Buchstabensalat, Markenzeichen, Kartenhaus: So sehen Kunststudierende europäische Identität
Alle reden von Europa, doch was es nun eigentlich bedeutet, lässt sich schwer in Worte fassen. Noch schwieriger wird es bei der Frage nach der europäischen Identität, die schon so manchen überzeugten EU-Bürger sprachlos gemacht hat. Der Beirat für internationale Beziehungen in Prag hat europäischen Kunststudierenden die Gretchenfrage gestellt: Die Antworten wurden in Form von Plakaten geliefert - und sagen mehr als Tausend Worte. Sandra Dudek hat sich bei der Plakatausstellung in der Prager Karlsuniversität ein Bild über die europäische Identität aus der Sicht junger Menschen gemacht:
Das also ist sie, die "europäische Identität": Eine sattgelbe Fläche, auf die in blauen Buchstaben zwei Wörter geschrieben stehen, die keiner europäischen Sprache zugeordnet werden können. Vielmehr sind es die besonderen Merkmale der europäischen Sprachen, wie Häkchen und Akzente, die die einzelnen Buchstaben der beiden englischen Wörter "european identity" verändern. Trotzdem aber kann man die Wörter lesen und verstehen - und damit gleichzeitig auch auf einen Blick erfassen, wie die europäische Identität für Tomas Riha aussieht:
"Im europäischen Sinn heißt das, dass jede Nation etwas von sich mitbringt Als ich darüber nachdachte, was mitgebracht wird und wie sich das am besten grafisch darstellen lässt, sind mir die Buchstaben und die nationalen Eigenheiten der jeweiligen Sprache als eines der wichtigsten Dinge eingefallen, also die Häkchen über den Buchstaben, die Akzente, das weiche R, das dänische O oder der deutsche A-Umlaut."
Tomas Riha, Student an der Fakultät für angewandte Kunst und Design in Usti nad Labem, ist Sieger des ersten Plakatwettbewerbs, den der tschechische Beirat für internationale Beziehungen an Kunsthochschulen in den Ländern der Europäischen Union ausgeschrieben hat. Den zweiten Platz hat der Belgier Laurence Vandenbroucke gewonnen, auf dem dritten Platz folgt die Arbeit der Finnin Hanna Konola. Insgesamt haben 167 Studentinnen und Studenten aus acht EU-Ländern eine visualisierte Antwort auf die Frage nach der europäischen Identität abgegeben. Dabei wurde ganz bewusst die bildliche Darstellung über das Medium Plakat gewählt, wie Jirina Dienstbierova, die Organisatorin der Ausstellung, erläutert:
"Wir glauben, dass die Europäische Union sehr wichtig ist und dass es auch sehr wichtig ist, mit der jungen Generation darüber zu sprechen. Denn das unter Anführungszeichen "politische Gefasel" interessiert niemanden mehr so richtig und das ist ein ganz anderer Blick, ein anderer Ausdruck und damit wird, wie man heute sagt, die richtige Zielgruppe angesprochen."
Ein wichtiger Impuls für die Organisation des Wettbewerbs sei gewesen, selbst aktiv zu werden und einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Europäischen Union zu leisten. Die Tschechische Republik, so Jirina Dienstbierova, werde von den "alten Ländern" oft "schief angesehen" und wolle nicht immer nur hinterherhinken. Allerdings hatten zumindest die jüngeren Tschechinnen und Tschechen schon vor dem EU-Beitritt ihres Landes ein stark ausgeprägtes Europa-Bewusstsein. Dies geht aus einer länderübergreifenden Studie zum Thema "Jugend und europäische Identität" hervor, die die Internationale Universität Bremen im Jahr 2002 durchgeführt hat. Dabei wurden insgesamt 4000 junge Menschen aus zehn europäischen Städten zu ihrem Verständnis von europäischer Identität und Europa befragt. Für die jungen Slowaken und Deutschen beispielsweise ist Europa mit der Europäischen Union gleichzusetzen, während die Tschechen die kulturelle Wertegemeinschaft als das zentrale Merkmal Europas empfinden. Die Spanier wiederum verbinden Europa in erster Linie mit dem Euro. Gewisse "Ländertrends" in Bezug auf das Verständnis von europäischer Identität lassen sich auch in der inhaltlichen Gestaltung der Plakate feststellen. Dem Wettbewerbssieger Tomas Riha ist dabei ein wiederkehrender Zugang aufgefallen:
"Viele Plakate, die ich hier sehe, deuten auf eine gewisse Kommerzialisierung hin und das ist nicht gerade der richtige Weg. Es sollte eher um geistige als um wirtschaftliche Werte gehen. Zum Beispiel das Plakat, auf dem die europäische Flagge zu sehen ist, bei der sich aus den Sternen das Markenzeichen von Mc Donald´s herausbildet."
Wie bei dem Gestalter dieses Plakats, dem Franzosen Sebastien Riveron, setzen auch andere, meist nichttschechische Kunststudierende bekannte Firmennamen und Markenartikel in Bezug zur europäischen Identität. Ebenso kommt häufiger das Euro-Zeichen vor. Auf einigen Plakaten finden sich auch Symbole aus der Geschichte und Politik, die grafisch verändert wurden: Die tschechische Studentin Veronika Korinkova beispielsweise lässt den römischen Loorberkranz allmählich in ein Hakenkreuz übergehen, das sich dann in Hammer und Sichel verwandelt, bevor daraus letztendlich der Sternenkranz der Europäischen Union wird.
Insgesamt ist die Ernsthaftigkeit auffallend, mit der die jungen Menschen an das gestellte Thema herangegangen sind. Nur auf wenigen Plakaten ist ein humorvoller Zugang erkennbar, in keinem Fall jedoch ist er ironisch. Insbesondere die tschechischen Kunststudierenden setzen die europäische Identität mit äußerst fragilen Symbolen gleich. Dazu Tomas Riha:
"Gerade bei uns ist das Bild von der EU in den Medien nicht besonders positiv. Die Europäische Union präsentiert sich als etwas Zerbrechliches, wie das Kartenhaus zeigt."
Obwohl dieses Kartenhaus von Barbora Typltova mit dem Satz "Jeder Teil ist wichtig" versehen ist, kann man sich doch nicht des Eindrucks erwehren, dass es jeden Augenblick in sich zusammenfallen müsse. Auch das mit Tieren übervolle Boot auf dem offenen Meer von Iva Tattermuschova scheint kurz vor dem Kentern zu sein. Und Lukas Veverka setzt das Annehmen der europäischen Identität mit dem fast vollständigen Verlust der eigenen gleich. Auf seinem als Inserat gestalteten Plakat steht Folgendes geschrieben: "Tausche 100 Prozent Souveränität gegen 3 Prozent Macht!"
Eine ebenfalls wiederkehrende Herangehensweise an die Thematik ist die Gleichsetzung der europäischen Identität mit der Menschwerdung. So ist auf manchen Plakaten die Befruchtung von Eizellen oder auch ein Ultraschallbild mit einem Ungeborenen zu sehen. Dies zeigt deutlich, dass für viele junge Menschen Europa erst im Entstehen begriffen ist. Wenn man an die Verhandlungen mit weiteren Beitrittsländern denkt, dann muss man ihnen dabei wohl auch Recht geben. Und so soll die Fragestellung zur europäischen Identität in einem weiteren Wettbewerb wiederholt gestellt werden - und zwar auch an die jungen Menschen, die noch nicht in einem EU-Mitgliedsland leben, sich aber vielleicht schon heute europäisch fühlen. Dazu Jiri Dienstbier, Vorsitzender des Beirats für internationale Beziehungen:
"Die Ausstellung wird wandern und da wir sie in doppelter Ausführung haben, wird sie ab Anfang Juni sowohl in Warschau als auch im Europäischen Parlament in Brüssel zu sehen sein. Wir verstehen diese Ausstellung als Beginn und in einem Jahr haben wir eine ähnliche geplant. Dabei wenden wir uns dann an weitere Länder, die diesmal noch nicht teilgenommen haben, und konkret an die Länder, die schon Beitrittskandidaten sind oder einmal der EU beitreten wollen, also alle Balkanländer, die Türkei, die Ukraine usw."Die Plakatausstellung ist noch bis zum 15. März im Carolinum, dem Hauptgebäude der Karlsuniversität Prag, auf dem Ovocny trh zu sehen. Ein Blick auf die facettenreiche europäische Identität, wie sie von Kunststudierenden visualisiert wurde, ist auch virtuell möglich: Auf der Internetseite des tschechischen Beirats für internationale Beziehungen kann unter der Adresse www.rmv.cz der Ausstellungskatalog heruntergeladen werden.
Fotos: www.rmv.cz
Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:
www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union
www.euroskop.cz
www.evropska-unie.cz/eng/
www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online
www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt