„Praha-Prag 1930 bis 1948“ – deutschsprachige Zeitzeugen erzählen

Eva Mändl-Roubičková

Die Geschichte der böhmischen Deutschen zwischen 1930 und 1948 ist in Tschechien nicht sehr bekannt. Um das zu ändern, lud das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren unter dem Titel „Praha-Prag. Eine geteilte Geschichte“ zu einem Symposium in die Prager Stadtbibliothek. Berichtet wurde über deutschsprachige Literatur und Medien in dieser turbulenten Zeit. Doch im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Erinnerungen von Zeitzeugen.

Lucie Černohousová
„Wir wollten zeigen, dass es nicht nur die schlechten Deutschen gegeben hat. Wenn man über die Deutschen in dieser Zeit spricht, denkt man das sehr oft nur an den Nationalsozialismus. Aber es gibt auch die andere Seite“, so Lucie Černohousová, die Leiterin des Prager Literaturhauses.

Eine der Zeitzeuginnen ist Eva Mändl-Roubičková. Die kleine, weißhaarige Dame wurde 1921 in Saaz in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren. Dort im Sudentengebiet verbrachte sie eine friedliche Jugend. Doch nach der Besetzung Österreichs im März 1938 hat sich ihr Leben radikal verändert. Als Jüdin wurde sie diskriminiert und kam jeden Tag weinend aus der Schule.

„Also habe ich meine Schulsachen genommen und war ganz zufrieden, dass ich nicht mehr in die Schule gehen musste, wo es unangenehm war. Wir sind nach Prag gefahren und haben hier mit der Mutter und Großmutter in einem Zimmer zur Untermiete gelebt. Also ganz primitiv. Inzwischen war es zu dem Münchner Abkommen gekommen und wir waren hier als Flüchtlinge. Wir waren uns bewusst, dass wir nicht mehr zurückkommen. Das war kein angenehmes Leben. Es war schon so wie eine Vorbereitung fürs Konzentrationslager. Im Herbst 1939 nach der Besetzung der Tschechoslowakei hat meine Großmutter Selbstmord begangen. Sie wusste, dass sie – jeder wollte auswandern. Fast niemandem ist das gelungen. Ich habe einen Freund, mit dem ich im Sommer Tennis gespielt habe, gefunden. Wir wollten zusammen auswandern. Anstelle mich zu fragen: ‚Möchtest Du mich heiraten?, hat er gesagt: ‚Möchten Sie mit mir auswandern, Fräulein?’ Aber leider ist uns das nicht gelungen.“

Frau Mändl-Roubičková hat das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt und nach dem Zweiten Weltkrieg sogar ihren Verlobten wieder gefunden. Seitdem lebt sie in Prag.

Besonders die anwesenden Schüler der deutschen Schule in Prag waren sichtlich gerührt von diesen Erzählungen. Gerührt und verwirrt. Wer waren diese Deutschen damals? Mal Tschechen, mal Deutsche, mal Juden, mal Katholiken. Teils sprachen sie nur tschechisch, teils nur deutsch, teils beides. Die einen unterstützten die tschechoslowakische Republik, die anderen bekämpften sie. Einige waren bürgerlich, einige kommunistisch. Fest steht, dass die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg rund 23 Prozent der Bevölkerung in der Tschechoslowakei ausmachten und politisch und kulturell äußerst aktiv waren. Dies überraschte einige der tschechischen Teilnehmer des Symposiums, zum Beispiel den Physiker Filip Lankaš.

„Wenn wir Tschechen über die Erste Republik sprechen – und das ist für uns immer noch sehr, sehr wichtig – denken wir immer nur an die tschechische Kultur damals: Poesie, Architektur, Theater und so weiter. Aber gleich daneben existierte auch die deutsche Kultur in der Tschechoslowakei. Davon wissen wir praktisch gar nichts. Darüber spricht man überhaupt nicht.“