Ganz weit weg von Prag - Großstädter im Schneewochenende

Prag im Winter
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Es ist fast schon sprichwörtlich: Kaum gibt es ein paar freie Tage, zieht es die Prager aus der Großstadt hinaus in die Natur. Im Winter natürlich am liebsten in die tief verschneiten Berge. Thomas Kirschner hat sich im folgenden Forum Gesellschaft einigen von ihnen angeschlossen, zu einem tschechischen Wochenende im Schnee.

Prag im Winter
Samstagmorgen, Viertel vor acht, Autobusbahnhof Prag-Smichov. Über Prag hängt ein schmutziger Himmel; hier du da liegen graue Schneereste. Während die Stadt erst langsam ins Wochenende erwacht, stehen hier schon eine ganze Menge Menschen mit bunten Sportjacken und Pudelmützen; die Skitaschen lehnen an den Wartehäuschen. Wer konnte, der ist schon gestern, am Freitag, dem Großstadtwinter entflohen. Unter die Nachzügler reihe ich mich jetzt ein - in ein paar Minuten geht der Bus nach Südböhmen.

Die Fahrt geht zunächst über große Ausfallstraßen, vorbei an Tankstellen und Supermärkten. Allmählich lassen wir Prag hinter uns. Die Straßen werden schmaler und kurvenreicher, der Bus hält auf kleinen Marktplätzen mit bunten Häusern. Immer höher liegt rechts und links der Straße der Schnee. Das Ziel: Volary, oder zu Deutsch Wallern, eine kleine historische Stadt im südöstlichen Zipfel des Böhmerwalds, unweit des Dreiländerecks mit Deutschland und Österreich.

Prag im Winter
Nach dreieinviertel Stunden hat der Bus seine Endstation erreicht. In der vereinbarten Pension empfängt mich Karel. Die anderen aus dem Prager Freundeskreis sind beim Langlauf, machen eine Schneewanderung oder befinden sich auch noch auf der Anreise - in der Pension sind einige Zimmer reserviert; jeder kommt und bleibt, wie er es sich einrichten kann. Karel, der alles organisiert hat, ist mit seiner Freundin Dada und dem kleinen Tomik schon ein paar Tage da.

"Mit Freunden fahren wir schon seit zehn Jahren immer irgendwo in die Berge, hier in den Böhmerwald oder ins Riesengebirge oder ins Erzgebirge, und da verbringen wir dann ein verlängertes Wochenende. Hier trinken wir etwas zusammen, und dann gibt es landeskundlich-sportlich-kulturell-gesellige Unternehmungen."

So zum Beispiel eine Schneewanderung am Nachmittag durch den Ort und die Umgebung. Wenn man sich von den Plattenbauten, die die Silhouette von Volary dominieren, nicht abschrecken lässt, kann man so auf die reiche Geschichte des kleinen Städtchens stoßen. Gegründet wurde es im 13. Jahrhundert als Raststation am Goldenen Steig, einem bedeutenden Handelsweg, der von Bayern ins Böhmische führte. Eine wichtige Einnahmequelle war seit dem 16. Jahrhundert die Viehzucht - daher der Name: ein "Volar" ist ein Ochsenzüchter. Die größte Sehenswürdigkeit der Stadt sind aber die alten "Waller-Häuser", breite, niedrige Holzhäuser im Alpenstil, die einzigartig in ganz Tschechien sind. Was bedeutet ein solches Wochenende weit weg von der Stadt für Karel?

"Einfach Freude in jeder Hinsicht. Ich kriege hier neue Ideen, wir reden über viele Sachen, es bringt einfach Inspiration. Außerdem fahren wir immer ins tschechisch-deutsche Grenzgebiet, wo eben die Berge sind - und da sage ich mir nachher immer, dass ich mehr Deutsch lernen sollte."

Weg von der Stadt!  (Foto: CTK)
Auf die Spuren der deutschen Vergangenheit stößt man, wie überall im tschechisch-deutschen Grenzgebiet, auch in Volary. Als wir die verschneiten Wege zum Kalvarienberg hochsteigen, kommen wir am Friedhof vorbei und an einem Mahnmal für 94 jüdische Frauen, die Opfer eines Todesmarsches vom Frühjahr 1945. Eine Fabrikruine in der Nähe erinnert an vergangene Zeiten eines friedlicheren Zusammenlebens. An der Fassade können wir noch eine verblichene deutsche Aufschrift entziffern: "Bürgerliche Brauerei".

Samstagabend: es wird dunkel, die verstreuten Wintersportler kehren in die Pension zurück. Vit, der in Prag in der Computerbranche arbeitet, hat den halben Tag beim Langlauf verbracht.

Foto: CTK
"Hier erholt man sich wunderbar, schon dadurch, dass man mal aus dem Alltagsstress herauskommt. Und auf den Langlaufskiern - das ist einfach eine große Euphorie! Wenn man auf den Skiern durch den Wald läuft, dann ordnet sich einfach alles im Kopf."

Auch die Kinder haben sich im Schnee ausgetobt. Iveta, die Frau von Vit, hat die beiden Jungs bereits ins Bett gebracht. Bei einer Flasche Rotwein sitzen nun alle in der Küche zusammen. Ist so ein Schneewochenende die Wiederholung der eigenen Kindheitserinnerungen?

"Ich komme vom Dorf, da lief es anders. Da musste man nirgendwo hinfahren, um in die Natur zu kommen - ich bin gleich in der Natur aufgewachsen. Aber jetzt wohne ich in Prag, und da müssen wir uns das ab und zu gönnen."

Der Drang der Prager, am Wochenende die Großstadt hinter sich zu lassen und in die tschechischen Berge und Wälder aufzubrechen, gehört schon fast zur tschechischen Folklore. Auch Silva, selbst Pragerin, bestätigt die Leidenschaft der Hauptstädter, die an freien Tagen in den entlegensten Winkeln anzutreffen sind.

"Ganz bestimmt! Ich glaube, das sind hauptsächlich Prager - die sind völlig besessen! In der Woche arbeiten sie, und am Wochenende sind es die naturverbundensten Menschen. Sie fahren in die raue Natur und hausen da unter unglaublichen Bedingungen - das ist typisch!"

Auch Karel, der 34jährige sportbegeisterte Verlagslektor aus Prag, bestätigt diesen Charakterzug der Prager, der gelegentlich bis an die Grenze zum Extremsport reicht.

"Wir haben gestern einen Ausflug auf den Berg Bobik gemacht - Bobik ist zugleich der Name von einem Comic-Schweinchen aus einer berühmten tschechischen Kinderserie, also genau unser Format. Als wir dann oben waren, wurde es schon langsam dunkel. Durch den Schnee war das wirklich ein schwerer Weg und wir hatten das Gefühl, einen richtigen Gipfel bestiegen zu haben. Aber nach uns kamen dann noch vier Jungs mit Schneeausrüstung, die da oben im Schnee schlafen wollten. Das waren natürlich Prager. Auch so verbringen Prager ihr Wochenende."

Am Sonntagmorgen ist es schwer, aus den Betten zu kommen. Die ungewohnte Anstrengung hat einen ersten Muskelkater hinterlassen. Nur die Kinder laufen bereits fröhlich herum. Draußen tobt mit dicken Flocken ein Schneesturm. Einige stapfen durch den frisch gefallenen Schnee zur Messe in die kleine Kirche am Stadtplatz, andere spielen mit den Kindern und bereiten schon das Frühstück vor. Gegen Mittag klärt sich das Wetter auf und alles drängt nach draußen.

"Es ist Sonntagnachmittag, und während die anderen noch auf Langlaufskiern stehen, habe ich einen Spaziergang gemacht, aus dem Dorf heraus, über die Felder bis hoch an den Waldrand. Die Sonne steht strahlend am stahlblauen Winterhimmel; ich schaue über die verschneiten Felder, die ganz silbrig glänzen. Über Nacht sind zwanzig Zentimeter Neuschnee gefallen und ich muss mich teilweise durch knietiefe Schneeverwehungen kämpfen. Ab und zu hört man ganz leise einen Hund aus dem Dorf bellen, das hier zu meine Füßen liegt - und das schmutzige, lärmende, graue Prag ist tatsächlich für ein paar Stunden ganz weit weg."

Bis dann am Abend wieder der Bus wartet, um mich in die Stadt zurückzubringen. Aber es sind ja nur ein paar Tage bis zum nächsten Wochenende.