Plakat: Kunst oder Werbung?

Victor Theodor Slama

Wir begegnen ihnen auf den Straßen, an Häuserecken, Mauern und Zäunen und widmen ihnen manchmal weniger manchmal mehr Aufmerksamkeit. Sie prägen das Stadtbild, schaffen die städtische Atmosphäre, vor allem jedoch transportieren sie Informationen, machen auf etwas aufmerksam, werben für etwas: die Plakate. Markéta Maurová will Sie in den folgenden Minuten in eine Ausstellung einführen, die eben der Plakatkunst gilt.

Julius Klinger: 8. Kriegsanleihe
Im "Museum für Kunstgewerbe" in Prag wurde in der vergangenen Woche eine Ausstellung mit dem Namen "Plakate aus Wien" eröffnet. Sie zeigt 100 Plakate, die in den letzten 120 Jahren entstanden sind und den Ruf Wiens als "Metropole des Plakats" bekräftigen wollen. Die Ausstellung wurde aus den Sammlungen der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und des Prager Kunstgewerbemuseums zustande gebracht. Die Vernissage habe ich genutzt, um die beiden Kuratoren, Markus Feigl aus Wien und Petr Stembera aus Prag, ans Mikrophon zu bitten und mich mit ihnen über die Plakatkunst und deren Entwicklung zu unterhalten. Das Wort bekommt zunächst Markus Feigl...

Die Ausstellung, die im Prager Museum für Kunstgewerbe eröffnet wird, zeigt Plakate aus Wien. Seit wann kann man eigentlich von der Plakatkunst sprechen?

"Von der Plakatkunst als solche, würde ich sagen, kann man seit der Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen."

Victor Theodor Slama
Und was charakterisiert diese Kunst bzw. diese Kunstgegenstände? Ist die künstlerische Seite wichtiger, oder die Aufgabe jemanden anzusprechen, für etwas zu werben?

"Von den klassischen Plakaten ist es das Bestreben für etwas zu werben, auf etwas aufmerksam zu machen. Sicherlich, ja."

Und was für künstlerische Mittel können zu diesem Zweck gebraucht werden?

"Ich würde sagen, so alle Möglichkeiten, alle Mittel der bildenden Kunst. Wenn man sich die frühen französischen Plakate, die Plakate von Alfons Mucha ansieht, oder auch die von Klimt, das sind schöne Bilder, großartige Bilder."

Wie wurde die hiesige Ausstellung gestaltet?

"Chronologisch. Wir möchten einen Querschnitt durch das Wiener Plakatschaffen zeigen, von 1883 bis heute. Das jüngste Plakat stammt aus 2003."

Nach welchen Aspekten haben Sie die Plakate ausgewählt? Sind es nur Plakate, die etwa für Ausstellungen werben, oder auch politische Plakate, oder Plakate, die für bestimmte Waren werben?

"Es sind hauptsächlich kulturelle Plakate, aber nicht nur. Also es sind auch beispielhaft politische Plakate und Plakate, die für bestimmte Produkte werben, enthalten, allerdings nur dann, wenn sie auch erstens schön sind und zweitens mir gefallen."

Wie sieht die heutige Lage in der Plakatkunst aus? Kann man immer noch gute, schöne Plakate finden?

Kornelius Tarmann
"Na ja, wir hoffen, mit dieser Ausstellung zu zeigen, dass wir auch heute noch gute Plakate finden können. Dadurch, dass etwa die Hälfte der Exponate aus der Zeit nach 1955, nach 1960 ist, und man kann sehen, es gibt auch heute gute Plakate, das Problem ist nur, man muss heute etwas länger suchen, um sie zu finden."

Die Plakate haben früher das Bild der Straßen geprägt. Ist das heute immer noch der Fall?

"Wenn Sie nach Wien kommen, werden Sie eine unglaubliche Menge von Plakaten sehen, leider werden Sie eine unglaubliche Menge von schlechten Plakaten sehen. Wenn man genau sucht, man findet noch die guten. Aber das Plakat prägt noch tatsächlich das Stadtbild."

Die Ausstellung, die aus Wien hierher gebracht wurde, wurde auch durch Plakate aus den Prager Sammlungen ergänzt. Was hat Prag angeboten?

"Prag hat mit sehr wertvollen, großartigen und wunderbaren Plakaten der Wiener Sezession und des Wiener Hagen-Bunds dazu beigetragen. Das sind Plakate, die die Ausstellungen der Wiener Vereinigung bildender Künstler ankündigen, und z.B. das erste dieser Plakate ist von Gustav Klimt gestaltet. Man kann es auch hier sehen. Sehr viele Plakate sind von Koloman Moser. Also der Beitrag des Kunstgewerbemuseums in Prag ist ein ganz wesentlicher."

Über die Plakatkunst habe ich auch mit Petr Stembera vom Kunstgewerbemuseum Prag gesprochen. Er erzählte mir über den tschechischen Beitrag zur Ausstellung sowie über die Beeinflussung des tschechischen Schaffens in diesem Bereich durch die Österreicher:

"Diese älteren Sachen stehen der Stadt- und Landesbibliothek in Wien in einer so kompletten Sammlung, wir wir sie haben, nicht zur Verfügung. Wir haben die Ausstellung daher ergänzt, damit hier auch der Beginn gezeigt wird, der auch für unsere Länder, wenn auch mit einer gewissen Verspätung, inspirierend war. Aus dem Wiener Plakat, insbesondere aus den Plakaten der Sezession verschwand sehr bald das eigentliche Bild. Es kamen darauf immer mehr die stilisierte Schrift und das stilisierte Dekor vor. Dies kann man u.a. etwa auf den Bildern von Klimt sehen, wo man auf einmal verschiedene kleine geometrische Formen sieht."

Eine ähnliche Entwicklung wie in Wien traf mit einer gewissen Verspätung auch hierzulande ein...

"Es dauerte eine bestimmte Zeit, dann war aber auf einmal Schluss mit dem künstlerischen Plakat. Es wurde zum reinen Dekor, später zur Schrift. Und dann kam der Weltkrieg, und da gab es überhaupt keine Plakate. Nach dem Weltkrieg brauchte man Papier für alles mögliche, also gab es keines für Plakate usw. Dann kamen die 20er Jahre, die Erste Republik sowohl bei uns als auch in Österreich, und in dieser Zeit läuft die Entwicklung wieder parallel. Nicht nur hierzulande und in Österreich, sondern auch etwa in Frankreich, das hinsichtlich des Plakats und der Werbung eine führende Rolle spielte, verwandelte sich das Plakat in Werbung. Die Plakate wurden von ganz anderen Menschen als früher gestaltet. Zur Zeit der Wiener Sezession wurden die Plakate von großen Künstlern gemacht. Nun entstanden auf einmal Werbeateliers, Werbestudios usw., die oft mit den Firmen verknüpft waren, für die sie Werbung machten. Aus dem Plakat entwickelte sich etwas sehr Spezialisiertes und die Werbung war ohne solche Leute nicht mehr möglich."

Dieser Trend setzte sich auch im Laufe des 20. Jahrhunderts fort. Es gab immer mehr Spezialisten, die ihr Handwerk machten, um etwas zu verkaufen, und weniger Künstler im Bereich des Plakats. Über das Verhältnis zwischen Kunst und Plakat erzählte mir Petr Stembera weiter:

"Dabei entsteht immer ein Problem: die Kunst war nie für alle Leute bestimmt, und das Plakat schon, es war für die Massen gemacht. Und nun scheint es, als ob die Künstler die Massen gewinnen wollen. Es ist sehr kompliziert. Ich weiß eigentlich nicht, ob es sich um Kunst handelt oder nicht. Aber vielleicht ist es auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass es existiert und fähig ist, jemanden anzusprechen. Das Plakat interessiert wohl mehr Leute als etwa die Gegenwartskunst."

Und wie sieht die Lage heute aus? Wenn man durch die Straßen tschechischer Städte bummelt, kann man dort auf interessante und qualitative Plakate stoßen?

"Ja, aber nur diejenigen, die sozusagen schwarz plakatiert werden. Ich gehe manchmal durch Prag und sehe auf Säulen oder auf Fenstern dicke Schichten von Plakaten. Diese sind eher inoffiziell: Junge Leute schaffen ein Plakat für eine Ausstellung, ein Konzert, eine Theatervorstellung, hängen dieses aus und fragen niemanden. Das finde ich toll. Diese Plakate stellen häufig keine große Kunst dar, darum geht es aber nicht. Sie sind lebhaft, ich glaube lebhafter als die moderne Kunst in der Nationalgalerie."

Soweit, liebe Hörerinnen und Hörer, unser heutiger Kultursalon über die Rolle und Entwicklung der Plakatkunst. Die Ausstellung "Plakate aus Wien", die als Anregung dafür diente, ist im Prager Kunstgewerbemuseum bis zum 25. Mai zu sehen. Auf ein Wiederhören mit Ihnen auf den Wellen von Radio Prag freuen sich Silja Schultheis und Markéta Maurová.