Polen und Blanka füllen das Sommerloch
Es war aber ausgerechnet ein weiteres Loch, das in dieser Woche das Sommerloch gefüllt hat. Die Bauarbeiten zum Blanka-Tunnel in Prag haben nämlich – mal wieder – die Erdoberfläche zum Einsturz gebracht. Nun klafft direkt neben dem Kulturministerium ein großer Krater. Außerdem ein Thema für die Kommentatoren: die Präsidentschaftswahlen in Polen.
Patrick Gschwend: Für Luboš Palata von der Lidové noviny heißt der wahre Sieger der polnischen Präsidentenwahlen nicht Komorowski sondern Tusk. Palata schreibt:
„Bronisław Komorowski ist der beste Präsident, den sich Premier Tusk nur wünschen konnte. Er ist nicht zu ambitioniert, so dass erstmals seit dem Jahr 1990 an der Spitze Polens ein ‚schwacher’ Präsident steht.“
Die Tatsache, dass Tusk „seinen“ Kandidaten Komorowski durchsetzen konnte, beraube ihn aber sämtlicher Ausreden, nötige Reformen auf die lange Bank zu schieben. Trotzdem glaubt Palata an eine weitere Stagnation in Polen, denn in etwas mehr als einem Jahr stehen in Polen die Parlamentswahlen an. Und daher – so sagt Palata voraus – wird Tusk auf Nummer sicher gehen und schmerzhafte Maßnahmen vermeiden, die ihn die Wiederwahl kosten könnten. Palatas Fazit:„Polen verliert noch ein Jahr. Aber immer noch besser als vier weitere mit Kaczyński als polnischem Präsident.“
Moderator: Was erwarten sich die Tschechen von dem neuen polnischen Präsidenten Komorowski?
P. G.: Was die tschechisch-polnischen Beziehungen angeht: nichts Neues. Der eben zitierte Luboš Palata hat in der Lidové noviny schon vor der Stichwahl geschrieben, dass auch ein Wahlsieg Kaczyńskis keine Auswirkungen auf die guten Beziehungen beider Länder gehabt hätte. Polen und Tschechien stünden sich sehr nahe. Beide Länder hätten einen gemeinsamen „Weg in den Westen“ hinter sich. In den vergangenen Jahren habe sie zudem das Projekt des US-amerikanischen Raketenschildes geeint. Aber nicht nur das. Zitat Palata:„Im Stillen sind wir auch wirtschaftlich eng verkoppelt. Das geht über gemeinsame Supermarktketten, Autobahnen zwischen Prag, Katowice und Krakau, bis hin zu Kohlegruben, die Polen an Tschechen verkaufen. Aber an Deutsche oder Russen würden sie sie nie verkaufen. Daher ist der Ausgang der Wahlen keine grundsätzliche Frage, auch wenn Komorowski uns ‚liberal denkenden’ Tschechen näher ist als der traditionalistische Kaczyński. Es ist gut zu wissen, dass das Ergebnis der Wahlen kaum Einfluss auf unsere hervorragenden Beziehungen hat. Es gibt wenige Länder in unserer Nachbarschaft, über die man das so klar sagen kann.“Moderator: Nun hätten aber gerade der tschechische Präsident Václav Klaus und wohl auch der neue Premier Petr Nečas sicherlich besser mit dem konservativen Kaczyński leben können als mit dem liberalen Komorowski, oder nicht?
P. G.: Michal Kubát in der Mladá fronta dnes weist das zurück. Diese Polarität zwischen Komorowski und Kaczyński sei künstlich geschaffen worden. Ich zitiere Kubát:„Beide Kandidaten stehen sich politisch relativ nahe. Beide polnischen Rechtsparteien, die Bürgerplattform (PO), deren Kandidat Komorowski war, und Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind mehr oder weniger katholisch, sozial, vorsichtig was die europäischen Integration angeht und so weiter. Der Unterschied liegt nur in der Intensität. Präsident Komorowski ist kein Liberaler ‚tschechischen’ oder ‚westlichen’ Typs, genauso wenig ist sein Kontrahent Kaczyński ein Extremist irgendeines Typs. In Polen wechseln sich normale politische Optionen an der Macht ab. Wahlen in Polen sind wie Wahlen wie in Portugal, Frankreich, Italien oder in Tschechien.“
Moderator: Kommen wir zu einem weiteren Thema: der Tunnel Blanka. Er soll mit 6,5 Kilometern der längste Autotunnel Tschechiens und der größte städtische Tunnel Europas werden. Falls er fertig gestellt wird, soll er als innerer Ring der Stadtautobahn den Prager Verkehr entlasten. Patrick, du hast es eingangs erwähnt. Bei den Bauarbeiten zum Blanka-Tunnel ist nun schon wieder die Erdoberfläche eingestürzt, pikanterweise in unmittelbarer Nähe des Kulturministeriums. Dort klafft nun ein Krater im Umfang von 20 mal 35 Metern.P. G.: Ja, es ist schon das dritte Mal seit dem Baubeginn im Jahr 2007, dass die Tunnelarbeiten Löcher in die Prager Erde gerissen haben. Nun ist die zuständige Baufirma Metrostav in Erklärungsnot. 2008 nachdem sich im Park Stromovka riesige Krater aufgetan hatten, hat die Firma noch entrüstet bestritten, dass sich ein solcher Vorgang wiederholen könnte. Der Unfall sei beim Schnitt in kompliziertes geologisches Terrain passiert. Daniel Anýž in der Hospodářské noviny wettert daher vor allem gegen die Firma Metrostav:„Nicht einmal in so ein großes Schlagloch, wie es jetzt beim Kulturministerium klafft, passen die ganze Arroganz und Unverantwortlichkeit, die diesen Unfall in Wirklichkeit verursacht haben. Es handelt sich hier um ein Menschenwerk, und damit um menschliches Versagen. Nur aufgrund glücklicher Zufälle hat der verpfuschte Tunnel bisher noch niemanden begraben. Dieses Mal muss der Schuldige gefunden werden, und komplizierte geologische Bedingungen sind es sicher nicht.“
Moderator: Oberbürgermeister Pavel Bém und die Stadt Prag haben Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Außerdem soll nun geprüft werden, ob die Stadt von dem Vertrag mit Metrostav zurücktreten kann.
P. G.: Richtig. Für Bém und seine Bürgerdemokraten ist die ganze Angelegenheit aber schon mehr als unangenehm. Denn der Skandal um den Blanka-Tunnel ist nur einer von vielen, der den Bürgerdemokraten angelastet wird. Die regieren in Prag mit absoluter Mehrheit, sind aber drauf und dran die Kommunalwahlen im Oktober zu verlieren – wenn man den Umfragen glaubt. Und auch bei den Parlamentswahlen im Mai hat die Partei ihre einstige Hochburg Prag eingebüßt. Karel Steigerwald schreibt in der Mladá fronta dnes:„Die miserable Aufsicht auf den überteuerten Tunnelbau ist nur eine kleine Kostprobe dessen, wie schlecht der Oberbürgermeister die Stadt leitet. … Der Einsturz des kritisierten Tunnels Blanka ist für die politische Opposition ein Geschenk des Himmels. Es weiß zwar niemand, wie die Leitung der Stadt den Einsturz hätte verhindern können, aber das macht nichts: In der Erde ist ein weiteres Loch, büßen werden Pavel Bém und die Prager Bürgerdemokraten. So läuft es in der Politik.“Auch Zbyněk Petráček in der Lidové noviny sagt den Bürgerdemokraten eine Wahlniederlage voraus – auch und vor allem wegen Blanka. Petráček schreibt:
„Wenn die Bürgerdemokraten im Oktober bilanzieren werden, warum sie die Kommunalwahlen verloren haben, bietet sich als Blitzableiter der Schuld der Blanka-Tunnel an. Diese verfluchte Unterführung wird zwar der größte innerstädtische Tunnel in Europa, aber aus den Pragern macht er Geiseln. Gerade wegen seiner Errichtung gibt es nur noch eine Straßenbahnverbindung von Prag 6 ins Zentrum und gerade bei ihr klafft nun ein Krater. Was also tun? Den Verkehr vorsorglich anhalten? Oder die Straßenbahn im Schritttempo fahren lassen und beten, dass dieser Krater nun der letzte war? Bis zum Oktober wird die Bedrohung Blanka nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst werden. Die Wahlen gewinnt derjenige, der die Prager überzeugt, dass er den Blanka-Tunnel unter Kontrolle hat.“Moderator: Im Oktober werden wir also mehr wissen was den Ausgang der Prager Kommunalwahlen angeht – und vermutlich auch, was den Blanka-Tunnel angeht.