To prece nejde

Tschechische Frauen tragen Ohrringe. Am besten gleich von Geburt an. Damit man die kleinen Mädchen auch als Mädchen erkennt. Und vor allem: weil deren Eltern es meistens nur schwer aushalten würden, wenn es anders wäre. Zwei bis drei Wochen allerdings sollte man nach der Entbindung schon warten mit den Ohrlöchern, auch wenn das die elterliche Geduld natürlich schwer auf die Probe stellt - ermahnte uns beim Geburts-Vorbereitungskurs eine einfühlsame Hebamme.

Ein drei Wochen altes Baby mit Ohrringen - und mit Eltern, für die erst ab diesem Zeitpunkt die Welt wieder in Ordnung ist: schwer nachvollziehbar für uns, dass dies ernst gemeint sein soll. Und ebenso schwer nachvollziehbar offenbar für viele Tschechen, dass wir unsere Tochter freiwillig ohne Ohrringe und - hin und wieder - im blauen Pullover herumlaufen lassen. Wenigstens meiner armen Mutter, der Großmutter unserer Tochter zuliebe sollte ich die versäumten Ohrlöcher schnellstmöglich nachholen, unbedingt

noch vor meinem nächsten Besuch zuhause. Die ältere Dame in der Straßenbahn ereiferte sich richtig. Bis dahin hatten wir angeregt Argumente zu diesem und jenem Thema ausgetauscht. Bei den Ohrringen aber hörte für sie die Diskussion auf. Das ginge so schließlich nicht. To prece nejde...

Mädchen und Ohrringe, Jungs und blaue Kleidung, Eltern und strikte Erziehungsmodelle. Daran gibt es für viele Tschechen ebenso wenig zu rütteln wie an Fleisch, Knödeln und Soße, der unangefochtenen Grundlage ihrer Ernährung.

Doch hier und da beginnt es im Gebälk zu knistern. In Prag wurde unlängst der erste vegetarische Kindergarten ins Leben gerufen. Er wirbt mit einem individuellen Zugang zu den Kindern, mit multikultureller Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung. Und macht Hoffnung auf einen etwas flexibleren Umgang mit den teilweise doch schon arg erstarrten Verhaltensnormen für Kinder. Nicht nur, wenn es um Ohrringe geht. Sondern wenn es generell darum geht, was eigentlich geht und was nicht.