Prag in Plexiglas und Papier: Die Hauptstadt im Modell zu sehen
Es ist ein Paradies für alle Eisenbahnfreaks: Die große Modelleisenbahnanlage im Prager Stadtteil Smíchov. In der vergangenen Ausgabe des „Spaziergangs durch Prag“ haben wir Ihnen das einzigartige Königreich der Eisenbahn vorgestellt. Auf einer Fläche von 900 Quadratmetern wird dort ein großes Modell der Tschechischen Republik gebaut, durch das Modellzüge fahren. Wir haben versprochen, die Führung durch die Dauerausstellung fortzusetzen.
„Es ist jenes originale urbane Modell von Prag, das die Architekten früher benutzten, um den Einfluss von geplanten Gebäuden auf die Umgebung und das Stadtbild auszuwerten. Seit dem Jahr 2000 hat Prag jedoch ein vollständig digitales Modell, das heute diesem Zweck dient, das alte Modell verlor an Bedeutung. Die Stadtverwaltung hatte jedoch ein Interesse daran, es irgendwo auszustellen, verfügte aber über keine entsprechenden Räumlichkeiten. Diese haben wir dann dem Stadtrat angeboten.“
Das Modell wurde im Maßstab 1:1000 hergestellt. Es zeigt nicht nur das historische Stadtzentrum, sondern insgesamt mehr als 11.000 Hektar Stadtfläche. Auch die Wasserflächen sind gekennzeichnet. Die einzelnen Gebäude wurden aus Plexiglas hergestellt und mit weißer Farbe lackiert. Auf dem Modell lassen sich von einem Bildschirm aus die Metrostrecken, die Naturparks, die Radwege sowie bedeutende Baudenkmäler farbig beleuchten. Zudem kann man an dem Modell auch illustrieren, welche Prager Stadtteile 2002 vom Hochwasser betroffen waren. Man muss aber kein Eisenbahnfan sein, um das Modell zu besichtigen, so der Kurator:„Das Modell wurde im April 2011 im ersten Untergeschoss des Königreichs der Eisenbahn installiert. Vorläufig wird es zehn Jahre lang in diesem Saal zu sehen sein. Vor allem ausländische Besucher interessieren sich sehr für dieses Prag-Modell. Diejenigen, die sich nicht für die Eisenbahnen begeistern können, haben auch die Möglichkeit, eine Eintrittskarte nur für die Besichtigung des Prag-Modells zu kaufen.“Neben dem großen Modell der tschechischen Hauptstadt wird im ersten Untergeschoss zudem ein weiteres, aber kleineres Prag-Modell ausgestellt. Das Werk von Rudolf Šíp ist aus Papier zusammengeklebt. Inspirieren ließ sich der Künstler vom so genannten Langweil-Modell der tschechischen Hauptstadt, das seit Jahrzehnten im Stadtmuseum zu sehen ist. Es zeigt das Prag des 19. Jahrhunderts. Šíp habe sich einst mit seinen Enkelkindern das Langweil-Modell angeschaut, erzählt Rudolf Pospíšil. Seitdem haben ihn die Kinder gebeten, auch ein Prag-Modell zu basteln.
„Da Rudolf Šíp damals schon in Rente war, entschied er sich, doch ein Modell der Hauptstadt zu basteln. Er hat zwölf Jahre lang daran gearbeitet und es gelang ihm, praktisch eine Kopie des Langweil-Modells aus Papier herzustellen. Die einzelnen Häuser hatte er selbst bemalt. Šíps Modell zeigt mehr als 3200 Gebäude, darunter sind 20 Kirchen und neun Synagogen. Man kann sich eine Vorstellung davon machen, wie sich der historische Stadtkern vom 19. Jahrhundert bis heute geändert hat.“Das Modell entstand in den Jahren 1965 bis 1977. Als Material nutzte Rudolf Šíp damals das Verpackungspapier von Würfelzucker. Der Grund war, dass dieses Papiers qualitativ sehr gut war. Das Modell habe jahrelang im Keller gelegen, sagt Rudolf Pospíšil:
„Wir haben es von Rudolf Šíps Erben ausgeliehen. Zuvor wurde das Modell nur einmal an einem Wochenende im Schloss in Kostelec nad Černými lesy gezeigt. Davon haben wir gehört und uns mit dem Angebot an die Familie gewandt, das Modell im Königreich der Eisenbahn auszustellen. Dadurch ist hier eine Ausstellung von zwei Modellen der tschechischen Hauptstadt entstanden.“Vom Ausstellungssaal, wo die beiden Prag-Modelle zu sehen sind, geht es direkt in das eigentliche Königreich der Eisenbahn. Die Führung beginnt mit den drei ersten Gleisanlagen, die bereits bei der Eröffnung des Museums im Jahre 2009 in Betrieb waren. Es handelt sich um Probeversionen der großen Schauanlage, die im zweiten Untergeschoss gebaut wird.
„Das Ziel beim Bau dieser ersten Gleisanlagen war es, die Teams zu testen, die die Modelle bauen. Was hier zu sehen ist, ist keine konkrete Landschaft in der Tschechischen Republik, es geht nur um die reine Phantasie der Modellbauer. Zudem wollten wir an den Probeversionen auch die Arbeit von drei verschiedenen Teams beurteilen, die sich mit der Digitalisierung der Schauanlage beschäftigen. Denn alle Gleisanlagen, die es hier gibt, werden von einem Leitstand aus gesteuert.“In den drei Gleisanlagen im ersten Untergeschoss rasen Züge und Autos durch die Gegend. Auch kleine Figuren, die etwas ungewöhnliche Szenen darstellen, sind zu sehen.
„Auf der ersten Gleisanlage verläuft beispielsweise eine Feuerwehrübung. Die Feuerwehrleute versuchen, einem Kalb zu helfen, das auf das Dach eines Häuschens geklettert ist. Dort hinten auf der Brücke bereitet sich gerade ein Mann auf einen Bungeesprung vor. Unten stehen neugierige Zuschauer, die hinauf schauen und warten, wie es ausgehen wird. Wie Sie sehen können, ist es inzwischen dunkel geworden. In der ganzen Dauerausstellung wechselt Tag und Nacht in regelmäßigen Intervallen. 24 Stunden vergehen bei uns in 20 Minuten, 15 Minuten davon dauert der Tag und fünf Minuten lang die Nacht.“ Auch in den anderen Gleisanlagen pulsiert das Leben. Eine davon bietet den Blick in ein fiktives Städtchen in der kommunistischen Tschechoslowakei. Vor allem die erwachsenen Besucher schätzen, mehr noch als die Kinder, diese Rückkehr in die absurde Welt des Kommunismus. Rudolf Pospíšil macht auf einige Details aufmerksam:„Hier bildet sich eine Schlange vor dem Gemüseladen, weil es gerade Bananen gibt. Gleich gegenüber stellen sich die Menschen vor einer Buchhandlung an, denn es ist gerade Donnerstag, also der Tag, an dem in der Regel neu erschienene Bücher geliefert wurden. Auf einem der Häuser ist die Aufschrift zu lesen: ´Lasst Mišík singen!´ Der Musiker Vladimír Mišík durfte in den 1980er Jahren drei Jahre lang nicht öffentlich auftreten. Und in der Ecke greift gerade die Polizei gegen das Konzert einer Undergroundband ein.“
In das Geschehen, das sich auf der Modelleisenbahnanlage abspielt, können auch die Besucher eingreifen. Spezielle Tasten ermöglichen es ihnen, eine konkrete Tätigkeit auf der Anlage auszulösen. So können sie beispielsweise einen Hubschrauber starten, die Tür bei einem Häuschen öffnen, die Kirchenglocken läuten lassen oder ein Windkraftwerk in Betrieb setzen.Das Königreich der Eisenbahn ist täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Auf der Webseite des Museums finden Sie auch Informationen in Deutsch.