dem Literaturhaus gibt es schon viel länger als anderthalb Jahre. Die ersten Überlegungen stammen aus den 60er Jahren, als die Schriftstellerin Lenka Reinerova und der Prager Germanistikprofessor Eduard Goldstücker ein Museum der Prager deutschen Literatur geplant haben. Das ist dann leider an den politischen Umständen gescheitert. Erst im Jahr 2004 wurde die Idee wieder aufgenommen und es ein Stiftungsfond ´Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren´ gegründet."
Welche Ziele hat sich das Literaturhaus gesteckt?
"Das Ziel des Literaturhauses ist es, die Tradition des multikulturellen Lebens hier in Prag wiederzuerwecken, und natürlich wollen wir auch die deutschsprachige Literatur, die hier in den böhmischen Ländern entstanden ist, dem Publikum präsentieren. Man kennt Franz Kafka, aber es waren wesentlich mehr deutschsprachige Autoren, die hier geschrieben und gelebt haben und die auch die tschechische Literatur beeinflusst haben - so zum Beispiel Paul Leppin, Leo Perutz, Franz Werfel und Max Brod, um nur einige bekanntere Namen zu nennen. Allein in Prag können wir rund 90 deutschsprachige Autoren aufzählen, und auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik ist die Zahl nochmals wesentlich größer."
Nun eröffnet man ein Literaturhaus ja nicht wie einen Supermarkt - erst die Regale einräumen, und wenn alles fertig ist, werden die Türen aufgemacht und die Kunden können kommen. Bei einem Projekt wie dem Literaturhaus muss ein Konzept entwickelt und das dann Schritt für Schritt ins Leben gebracht werden - das schließt sicher oftmals auch Versuch und Scheitern mit ein. Wo steht das Prager Literaturhaus nach anderthalb Jahren?
"Momentan ist das Prager Literaturhaus noch kein Haus, sondern vielmehr ein Literaturbüro. Aber wir haben im August unsere Bibliothek, die sich auf die deutschsprachige Literatur aus den böhmischen Ländern spezialisiert, eröffnet und auch beim Kultusministerium registrieren lassen. Um noch mehr Kontakt zu der Öffentlichkeit zu bekommen, haben wir außerdem mit den ersten Veranstaltungen begonnen. Das ist also quasi der Ist-Zustand. Für die Zukunft wünschen wir uns, größere Räumlichkeiten zu bekommen, um das Prager Literaturhaus in der ganzen geplanten Fülle realisieren zu können. Unser Konzept ist, ein interaktives Präsentationszentrum einzurichten, in dem wir die geschichtlichen Bezüge und den gesamten Kontext nicht nur der Prager deutschen Literatur, sondern überhaupt der deutschsprachigen Literatur aus den böhmischen Ländern vorstellen können. Ich nenne das nur ungern Museum, denn der Besucher soll von uns nichts vorgesetzt bekommen - wir möchten vielmehr, dass er sich selbst mit dem Thema aktiv beschäftigt. Er soll die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden: will er sich tiefer mit einem Thema befassen oder will er nur an der Oberfläche bleiben. Der Bonus dazu ist, dass der Besucher mit den präsentierten Ausstellungsstücken direkt arbeiten darf. Es ist nicht nur so, dass er zum Beispiel die Kopien von Kafkas Tagebüchern in die Hände nehmen darf - er soll es sogar! Wenn er Interesse hat kann der die Tagbücher, die Fotos oder verschiedenen Dokumente durchblättern und mit ihnen arbeiten."
Das sind nun allerdings noch Zukunftspläne. Wie sieht es heute aus? Wenn ich als Besucher zum Literaturhaus komme - was kann ich machen?
"Das sind in der Tat noch Zukunftspläne. Wenn man jetzt zu uns kommt, dann findet man ein Büro mit einem Schreibtisch, einem bequemen Sofa und einer Bibliothek, die rund 1000 Bände umfasst. Das ist das, was wir vor Ort haben. Aber wir führen, wie gesagt, mit unseren Partnern auch Veranstaltungen durch - zum Beispiel im Tschechischen Zentrum oder - jetzt ganz neu - an jedem dritten Sonntag im Monat ein Literaturtreffen bei Kaffee und Kuchen im Hotel Arcotel, wo wir diese Literatur der Öffentlichkeit gerne auch im gemütlichen Rahmen präsentieren möchten."
Das Literaturhaus, wir haben es gehört, ist noch kein Haus, aber wir drücken die Daumen, das es bald eines wird! Interessanterweise bekommt es trotzdem schon bald Bewohner: Das Literaturhaus vergibt ein literarisches Austauschstipendium...
"Genau. Im Herbst beginnen wir mit einem Stipendienprogramm für Schriftsteller. Wir nennen das ´Literarische Residenzen´. Dieses Programm führen wir gemeinsam mit dem hessischen Literaturrat und dem Hotel Arcotel durch. Wir haben zunächst ein Stipendium für einen tschechischen Schriftsteller ausgeschrieben. Der wird im November für einen Monat nach Wiesbaden in die Villa Clementine ziehen und dort schreiben können. Und im Januar kommt dann ein deutschsprachiger Schriftsteller zu uns nach Prag."
Müssen diese Schriftsteller irgendwelche deutsch-tschechischen Bezüge haben oder eine Verwandtschaft zur Prager deutschen Literatur vorweisen können?"Eigentlich nicht. Worum es uns bei dem Stipendium geht: Wir wollen das wechselseitige Beeinflussen der Kulturen im schriftstellerischen Bereich fördern - das, was hier noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Prag gelebt wurde, als sich die deutschen und tschechischen Schriftsteller getroffen und wechselseitig in ihren Werken beeinflusst haben. Was ich interessant finde, ist das unsere Stipendiaten von außen einen neuen Blick auf das Heimische, das Vertraute mitbringen. Die Tradition zur Prager deutschen Literatur sehe ich darin, dass ein deutschsprachiger Schriftsteller die Möglichkeit hat, im tschechischen literarischen Umfeld zu schreiben und sich vom Genius loci Prags und der Muse der Stadt inspirieren zu lassen."
Der Schriftstelleraustausch zeigt eines sehr schön, nämlich, dass das Literaturhaus kein reines Museum der Prager deutschen Literatur sein, sondern an einer lebendigen Gegenwart anknüpfen will.
"Genau, wir wollen keineswegs nur museal sein. Der lebendige Aspekt des Literaturhauses kam zum Beispiel beim ´Treffen dreier Generationen´ im Mai zum Ausdruck, wo wir auf einer Bühne drei deutschsprachige Schriftsteller mit tschechischen Wurzeln versammelt haben - Lenka Reinerova für die älteste Generation, daneben den Prager Jan Faktor, der in Berlin lebt, und Michael Stavaric aus Wien, der in Brünn geboren worden ist. Die drei haben sich dort getroffen, und dabei ging es uns darum zu zeigen, dass es auch weiterhin eine gewisse Tradition deutschsprachiger Literatur aus Tschechien gibt."
Weit mehr als ein Museum möchte das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren sein. Im Studio von Radio Prag war heute Lucie Cernohousova, die Geschäftsführerin des Literaturhauses. Vielen Dank für das Gespräch.