Prager Theaterfestival deutscher Sprache: Begegnung mit einer anderen Theaterwelt
Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache stellt Jahr für Jahr einen Höhepunkt des Kulturlebens in der tschechischen Hauptstadt dar. Zumindest für jene, die gerne ins Theater gehen und sich für die Entwicklung auf diesem Sektor auch jenseits der tschechischen Grenzen interessieren. Für uns vom deutschsprachigen Programm von Radio Prag ist es selbstverständlich, dass wir uns jenem Thema stets entsprechend ausführlich widmen. Doch auch tschechische Medien begegnen diesem Ereignis für gewöhnlich mit sehr viel Aufmerksamkeit. Denn immerhin sind ja jedes Jahr gleich einige der renommiertesten Bühnen des deutschsprachigen Raums in Prag zu Gast. Gerald Schubert hat für die folgende Ausgabe unserer Sendereihe "Im Spiegel der Medien" in den tschechischen Zeitungen geblättert:
" 'Deutschland hat viele moderne Theater, deren Interieurs nicht mehr auf die klassische Art gestaltet sind und die auch über keinen Orchestergraben verfügen. Die Schauspieler haben auf diese Weise unmittelbaren Kontakt zu den Zuschauern' sagt Festivaldirektorin Jitka Jilkova, der zufolge es in Prag schwierig sei, eine solche Bühne zu finden, die gleichzeitig auch nicht zu klein sein darf, damit sich das Gastspiel eines ausländischen Ensembles auch rentiert."
Bei einigen Inszenierungen nämlich, so zitieren die Hospodarske noviny die Festivaldirektorin weiter, sei die Nähe zum Publikum nämlich unerlässlich. In den letzten Jahren habe man einige Male versucht, solche Vorstellungen in einem klassischen Theatersaal mit Orchestergraben aufzuführen, die Ergebnisse seien jedoch unbefriedigend gewesen. Denn: Die Zuschauer hätten sich beschwert, dass sie nichts gesehen hätten. Was jedoch die diesjährige Lösung des Problems betrifft, so äußerten sich die Hospodarske noviny bereits im Vorfeld skeptisch:
"Ein ähnliches Schicksal erwartet dieses Jahr wohl die Inszenierung von Schillers Stück Kabale und Liebe, mit dem das Hamburger Thalia Theater gastiert, und auch den modern anmutenden Othello der Münchner Kammerspiele. Beide Ensembles nämlich treten nicht in einem klassischen Theatersaal auf, sondern im Prager Messepalast."
Die Vorhersage der Hospodarske noviny hat sich übrigens nicht ganz erfüllt. Und das, obwohl die Entfernung zur Bühne in dem riesigen Saal, der mit einer Tribüne für 970 Zuschauer ausgestattet wurde, auch ohne Orchestergraben beträchtlich sein kann. Ein Problem wurde nämlich für viele Besucher, und zwar vor allem auf den hinteren Reihen, eher die Akustik. Manche, die in den oberen Teilen der steil ansteigenden Tribüne ihre Plätze hatten, beklagten sich sogar, dass die tschechische Simultanübersetzung aus den Kopfhörern des Nachbarn bisweilen lauter zu hören war als die Worte, die vorne auf der Bühne gesprochen wurden.
Doch kommen wir zu den einzelnen Inszenierungen und den Kommentaren in der tschechischen Presse. Und beginnen wir bei der schon genannten Aufführung von Kabale und Liebe, in der Regie von Michael Thalheimer. Deren radikales Konzept, so viel sei vorweggenommen, ließ die eine oder andere Äußerung ästhetischer Verstörung erwarten: Die Schauspieler liefern im leeren Raum scheinbar emotionslos ihren Text ab. Oft jedoch, um gleich darauf mit ausladender Gestik und Mimik wie unsichtbar bewegte Marionetten oder sich selbst karikierende Stummfilmakteure die Emotion quasi nachzuliefern. Eine Aufsplitterung der Kommunikationsmittel, die zumindest laut Meinung der Tageszeitung Pravo eine genaue Kenntnis von Text und Kontext voraussetzt:
"Eine Vorstellung vom deutschen Theaterminimalismus vermittelte das Hamburger Thalia Theater mit seiner eigenwilligen Version von Schillers Stück Kabale und Liebe. Die steifen Posen der Akteure auf der leeren Bühne mit dem leuchtenden Kreuz im Hintergrund; die versteinerten Gesichter, die frontal ins Publikum starren; die die Gesprächspartner stets verfehlenden Repliken; und dazu die extravaganten körperlichen Bewegungsetüden, die den psychischen Zustand der Figuren verraten. Diese Kostproben aus der Laborarbeit an einem verlässlich bekannten Klassiker haben offenbar für das deutsche Publikum ihren Wert - ohne den heimischen Kontext aber geht dieser Wert teilweise verloren."
Soweit die Tageszeitung Pravo zum "heimischen Kontext", der hier natürlich ausschließlich stückbezogen formuliert ist. Dennoch: Wenn gleich mehrere deutschsprachige Bühnen in Prag gastieren, dann kann man - trotz der geringen geographischen Entfernung - natürlich auch erwarten, dass für einige Tage auch noch etwa anderes zu Besuch ist: nämlich eben eine völlig andere Inszenierungstradition. Der vergleichsweise riesige deutsche Sprachraum, die miteinander verquickte und doch so unterschiedliche Geschichte, die unterschiedlichen Traditionen im dramatischen Schaffen und vielleicht sogar der ganz andere Charakter der Sprachen mögen dafür nur einige Gründe sein. In einer Kritik der Tageszeitung Lidove noviny über die Othello-Aufführung der Münchner Kammerspiele, inszeniert von Luk Perceval, heißt es jedenfalls resümierend:
"Percevals Othello ist eine Begegnung mit einer Theaterwelt, die anders ist als jene, die wir gewohnt sind. Sie zeigt stilistische Perfektion, eine Meinung, ein Thema - Werte also, mit denen das tschechische Theater der letzten Jahre in gewisser Weise zu kämpfen hat, oder die es auf ganz andere Art wahrnimmt."
Die Kritikerin der Lidove noviny hebt auch ein Beispiel dieser stringenten Themenbezogenheit und einer konsequent sichtbaren Haltung gegenüber dem Text besonders hervor:
"Am Ende wälzen sich Desdemona und Othello wie rasend auf dem Boden, halb Liebesakt, halb Kampf. Erschöpft bleiben sie dann schließlich liegen. Die Bühne taucht langsam ein ins Dunkel. Keine Strafe, keine siegreiche Gerechtigkeit. Ein offenes Ende, dessen einfache Dringlichkeit frösteln lässt. Es ist nicht wichtig, ob Desdemona tot ist - in jedem Fall starben die Gefühle zweier Menschen."
Soweit die heutige Ausgabe der Sendereihe "Im Spiegel der Medien", die sich mit einigen Pressereaktionen auf das diesjährige Prager Theaterfestival deutscher Sprache befasst hat. Mehr zum Festival hören Sie dann übrigens in unserer Sonntag-Sendung, und zwar im Kultursalon, in den wir Sie schon jetzt herzlich einladen möchten.