Zufriedenheit mit Lebensstandard steigt in allen Bereichen, außer bei der Arbeitsituation

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Die Frage nach der persönlichen Befindlichkeit wird in Tschechien häufig mit "Danke, ich kann mich nicht beklagen" beantwortet. Was wie leises Bedauern darüber klingt, sich nicht beschweren zu können, täuscht, denn acht von zehn Tschechinnen und Tschechen sind mit ihrer allgemeinen Lebenssituation durchaus zufrieden. Etwas anders aber sieht es aus, wenn es ums liebe Geld geht. Sandra Dudek berichtet, wie die Tschechen im Vergleich zu anderen EU-Bürgern ihren Lebensstandard beurteilen und worin sie die größten Probleme sehen:

Meer
Der Sommer naht und mit ihm auch der heißersehnte Urlaub am Meer. Während die Bürger aus den reichen EU-Ländern wie etwa Luxemburg ganz selbstverständlich einen Flug buchen, suchen viele Tschechinnen und Tschechen nach einer günstigen Busverbindung. Freilich nicht aus reiner Abenteuerlust, sondern zur Schonung des Haushaltsbudgets. Knapp ein Drittel der Tschechen beurteilen den materiellen Status ihres Haushaltes als "ziemlich oder sehr arm". Vor zwei Jahren waren noch wesentlich weniger tschechische Bürger dieser Meinung, wie eine vom Meinungsforschungsinstitut CVVM durchgeführte Umfrage ergeben hat. Erhoben wurde dabei die Einschätzung des Lebensstandards, der laut Jan Cervenka von CVVM, relativ schwierig zu definieren ist:

"Der Begriff ist nicht ganz eindeutig, nichtsdestoweniger geht aus unseren Umfragen klar hervor, dass er sehr oft mit der finanziellen Situation der Haushalte und den materiellen Lebensbedingungen verbunden wird."

Definitionen zum Begriff "Lebensstandard" gibt es vermutlich genau so viele wie individuelle Vorstellungen davon. Ganz allgemein formuliert beschreibt der Lebensstandard den materiellen Wohlstand von Personen im Verhältnis zu Vergleichspersonen. Zur Messung werden dafür Indikatoren herangezogen. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene und damit insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union von Bedeutung sind dies beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt, das Pro-Kopf-Einkommen oder das Armutsrisiko in einem Land. Betrachtet man jeweils nur einen Bereich, so kommt man bei der Beurteilung des Lebensstandards allerdings zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Im Vergleich zum durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt europäischer Länder etwa schneidet die Tschechische Republik eher schlecht ab: Laut einer Berechnung von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, liegt das Bruttoinlandsprodukt von Tschechien 30 Prozent unter dem EU-Schnitt. Absoluter Spitzenreiter ist hier Luxemburg, dessen Bruttoinlandsprodukt mehr als 100 Prozent über dem EU-Schnitt liegt. Anders aber sieht es aus, wenn man das Armutsrisiko, einen weiteren Indikator für den Lebensstandard, vergleicht. Dazu Jan Cervenka vom Meinungsforschungsinstitut CVVM:

"Eine ziemlich wichtige Rolle im Fall der Tschechischen Republik spielt vor allem die Tatsache, dass die Eigentums- und Einkommensunterschiede bei weitem nicht so groß sind und hier zum Beispiel das Problem der Armut relativ gering ist. Der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, beträgt nach offiziellen Angaben acht Prozent."

Auch die Umfrageergebnisse, so Cervenka, korrespondierten mit der Armutsgrenze: Acht Prozent der befragten Tschechinnen und Tschechen gaben an, dass ihr Einkommen zur Finanzierung der Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Wohnen und Kleidung nicht ausreiche. In Luxemburg, dem gemäß Bruttoinlandsprodukt reichsten Land der Europäischen Union, sind über zehn Prozent der Einwohner von Armut bedroht, in so manchen alten EU-Staaten noch wesentlich mehr: Trauriges Schlusslicht bildet dabei Irland, wo ein Fünftel der Bürger armutsgefährdet ist. Nur nach dem Bruttoinlandsprodukt bewertet, würde Irland zu den reichsten Ländern der Europäischen Union gehören, denn mehr als 30 Prozent liegt hier das BIP über dem EU-Schnitt.

Auf individueller Ebene zählen diese gesamtwirtschaftlichen Indikatoren freilich nicht, der Lebensstandard wird hier beispielsweise über die Zufriedenheit mit dem eigenen materiellen Status, dem Bildungs- und Gesundheitswesen sowie der Wohn- und Arbeitsmarktsituation definiert.

"Wenn wir nach der Bewertung des Lebensstandards der Haushalte fragen, können wir feststellen, dass ab dem Jahr 2003 eher die positiven Bewertungen überwiegen. In etwa zwei Fünftel der Befragten bewerten ihren Lebensstandard als gut, ein Fünftel als schlecht und die Übrigen bewerten den Lebensstandard weder als gut noch schlecht."

Jan Cervenka
So fasst Jan Cervenka vom CVVM das Ergebnis der Einschätzung des Lebensstandards zusammen. 40 Prozent der Tschechen sind also mit ihrem Lebensstandard zufrieden. Anders sieht dies in Polen und Ungarn aus, wie vergleichbare Umfragen des Meinungsforschungsinstituts ergeben haben: Lediglich ein Viertel der Polen sind mit ihrem Lebensstandard zufrieden, knapp ein Drittel beurteilt ihn als schlecht, so Jan Cervenka:

"Und am allerschlechtesten sehen die Ungarn ihren Lebensstandard: Nur elf Prozent bewerteten ihn als gut, 54 Prozent weder gut noch schlecht und 35 Prozent haben den Lebensstandard als schlecht bewertet."

Ein wesentlicher Faktor bei der individuellen Beurteilung des Lebensstandards ist die eigene Arbeitssituation. Seit 1997 steigt die Arbeitslosenquote in der Tschechischen Republik kontinuierlich an, wenn sie auch noch nicht das Niveau einiger alter EU-Länder erreicht hat. In der jährlich durchgeführten Befragung macht sich diese Entwicklung bemerkbar: Die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, wird immer schlechter bewertet, währenddessen die Zufriedenheit mit dem Bildungs- und Sozialsystem oder der Verfügbarkeit von Wohnungen stetig ansteigt.

Die Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensstandard nimmt laut Umfrage mit steigendem Einkommen und höherem Bildungsabschluss zu. Darüber hinaus zeigen sich insbesondere junge Leute zwischen 15 und 19 Jahren, Unverheiratete und die Wähler der konservativen Partei ODS zufrieden. Im Gegensatz dazu beurteilen vor allem ältere Menschen über 60, Rentner, Arbeitslose und Menschen mit niedriger Bildung sowie die Wähler der kommunistischen Partei KSCM ihren Lebensstandard als schlecht.

Den eigenen Lebensstandard ohne wesentliche sonstige Änderungen im Leben erhöhen können jedenfalls jene Menschen, die nahe Österreich oder Deutschland leben und täglich über die Grenze zur Arbeit pendeln. Die sozialen Strukturen bleiben gewahrt, die Lebenshaltungskosten unverändert, dafür aber steigt das Einkommen auf bis das Dreifache. Die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse in der Europäischen Union haben nach der Erweiterung zu einer statistischen Senkung des Lebensstandards geführt: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen ist mit der Erweiterung drastisch gesunken, jeder dritte EU-Bürger verdient weniger als 75 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens. Die meisten der Betroffenen leben in den neuen Mitgliedstaaten. Diese Situation wird sich zwar ändern, allerdings ausgesprochen langsam. Josef Zuckerstätter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeiterkammer Wien, hat in einer Studie erhoben, dass es noch sehr lange dauern wird,

Wir kennen uns doch!
"bis sich die Löhne zwischen Österreich und den Nachbaarstaaten angleichen, also man kann sagen, dass es etwa bis 2020 dauern wird, bis die Unterschiede im realen Einkommen, d.h. unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Preisniveaus in den Ländern in eine Gegend kommen, wie sie auch innerhalb von Ländern üblich sind. Nach dieser Szenarienrechnung hätte Prag 2020 in etwa zwei Drittel des österreichischen Einkommens, das ist ungefähr der Unterschied, der zwischen Prag und Iglau oder auch in Österreich zwischen Wien und dem Burgenland herrscht."

Ein Umstand, der gerade dazu verführt, im Ausland zu arbeiten, wenn man die Möglichkeit hat. Doch deshalb gleich die Heimat zu verlassen, das wollen dann doch wieder die wenigsten Tschechen. Dazu Jan Cervenka von CVVM:

"Die Bereitschaft, wegen der Arbeit ins Ausland zu gehen, ist hierzulande niedriger als in anderen osteuropäischen Ländern, was damit zusammen hängt, dass es früher keine Probleme mit der Arbeit gab und diese bis heute nicht so groß sind. Die Beschäftigungsquote ist hier relativ hoch, der Lebensstandard ist hier relativ hoch und die Tschechen sind ziemlich konservativ und eine große Rolle spielt dabei die Sprachbarriere."





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt