„Playing Kafka“: Kafkas Geschichten am PC nachspielen – zuhause wie in der Schule
Einmal in die verwirrende Welt von Josef K., der Hauptperson von Kafkas Roman „Der Prozess“, eintauchen: Das geht bei dem Videospiel Playing Kafka. Ein Teil des Spiels ist bereits frei verfügbar, das gesamte Produkt soll im kommenden Jahr erscheinen.
Sie sind Josef K., die Hauptperson von Kafkas „Prozess“. Sie sind angeklagt. Sie wissen wie Josef K. nicht, warum. Sie haben mit Menschen zu tun, die blind Befehle befolgen, ohne irgendetwas zu wissen. Sie befinden sich in einem Gerichtsprozess, in dem ihnen nicht gesagt wird, was sie falsch gemacht haben, und von Ihnen wird erwartet, dass sie ihre Verhaftung akzeptieren. Was würden Sie tun?
Sich da hineinzuversetzen ist jetzt möglich im Videospiel „Playing Kafka“. Jener Teil, der Kafkas „Der Prozess“ nacherzählt, ist bereits veröffentlicht. Er darf als Vorgeschmack verstanden werden. Das gesamte Spiel soll ab kommendem Jahr zu Kafkas 100. Todestag kostenlos erhältlich sein. Dann auch auf Deutsch, bisher kann man es nur auf Tschechisch und Englisch erleben. Zum „Prozess“ kommen noch Teile hinzu, die sich am Roman „Das Schloss“ und an den „Briefen an den Vater“ orientieren. Produziert wurde „Playing Kafka“ vom Goethe-Institut und dem Prager Spielestudio Charles Games. Monika Loderová ist von Seiten des Goethe-Instituts verantwortlich für das Spiel:
„Als sich das Kafka-Jubiläum näherte und wir darüber nachdachten, mit welchen Formaten wir an den Schriftsteller erinnern können, entstand schnell die Idee eines Videospiels. Wir hatten schon in den Jahren davor Kontakt mit dem Entwicklerstudio Charles Games, konnten daher gut an die Gespräche anknüpfen und diesen Gedanken weiter entwickeln.“
Bei der Produktionsfirma Charles Games blieben anfangs dennoch Zweifel, erzählt Ondřej Paška, der technische Leiter des Studios. Sie hätten sich gefragt, ob Kafkas Geschichten sich überhaupt eignen würden für ein Videospiel. Und ob sie noch relevant seien. Diese Bedenken hätten sich aber schnell erledigt, fährt der Spieleentwickler fort:
„Je mehr wir darüber gesprochen haben, desto mehr sahen wir die Aufgabe, aus Kafkas Geschichten ein Videospiel zu gestalten, als eine spannende Herausforderung. Seine Werke bieten so viel Interpretationsspielraum. Aber als wir uns wirklich mit ihnen beschäftigt haben, ist uns auch aufgefallen, dass sie noch heute sehr relevant sind. Sie sind zudem sehr witzig und sehr düster. Die Herausforderung haben wir angenommen, um ein komplexes Kunstwerk in einem neuen Medium und den damit verbundenen Möglichkeiten zu erschaffen.“
Kreative Möglichkeit, um das Kafka-Jubiläum zu feiern
Auch beim Goethe-Institut hat man sich schnell mit dem Inhalt von Kafkas Romanen und Erzählungen sowie dem Autor selbst auseinandergesetzt. Hierfür hätten sie sich auch Hilfe von Experten geholt, erzählt Loderová:
„Wir haben viel mit dem Kafka-Biografen Reiner Stach gesprochen. Er hat eine mehrteilige Biografie über Kafka veröffentlicht und sich über 16 Jahre lang mit ihm auseinandergesetzt. Dann haben wir uns mit tschechischen Germanistinnen und Germanisten getroffen, ebenso mit dem Künstler Jaromír Švejdík, der den ‚Prozess‘ für einen Comic bereits in Bilder verwandelt hat.“
Charles Games hat sich ähnlich vorbereitet wie das Goethe-Institut: Die Spieleentwickler hätten sich mit mehreren Experten zusammengesetzt, um Kafka und seine Werke aus möglichst verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, so Ondřej Paška. Daraus hätten sich dann mehrere Ideen zunächst für den ersten Teil ergeben.
„Wir haben unterschiedliche Zeichenstile für die Charaktere und für die dreidimensionale Umgebung ausprobiert. Wir wollten möglichst gut das Gefühl wiedergeben, was wir beim Lesen des Buchs bekommen. Es ist alles etwas verwirrend. Da wären die rotierenden Räume, bei denen man nie ganz sicher sein kann, wo man genau ist und was passiert. Die handelnden Personen sind gleichzeitig normal und sehr komisch. Auch Kafka macht das oft: Das Komische, Unwirkliche mit dem Normalen, Alltäglichen zu vermischen“, so Paška.
Weiter erzählt der Entwickler, das Ziel sei gewesen, die Spieler in eine bestimmte Gefühlswelt eintauchen zu lassen. Um das zu erreichen, hätten die Entwickler mehrere Ideen ausprobiert. Viele davon hätten sie wieder verworfen, andere jedoch für gut empfunden und sie weiterverfolgt, schildert Paška:
„Wir hatten die Idee, dass der Spieler die zappelnde Hauptperson per Maustaste durch die Gegend trägt. Damit wollten wir die Hilflosigkeit der Person deutlich machen. Wir wollten aber auch die witzigen und unterhaltsamen Aspekte von Kafka berücksichtigen, sodass das Spiel nicht nur düster erscheint. Also haben wir einige der witzigen Momente des ‚Prozesses‘ untergebracht. Das zeigt sich, wenn Jugendliche beim Spielen lachen müssen.“
Monika Loderová vom Goethe-Institut beteuert, dass Kafkas Werke sehr gut zu Jugendlichen passen würden. Denn der absurde Humor in den Geschichten bringe die Teenager zum Lachen, und die angesprochenen Themen würden die Probleme und Gedanken junger Menschen wiederspiegeln, fährt Loderová fort.
„Das Spiel ist für Teenager gedacht. Grundschüler sind wohl eher noch etwas zu jung. Für Gymnasien hingegen passen das Videospiel und generell Kafkas Geschichten sehr gut. Die Bedrohung, die von einem undurchsichtigen System ausgeht, und allgemein die Absurdität in Kafkas Werken sind Themen, die die Jugendlichen heutzutage durchaus bewegen.“
Erst einmal müsse man jedoch das Interesse der Jugendlichen wecken, so Loderová. Dabei sei die Vermutung aufgekommen, dass ein Videospiel genau dazu dienen könne. Diese Hoffnung bestärkt Ondřej Paška von Charles Games:
„Das Goethe-Institut wollte etwas haben, das Aufmerksamkeit erregt. Und wir propagieren immer wieder, dass Spiele sehr gut dafür geeignet sind, etwas bekannt zu machen und Wissen zu vermitteln – vor allem an Menschen, die sich normalerweise nicht mit dem Thema auseinandersetzen würden. Wenn etwa junge Menschen, die ihre Freizeit normalerweise mit Videospielen verbringen, ein neues Buch oder eine neue Ausstellung über Kafka sehen, kommt bei ihnen eher keine Begeisterung auf. Bei einem Spiel über ihn schon eher. Videospiele können also Menschen ansprechen, die man sonst nicht erreichen würde.“
Wie würde es sich anfühlen, Josef K. zu sein?
Auch in Videospielen könne man durchaus etwas lernen, betont Paška. Diese Art von Lernen sei zudem besonders angenehm, da es während einer spaßbringenden Aktivität passiere – und nicht wie in der Schule die Wissensvermittlung im Vordergrund stehe..
„Ich hoffe und denke, dass die meisten Menschen, die das Spiel ausprobieren, einfach reguläre Fans von Videospielen und speziell von solchen von Independent-Studios sind. Der Lerneffekt stellt sich parallel zum Spielspaß ein, wie bei Filmen und Theaterstücken – also wenn man sich etwa nach der Arbeit entspannt“, so Paška.
Das sei auch in den Schulklassen in Prag, Brno / Brünn, Plzeň / Pilsen und Ústí nad Labem / Aussig gut angekommen, berichtet Monika Loderová:
„Wir haben das Spiel im Juni kurz vor den Ferien an einigen Schulen getestet. Uns waren die Reaktionen der Schülerinnen und Schülern sehr wichtig. Einige Klassen haben sofort beschlossen, dass sie den „Prozess“ nach den Ferien lesen und besprechen werden. Bei diesen Treffen ist uns aufgefallen, dass einige Schülerinnen und Schüler den Roman bereits kannten, was uns sehr gefreut hat.“
Im Fokus der Entwicklung sei ebenso gestanden, dass das Spiel möglichst unkompliziert im Unterricht angewendet werden könne, erzählt Loderová weiter. Ergänzend hätten das Goethe-Institut und das Spielestudio Unterrichtsmaterialien vorbereitet, die zusammen mit dem Spiel genau eine Unterrichtsstunde füllen sollen…
„Das Spiel dauert zwischen 20 und 25 Minuten. Die restlichen 20 Minuten können dann der Diskussion und der Nachbereitung in der Klasse gewidmet werden. Wenn man über die Themen des ‚Prozesses‘ spricht, ist es leicht, zu unserer Gegenwart zu kommen. Diese Brücke zu schlagen war uns sehr wichtig“, so Loderová.
Diese Version des Spiels entspreche aber nicht dem fertigen Gesamtprodukt, erläutert Entwickler Paška. Für den schulischen Kontext sollen weitere kurze Spiele zu je einem Werk von Kafka erscheinen, also jeweils eins zu den „Briefen an den Vater“ und dem „Schloss“. Bei dem finalen „Playing Kafka“ wünscht sich Paška jedoch ein Spiel, in dem die drei Geschichten miteinander verschmelzen:
„Das fertige Spiel wird alle drei Teile enthalten. Sie werden aber miteinander verbunden sein und eine gemeinsame Erzählung ergeben. Es werden also nicht drei klar voneinander abgegrenzte Teile sein, das ist nur für die Version für Schulen geplant.“
Videospiele anstatt Kulturveranstaltungen
Bisher ist nur einer von drei Teilen von „Playing Kafka“ erhältlich. Dieser behandelt den „Prozess“. Beim fertigen Spiel dürfe man sich auf neue Erfahrungen einstellen, so Paška. Das gelte auch für jene Menschen, die die aktuelle Version bereits kennen.
„Wir möchten eine ähnliche Spieltechnik nutzen wie im ersten Teil und dennoch mit den Erwartungen brechen. Da unsere Gamer dann bereits wissen, wie man ‚Playing Kafka‘ spielt, möchten wir ihnen etwas den Boden unter den Füßen wegziehen. So ähnlich bricht auch Kafka in seinen Geschichten mit den Erwartungen der Leser“, sagt der Entwickler.
Im kommenden Jahr wird das fertige Spiel „Playing Kafka“ frei erhältlich sein für alle gängigen Computer und Mobilgeräte. Vorgestellt wird es bei der Prager Buchmesse im Mai 2024, bei der die deutschsprachige Literatur als Ehrengast dabei sein soll. Und entsprechend dem 100. Todestag Kafkas wird die Veranstaltung auch im Zeichen des deutschsprachigen Schriftstellers aus Prag stehen.