„Politische Abstinenz tut ihm gut“ - Politologe Schuster zum 75. Geburtstag von Havel
Der frühere tschechische Präsident Václav Havel wird am Mittwoch 75 Jahre alt. In den Medien erschienen dazu in den vergangenen Tagen bereits Portraits und ausführliche Berichte, in denen Havels Verdienste gewürdigt wurden. Seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Jahr 2003 ist es um den früheren Dramatiker und Bürgerrechtler vergleichsweise still geworden. Er hat sich wieder vermehrt dem Schreiben gewidmet, und aus aktuellen Diskussionen hielt er sich weitgehend heraus. Wenn er sich aber äußerte, fiel die Kritik an den aktuellen politischen Entscheidungsträgern und ihrem Wirken verheerend aus. Über Václav Havel und sein politisches Vermächtnis nun ein Gespräch mit Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster.
„Es mag paradox klingen, aber wenn ich mir den öffentlichen Diskurs der vergangenen Monate und Wochen ansehe, dann habe ich das Gefühl, als wären die Zeiten der klaren Lagerbildung in ein ‚Klaus-Lager’ und ‚Havel-Lager’ zurückgekehrt. Man kann sich anschauen, wie sich in Tschechien in den letzten Monaten das – sagen wir einmal - nationalkonservative Lager herausgebildet hat. Es ist ein Lager bestehend aus Europa-Skeptikern und Leuten, die sich sehr stark engagiert haben in der Affäre um Ladislav Bátora - dem hohen Beamten des Bildungsministeriums mit gewissen rechtsradikalen Tendenzen und nationalistischer Vergangenheit. Da sieht man, dass in diesen nationalkonservativen Gruppierungen wieder alte Feindbilder entstanden sind. Das Motto während Havels erster Präsidentschaft war ‚Die Wahrheit und Liebe muss über Lüge und Hass siegen’. Und man versucht nun diese Leute, die die Ideale Havels vertreten, anzuschwärzen. Man bezeichnet sie – überspitzt formuliert – als ‚vaterlandslose Gesellen’ und arbeitet sich somit an ihnen ab. In diesem Sinne sind das politische Verständnis Havels, demnach Tschechien sich nicht isolieren dürfe, zu Europa gehöre und sich offensiv an der Globalisierung beteiligen müsse, und seine Ideale wieder in der Tschechischen Republik präsent. Nur vielleicht nicht in dem Zusammenhang, den Václav Havel sich wünschen würde.“
Was ist von Havels politischen Stil und seinem Politikverständnis übrig geblieben? Hält heute noch jemand in der tschechischen Politik die Werte Havels hoch?
„Wenn überhaupt, dann lassen sich diese Spuren am ehesten bei Persönlichkeiten finden, die sich in den 1990er Jahren in der Umgebung von Václav Havel bewegt haben. Allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Spuren findet man sicherlich bei den Grünen, bei denen das Konzept der Bürgergesellschaft sehr stark hochgehalten wird. In einem engen Umfeld von Václav Havel bewegte sich natürlich auch in ein gewisser Alexandr Vondra, der heutige Verteidigungsminister, der allerdings ein Mitglied der ODS, der Partei von Václav Klaus ist.“
Und auch Karel Schwarzenberg, der lange Zeit Büroleiter von Václav Havel war…
„Genau, und Schwarzenberg ist möglicherweise derjenige Politiker, der am ehesten noch diese Ideale oder das Vermächtnis sowie den Politikstil von Václav Havel weiterhin konserviert und aufrecht erhält. Der Unterschied ist vielleicht, dass er Realist genug ist, um zu wissen, dass man für die Ideale und großen Werte auch politische Mehrheiten braucht und sie im Zweifelsfall auch organisieren muss. Das war etwas, das Václav Havel immer wieder unterschätzt hat. Er war kein Redner, der im Parlament Mehrheiten hinter sich gehabt hätte. Er hat versucht, sich mit großen Reden direkt an die Öffentlichkeit zu richten, und ist dabei oft auch missverstanden worden. In diesem Sinne ist vielleicht Schwarzenberg am ehesten derjenige, der jetzt die Ideale Havels hochhält.“Ist dies vielleicht einer der Gründe, warum der jetzige Präsident Klaus gerade auch Schwarzenberg häufiger kritisiert?
„Das ist sicherlich ein Grund, weil er vielleicht in Schwarzenberg denjenigen sieht, der dieses Gegenmodell - was Václav Klaus ja seit vielen Jahren vertritt - am ehesten verkörpert und der ihm auch gefährlich werden könnte. Denn Politik ist auch ein Machtspiel.“Was assoziieren die Tschechen heute mit dem Namen Havel? Können sie sich darunter überhaupt noch etwas vorstellen, oder ist es für sie ein Name aus längst vergangenen Zeiten?
„Ich denke, da hat eine interessante Entwicklung stattgefunden. Früher, vor zehn, fünfzehn Jahren, wurde Havel praktisch für alles Schlechte hierzulande verantwortlich gemacht. Auch wenn er in den meisten Fällen nichts dafür konnte, denn als Präsident hatte er von Beginn an relativ geringe Kompetenzen, sich direkt in die Tagespolitik einzubringen. Aber nachdem er 2003 das Präsidentenamt verlassen und sich aus der Politik zurückgezogen hat, ist auch eine gewisse Entspannung bei den Tschechen eingetreten, was die Beurteilung der Person Havels angeht. Und diese Abstinenz hat ihm sicherlich gut getan, sich nach seinem Abgang aus dem Präsidentenamt nicht mehr zu allem und zu jeder Kleinigkeit zu äußern. Es wird jetzt interessant werden, wie sein Nachfolger Václav Klaus mit dem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt umgehen wird. Er ist jemand, der sich sehr oft einbringen muss. Die Frage ist, ob er diese Abstinenz wird aufrecht erhalten können.“