Oberstes Gericht entschied: Tötung unschuldiger Menschen kann nicht verjähren

"Schüsse an der Grenze" - unter diesem Titel hat das Tschechische Fernsehen Anfang der Woche eine Reportage über tragische Ereignisse an der tschechoslowakisch-deutschen Grenze vor 28 Jahren gezeigt. Der Anlass dazu war der jüngste Befund des Obersten Gerichts mit Sitz in Brno.

So hatte es damals angefangen: Milan, Robert und Vaclav Bares haben Ende Mai 1978 einen voll besetzten Bus gekidnappt. Seine Insassen - eine Gruppe Gymnasialschüler - dienten als Geißeln, mit denen die bewaffneten Entführer über die Grenzschranken in das damalige Westdeutschland durchbrennen wollten. Trotz des Versprechens der Grenzschützer, die Kidnapper durchfahren zu lassen, wenn die Schüler frei gelassen werden, eröffneten sie das Feuer auf den Bus. Dabei wurde einer der drei Brüder erschossen, aber auch der unschuldige Busfahrer Jan Novak.

Das Urteil des Gerichtes für die beiden Beschuldigten lautete: Robert Bares - Todesstrafe, Vaclav Bares - 25 Jahre Freiheitsstrafe. Die kommunistische Justiz setzte sich exemplarisch mit der Tat der Entführer auseinander. Der Fall des erschossenen Busfahrers, der mit der Entführung nichts zu tun hatte, wurde unter den Teppich gekehrt. Erst nach der Wende wurden seine Akten vor Gericht wieder geöffnet. Das Fazit: Im Januar dieses Jahres hat sich das Bezirksgericht in Cheb/Eger dem Befund der niedrigeren Gerichtsinstanz angeschlossen: Der Fall Jan Novaks sei verjährt.

"Die Verjährung betrifft keinesfalls die Zeit des kommunistischen Regimes, wenn es sich um Verbrechen handelt, die dieses Regime entweder selbst initiiert oder deren Verübung von dem Regime toleriert oder verheimlicht wurden,"

sagt Eliska Wagnerova, die Vorsitzende des Obersten Gerichts. Dieses untersuchte den Fall Jan Novak und befand, ein Verbrechen, bei dem ein unschuldiger Mensch ums Leben kam, kann nicht verjähren. Das Bezirksgericht in Cheb muss sich demnächst mit der Causa "Schüsse an der Grenze" erneut befassen. Dass sie auf die Agenda des Obersten Gerichtes kam, ist der Initiative der Obersten Staatsanwältin der Tschechischen Republik, Renata Vesecka, anzurechnen. Auch sie hat ihre Position klar formuliert:

"Jeder Staat soll sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, da sie auch mit Verbrechen belastet sein könnte. Daher halte ich es für sehr wichtig, die die Verfolgung der Straftaten, egal ob sie in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, nach dem Krieg oder unter dem kommunistischen Regime verübt wurden, zu Ende zu führen."

Wie aus einem Dokument hervorgeht, hat die Grenzschutzpolizei im Mai 1978 gegen die eigenen Dienstvorschriften an der Grenze verstoßen. Und was hat der damalige Befehlshaber der Grenzschutzpolizei Frantisek Sadek, der das zugelassen hatte, heute den Reportern des Tschechischen Fernsehens in diesem Zusammenhang zu sagen?

"Hätten Sie sich gewünscht, ich hätte eine Militärkapelle an die Grenze postiert, die die Flucht der Entführer über die westliche Grenze mit einem Marsch begleitet hätte? Genau das, was ich damals gemacht habe, würde ich heute wieder tun."

An den Grenzen der ehemaligen Tschechoslowakei sind insgesamt 280 Menschen getötet worden.