„Prag hat nicht nur schöne Fassaden, sondern auch eine gewaltige Geschichte“

Der verflossene Ruhm des einstigen Künstlertreffpunkts deutscher UND tschechischer Künstler in Prag: Die kavárna Arco. Die ArcoAcademy möchte den Namen nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Günter Krumpak hat in Prag die Pension Arco für kultur- und geschichtsinteressierte Touristen gegründet und ihnen ein Programm mit speziellen Stadtführungen und Vorträgen angeboten. Die Corona-Pandemie machte jedoch Schluss damit. Nachdem Krumpak seine Pension schließen musste, gab er aber nicht auf: Der Österreicher schrieb ein Buch und rief die sogenannte Arco Academy ins Leben. Diese startet nun mit ihrer ersten Vortragsreihe.

Günther Krumpak,  Journalist,  Historiker und Stadtführer,  der sich die Geschichte Prags einverleibt hat | Foto:  Archiv der ArcoAcademy

Herr Krumpak, Sie leben seit fast 15 Jahren in Prag und betreiben hier die sogenannte Arco Academy. Fangen wir an mit einem aktuellen Termin im Programm: Mitte Oktober starten Sie eine Veranstaltungsreihe namens „Geschichte im Kontext“. Was bieten Sie damit an?

„Ich betrachte mich als Kulturvermittler und möchte abseits des akademischen Betriebs, in dem diese Themen allen bekannt sind, einem interessierten Publikum Dinge näher bringen, die die üblichen Touristen kaum kennen. Es geht aber nicht in erster Linie um Besucher aus dem Ausland, sondern hauptsächlich um die inländischen Communities deutscher und englischer Sprache. Diese Stadt hat nicht nur schöne Fassaden, sondern auch eine gewaltige Geschichte. Es gab unzählige Ereignisse, die im Prinzip europa- oder sogar weltweite Auswirkungen hatten. Und die Hintergründe, die Motive, die Entwicklungen möchte ich in einer Art und Weise darstellen, dass man versteht, warum heute bestimmte Dinge so und so sind.“

Die nächste Veranstaltung ist ein Vortrag zum Thema Prager deutsche Literatur…

„Die Prager deutsche Literatur ist ein sehr vielschichtiges Thema, und ich versuche ganz einfach zu erklären, woher das gekommen ist.“

„Die Leute kennen das Thema einigermaßen, und zwar weil Kafka in aller Mund ist – auch wenn viele, die über ihn sprechen, den Autor gar nicht kennen. Aber es geht bei weitem nicht nur um Kafka, sondern um eine ganze Reihe von Autoren und Autorinnen, die eine einzigartige kulturelle Landschaft geschaffen haben. Das gemeinsame Merkmal ist die deutsche Sprache in einer grundsätzlich tschechischen kulturellen Umgebung mit einer deutschen Vergangenheit – und noch dazu ist ein guter Teil dieser Autoren jüdischer Herkunft. Das ist auch ein soziologisches Phänomen. Und ich stelle die Frage und versuche sie zu beantworten: Wieso Deutsch, wieso Prag und wieso jüdisch? Die Prager deutsche Literatur begann im Prinzip so um 1880 und endete mit dem Tod von Lenka Reinerová 2008. Dazwischen gab es jedoch viele Umbrüche: Ein guter Teil der Werke ist im Ausland entstanden, im Exil, das jüdische Schicksal vieler Autoren und Autorinnen spielt da eine Rolle. Das ist ein sehr vielschichtiges Thema, und ich versuche ganz einfach zu erklären, woher das gekommen ist.“

Dieser Vortrag zur Prager deutschen Literatur ist der erste in der Reihe. Die Vorträge werden im Literaturcafé Božská lahvice in der Prager Altstadt stattfinden, und zwar einmal im Monat. Welchen weiteren Themen möchten Sie sich widmen?

Familie Ringhoffer

„Wir fangen mit einmal im Monat an, ich möchte das dann auf englische und französische Vorträge ausweiten. Die weiteren Themen sind von mir größtenteils nach meinen Lieblingsbereichen geordnet. Der eine ist die jüdische Geschichte des Landes und Europas. Mich fasziniert ebenso die Industriegeschichte. Persönlich kenne ich einen der letzten Vertreter der Industriellenfamilie Ringhoffer. Die Ringhoffers kamen einst aus Österreich, wurden hier groß, hatten maßgebliche Bedeutung und verschwanden 1945 wieder. Was dazwischen alles passiert ist, ist gewaltig. Ich darf nur auf ein Detail hinweisen: Fragen Sie sich mal, ob Sie wissen, wo die ursprünglichen Patente des VW-Käfers her kommen? Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht. Die Industriegeschichte ist aber noch vielschichtiger. Es gab die Familie Waldes – das Symbol ihrer Firma Koh-i-noor mit dem Damengesicht und dem im Auge eingeklemmten Druckknopf ist vielleicht bekannt. Weitere Persönlichkeiten sind der Industrielle Liebig und die Lannas. Es gab eine Reihe von Industriellen, die aus der Tschechoslowakischen Republik zwischen 1918 und 1938 das zehntgrößte Industrieland der Welt gemacht haben.“

Sie halten Ihre Vorträge auf Deutsch. An welches Publikum richten Sie sich damit?

„Die Themen der Vorträge sind nach meinen Lieblingsbereichen geordnet. Der eine ist die jüdische Geschichte des Landes und Europas. Mich fasziniert ebenso die Industriegeschichte.“

„Die Hauptzielgruppe ist derzeit die deutschsprachige Community in und um Prag. In der Folge werden hoffentlich auch Touristen auf dieses Programm aufmerksam. Ich hoffe, dass ich es in irgendeiner Form schaffe, zum Qualitätstourismus durchzudringen, der natürlich eine Minderheit betrifft. Und in der Folge wird es auch die englischsprachige Community sein.“

Sie bieten außerdem Führungen an, mit denen Sie sich vor allem an die Besucher Prags wenden. Wie sieht es mit diesen Aktivitäten im Moment aus, in der Zeit, in der die Corona-Pandemie den Tourismus gelähmt hat?

Prag | Foto: Hikmet,  Pexels,  CC0 1.0 DEED

„Ich habe meine Führungen, die ich schon seit einigen Jahren durchführe, hauptsächlich dem Publikum meiner früheren Pension angeboten, die durch die Pandemie dann gekillt wurde. Jetzt muss ich mich quasi auf den Markt der allgemeinen Führungen begeben, und da sieht es momentan sehr schwach aus. Das heißt, meine Führungen gehen ebenso in die Richtung hiesige Communities. In Prag gibt es so viele interessante, versteckte Juwelen und Schätze, die es wert sind, besucht zu werden, weil sie abseits des alltäglichen Gedränges liegen.“

Sie haben von ihrer früheren Pension gesprochen. Bedeutet das, dass ihr Hotel in Prag während der Pandemie geschlossen werden musste?

„Wir hatten im Februar und März 2020 bereits Probleme, als viele italienische und französische Gäste zu stornieren begannen. Im Sommer haben wir dann gesehen, dass das Niveau von vorher nicht erreicht wird. Deswegen haben wir am 1. September 2020 schweren Herzens geschlossen. Die Pension war eine kleine Kulturinsel, unsere Gäste wurden zum Frühstück mit ‚Coffee-take and Kafka‘ bombardiert. Und ich versuche jetzt über die Vorträge und Führungen zumindest die Idee weiterzuführen.“

„Am 1. September 2020 haben wir die Pension schweren Herzens geschlossen. Sie war eine kleine Kulturinsel, unsere Gäste wurden zum Frühstück mit ‚Coffee-take and Kafka‘ bombardiert. Und ich versuche jetzt über die Vorträge und Führungen zumindest die Idee weiterzuführen.“

Sie mussten die Pension schweren Herzens schließen. Haben Sie vielleicht gleichzeitig schon andere Pläne geschmiedet? Haben Sie sich die Zukunft damals irgendwie vorstellen können?

„Die Idee dieser Akademie ist in der Zeit entstanden, als die Pension noch offen war. Im Endeffekt ist die Vorstellung, eine Art Bildungseinrichtung daraus zu machen, die sich sowohl an inländisches als auch an ausländisches Publikum richtet. Es geht um Geschichte, Kultur, Kunst- und Architekturgeschichte, die Literatur und viele andere Sachgebiete, die alle in Bezug zu Stadt, Land und Mitteleuropa stehen.“

Sie haben die Zeit des Lockdowns auch noch dazu genutzt, ein Buch zu schreiben. Was für ein Buch es ist?

Foto:  Archiv der ArcoAcademy

„Das Buch heißt ‚Mein ganz anderes Prag‘ und ist der erste Teil einer in drei Teilen geplanten Serie. Es behandelt im Prinzip die Themen, über die ich auch in den Vorträgen spreche. Ein Kapitel heißt ‚Das jüdische Genie‘ und beschreibt den Werdegang der hauptsächlich Prager jüdischen Gemeinde von der Aufklärung bis zum Zweiten Weltkrieg. Mir ist wichtig, dass ich diese Dinge auch verorten kann, dass ich sage, in diesem und jenem Haus ist das passiert, da stand die erste Zuckerfabrik, dort war der ursprüngliche kleine Laden des Jan Petschek, bis er dann reich geworden ist… Daneben sind teilweise auch meine Spaziergänge drinnen. Der eine heißt ‚Von Dorf zu Dorf‘ und dreht sich um die unsichtbaren kleinen dörflichen Überreste innerhalb Prags.“

Der erste Vortrag im Literaturcafé Božská lahvice findet am Samstag, 16. Oktober, um 15 Uhr statt. Details und das gesamte Veranstaltungsprogramm finden Sie unter www.arcoacademy.org.

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