Polizei ermittelt erneut wegen Schießbefehl

Foto: Harold, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Wegen des Schießbefehls an den Grenzen der Tschechoslowakei ermittelt die Polizei gegen drei hohe kommunistische Politiker. Grund dafür sind neue Erkenntnisse von Historikern.

Foto: Harold,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

Milouš Jakeš  (Foto: Štěpánka Budková)
Neun Menschen sind in den Jahren 1976 bis 1989 an den Grenzen der Tschechoslowakei ums Leben gekommen. Bei dem Versuch in den Westen zu gelangen, sind sie entweder erschossen oder von Hunden getötet worden. Die Sondereinheit zur Aufklärung von kommunistischen Verbrechen der tschechischen Polizei hat deswegen nun Ermittlungen aufgenommen. Beschuldigt werden drei hohe kommunistische Politiker, konkret geht es um den damaligen KP-Chef Milouš Jakeš, den ehemaligen Premier Lubomír Štrougal und Ex-Innenminister Vratislav Vajnar. Der zuständige Staatsanwalt Tomáš Jarolímek nennt Details zu der Anzeige:

„Die Beschuldigten haben als hohe Vertreter des Staates nicht die Legislative geändert – diese hat die Schüsse auf jene Menschen gerechtfertigt, die über die Staatsgrenze ins Ausland flüchteten.“

Jan Kalous | Foto: Noemi Fingerlandová,  Tschechischer Rundfunk
Die drei Ex-Funktionäre sind demnach durch ihre Untätigkeit für die Toten verantwortlich. Der Historiker Jan Kalous vom Institut zum Studium totalitärer Regimes hat sich mit der Causa befasst:

„Sie hätten immerhin versuchen müssen, das Grenzregime zu ändern. Vor allem, da sie durch internationale Verträge dazu verpflichtet gewesen wären.“

Konkret geht es dabei um den UN-Zivilpakt von 1976. Dieser sichert jedem das Recht zu, sich frei über Grenzen hinweg zu bewegen. Deshalb bezieht sich die jetzige Strafanzeige gegen Jakeš, Štrougal und Vajnar auch auf den Zeitraum von 1976 bis 1989. Doch warum wird die Polizei erst 30 Jahre nach dem Ende des Kommunismus aktiv? Dazu Staatsanwalt Jarolímek:

„Die Ermittlungen wurden wegen des Fundes neuer Dokumente aufgenommen. Diese beweisen, dass die Beschuldigten über die Schüsse an den Grenzen informiert waren. Gleichzeitig belegen sie, dass die drei Verdächtigen die zuständigen Minister direkt beauftragt haben, welche Gesetze angewendet werden sollen.“

Lubomír Štrougal  (rechts). Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks
Bei einer Verurteilung drohen den drei Beschuldigten bis zu zehn Jahre Haft. Der damalige Premier Lubomír Štrougal musste sich bereits zu Anfang der Nuller Jahre wegen Grenztoten verantworten, die Anklage wurde jedoch wegen Mangels an Beweisen fallen gelassen. Ein weiterer Anlauf gegen den heute 95-Jährigen im Jahr 2016 scheiterte ebenfalls, und zwar wegen Verjährung. Damals ging es allerdings nur um die Anweisung, Elektrozäune an der Grenze zu installieren.

Den jetzigen Ermittlungen war eine Klage der Platform of European Memory and Conscience (Plattform für das Gedenken und Gewissen Europas) gegen zahlreiche Grenzsoldaten, Beamte und Politiker aus Zeiten des Kommunismus vorangegangen. Diese hat unter anderem die Behörden in Deutschland eingeschaltet, wodurch ein deutsch-tschechisches Ermittlungsteam ins Leben gerufen wurde. Für Neela Winkelmann-Heyrovská von der Aufarbeitungs-NGO sind die jetzigen Ermittlungen jedoch zu wenig:

„Auf unserer Liste waren ursprünglich 67 Namen, davon leben noch rund 50. Dass nun gegen drei ermittelt wird, empfinde ich als zu wenig. Dennoch reicht uns schon einmal, wenn es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt und das Gericht sagt, dass die Dinge damals schlecht waren.“

Vojtěch Filip  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die drei Beschuldigten wollten gegenüber Medien bisher nicht zu den Ermittlungen Stellung beziehen. Milouš Jakeš reflektierte zuletzt im Jahr 2017 die Zeit an der Spitze der KPTsch. Der heute 97-Jährige sagte damals im Tschechischen Fernsehen:

„Es war ein Fehler damals. Doch wer hat den Staat zu der Entscheidung gebracht? Es waren die Angriffe auf den Staat und die Versuche, den Sozialismus zu zerstören.“

Das Vorgehen der Polizei gegen die drei damaligen Funktionäre hat auch in der Politik hierzulande Wellen geschlagen. Vor allem Vertreter der konservativen Opposition bezeichnen die Ermittlungen als ein gutes Zeichen für die Gerechtigkeit hierzulande. Die Präsidentenkanzlei kritisiert wiederum, dass man ganze 30 Jahre auf eine erste Anzeige gewartet hat. Kommunisten-Chef Vojtěch Filip kritisierte die Ermittlungen als politisch motiviert und verwies auf vergangene Misserfolge der Justiz gegen ehemalige kommunistische Funktionäre.