Hinter einigen Ecken Prags verbergen sich Geschichten, die nicht einmal die Einheimischen so richtig kennen. Dazu gehört auch die Kirche Maria vom Siege mit dem Prager Jesulein. An diesem Ort zeigen sich die Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahrhunderte. Und damit starten wir eine neue Serie über „Prager Denkmäler mit Geschichte(n)“.
Die Barockkirche Maria vom Siege befindet sich auf der Prager Kleinseite, dem historischen Stadtteil unterhalb des Burgviertels. Sie ist ein Pilgerort für viele Tausende Gläubige jedes Jahr. Das liegt an einer 47 Zentimeter hohen Wachsfigur aus der Renaissance, die dort zu sehen ist: dem sogenannten Prager Jesulein. Um die Kirche und die Statue kümmert sich der benachbarte Orden vom Unbeschuhten Karmeliten. Pavel Pola ist Prius des Klosters. Gegenüber Radio Prag International sagte er:
„Die Kirche Maria vom Siege wird manchmal auch Kirche des Prager Jesuleins genannt und ist eines der bekanntesten und bestbesuchten Gotteshäuser in Prag und ganz Tschechien. Sie wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von deutschsprachigen Lutheranern errichtet. Nach der Schlacht am Weißen Berg und dem Dreißigjährigen Krieg begann die Rekatholisierung des Landes, und die Lutheraner mussten Böhmen verlassen. Der Kaiser schenkte die Kirche dann den Karmeliten, die nebenan ein Kloster bauten. Schon sehr bald erhielt der Orden aus den Händen der Adligen Polyxena von Lobkowicz die Statue des Prager Jesuleins, und diese hat die Kirche berühmt gemacht.“
Als Hochzeitsgeschenk nach Böhmen
Während die Geschichte der Kirche bekannt ist, ranken sich einige Geheimnisse um das Prager Jesulein. Wahrscheinlich wurde die Statue gegen Mitte des 16. Jahrhunderts in Spanien angefertigt. Die Habsburger saßen damals sowohl in Wien als auch in Madrid auf dem Thron, sie bestimmten allgemein die Geschicke in Europa. Und daher gab es auch rege Kontakte zwischen Spanien und Böhmen. Das bezog sich genauso auf die persönliche Ebene. So heiratete 1555 die Adlige Maria Manrique de Lara y Mendoza den Oberstkanzler von Böhmen, Vratislav von Pernstein.
„Maria Manrique de Lara y Mendoza nahm das Jesulein nach Böhmen mit, das sie als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte. Später vermachte sie die Plastik ihrer Tochter Polyxena von Lobkowicz. Da diese selbst aber keine Tochter hatte und das Jesulein nur in weiblicher Linie vererbt wurde, schenkte Polyxena die Statue dem Karmeliterkloster auf der Prager Kleinseite“, so Pavel Pola.
Relativ bald nach der Schenkung verbreiteten sich Geschichten von angeblichen Wundertaten des Jesuleins. Und die Kirche Maria vom Siege wurde zum Pilgerort für gläubige Christen aus der ganzen Welt.
Der Klosterprius sieht in der kleinen Statue vor allem das menschliche Abbild Gottes:
„Jesus im Kindesalter wird hier als kleiner König oder kleiner Prinz dargestellt. In der einen Hand hält er das Symbol der Weltherrschaft, in der anderen aber nicht das Zepter der Macht, sondern er segnet vielmehr die Menschen. Für viele Menschen ist dies das Abbild Gottes – aber nicht eines Gottes, den sie fürchten müssen, weil er Blitze wirft, urteilt und straft. Sie sehen hingegen ein kleines Kind, und ihnen wird bewusst, dass Gott sehr zerbrechlich ist. Und dass die Beziehung zu ihm so liebevoll wie zu einem Kind ist. Das Jesulein ist eine Aufforderung zu einem gewissen Vertrauen, zum Glauben ohne Angst.“
Dabei wurden das Kloster und die Kirche selbst in den zurückliegenden Jahrhunderten immer wieder zu stummen Zeugen religiöser Auseinandersetzungen. Pavel Pola erwähnt sowohl die Wirren des Dreißigjährigen Kriegs und die Josephinischen Reformen von 1784, als auch die Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg…
„Die Geschichte des Ortes hier ist wirklich dramatisch. Zunächst wurden die Lutheraner mit großer Sicherheit gewalttätig davongejagt. Dann löste Kaiser Joseph II. rund 150 Jahre später den Karmeliterorden auf und vertrieb die Ordensbrüder. Behörden zogen danach in die Klostergebäude ein, die Kirche wurde den Maltesern übergeben. Diese waren letztlich bis 1950 hier, als die regierenden Kommunisten alle Klöster, Orden und Kircheninstitutionen auflösten.“
Dramatische Geschichte
Erst 1993 kamen die Karmeliten zurück, also nach der politischen Wende und der Gründung des eigenständigen tschechischen Staates. Der Prager Erzbischof Kardinal Miroslav Vlk lud damals Angehörige des Ordens aus Italien dazu ein, sich auf der Kleinseite niederzulassen.
„Seit 1993 ist also der Karmeliterorden wieder hier. Nach einiger Zeit schlossen sich auch Tschechen den Italienern an. Mittlerweile lebt in unserem Kloster eine kleine internationale Gemeinschaft. Wir sind zwei Tschechen, zwei Inder und ein Italiener“, so Pola.
Die Kirche Maria vom Siege ist heutzutage gut besucht. Sie dient nicht nur als Gotteshaus, sondern auch als Veranstaltungsort. Ausstellungen, Theateraufführungen und Konferenzen finden hier statt. Zugleich kümmert sich der Orden um die Restaurierung des gesamten Areals. Und das bezieht sich auch auf die Räume unter der Erde, wie Pavel Pola erläutert:
„Unter der gesamten Kirche befinden sich Katakomben. Es ist die größte Krypta in Prag. Sie ist nach und nach entstanden. Zunächst wurden die Gräber unter dem Hauptaltar angelegt, dann auch unter den Nebenaltären. Dort bestattete man Spender, die zum Beispiel zum Bau oder zur Ausbesserung der Kirche beigetragen hatten. Später gab es immer mehr Bitten um eine Beilegung in der Krypta, und die Ordensbrüder schufen weitere Gänge unter der Kirche, die sie letztlich miteinander verbanden. Das heißt, dort unten sind sowohl die Gräber der Karmeliten bis 1784, als auch von Bürgern der Kleinseite und von Spendern.“
Allerdings wurde die Krypta mehrmals geplündert. Und als Anfang der 1990er Jahre der Orden zurückkam, zeigten sich Probleme mit der Belüftung der unterirdischen Gänge. Deswegen wurden die Gebeine letztlich in einem Raum noch einmal neu beigesetzt. Die Krypta wurde dann gesäubert. Für die breite Öffentlichkeit sind die Katakomben jedoch nicht zugänglich.
Ohnehin kommen die meisten Besucher wegen des Prager Jesuleins. Das hat ebenfalls schon einiges erleben müssen seit seiner Zeit in Prag.
„Viele Leute fragen, ob die Statue original sei oder nur eine spätere Kopie. Wenn man das Jesulein aus der Nähe betrachtet, schwinden solche Zweifel sofort. Die Skulptur ist sehr alt, aber restauriert und zu 100 Prozent original. Zu kommunistischen Zeiten war sie jedoch auf einmal verschwunden. Allerdings wurde wohl nie ermittelt, wer das zu verantworten hatte. Es gibt unterschiedliche Theorien, so zum Beispiel jene, dass jemand das Jesulein ins Ausland verkaufen wollte. Doch ein paar Tage nach dem Verschwinden wurde die Statue irgendwo auf dem Petřín-Hügel wiedergefunden. Und man brachte sie zurück in die Kirche“, sagt der Prius.
„Göttlicher Kaffee“ vor der Kirche
Zuletzt beeinträchtigte die Corona-Pandemie auch das geistliche und kulturelle Leben in der Kirche. Wegen der Hygienemaßnahmen musste das Gotteshaus für die Öffentlichkeit geschlossen werden, und alle Veranstaltungen wurden abgesagt. Auch konnten ausländische Touristen nicht mehr nach Tschechien reisen, und gerade sie machen die meisten Besucher der Kirche aus. Doch seit April hat die tschechische Regierung schrittweise ihre Corona-Maßnahmen gelockert.
Daher sind auch die Karmeliten wieder aktiv geworden. Wie Prius Pavel Pola schildert, haben die Brüder vor ein paar Wochen einen kleinen Café-Wagen vor der Kirche in Betrieb genommen:
„Unser Traum war, den Menschen stärker entgegenzukommen und sie zu einem Kaffee auf der Terrasse vor der Kirche einzuladen. Die Stadt Prag hat dazu noch Tische und Stühle gespendet. Damit öffnen wir uns noch ein weiteres Stück für die Menschen. Außerdem wollten wir ein bisschen kompensieren, dass die Besucher zuletzt nicht die Möglichkeit hatten, bei uns vorbeizuschauen. Wir haben also versucht, einen kleinen Bonus zu bieten – und das ist ‚göttlicher Kaffee‘, wie wir sagen, den wir vor der Kirche aufbrühen.“