Premierminister Vladimir Spidla und sein Traum von Europa
Viel wird in letzter Zeit über die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union gesprochen, und auch für Radio Prag stellt dieses Ereignis selbstverständlich einen ganz besonderen Programmschwerpunkt dar. Dabei ist es nicht nur von Interesse, welche unmittelbaren Konsequenzen Tschechiens EU-Beitritt haben wird, sondern auch, wie dieser auf der innenpolitischen Szene bereits jetzt seine Spuren hinterlässt. Einer der entschiedenen Befürworter - nicht nur des Beitritts, sondern der europäischen Integration überhaupt - ist hierzulande Premierminister Vladimir Spidla. Anlässlich seines jüngsten Berlin-Besuchs hat sich erneut gezeigt, welch hohen Stellenwert diese Frage für den tschechischen Premier einnimmt. Im nun folgenden Schauplatz ist Gerald Schubert der europapolitischen Orientierung von Vladimir Spidla nachgegangen. Hören Sie also ein "europapolitisches Portrait" des tschechischen Regierungschefs:
Zu Beginn eine Rückblende: Prag, 14. 6. 2003, der zweite und letzte Tag des tschechischen EU-Referendums. Auf dem Platz vor der Prager Burg, hoch über der abendlichen Kulisse der tschechischen Hauptstadt, haben sich mehrere tausend Menschen versammelt, um jene erste Volksabstimmung in der tschechischen Geschichte festlich ausklingen zu lassen. Viele wohl auch deshalb, um deren Ergebnis zu feiern. Denn immerhin haben sich ja mehr als drei Viertel der tschechischen Bevölkerung für den Beitritt des Landes zur Europäischen Union ausgesprochen.
Vor dem Hintergrund des Prager Stadtpanoramas steht eine große Bühne, es treten bekannte und weniger bekannte Musiker auf. Der letzte Programmpunkt des Abends ist jedoch dem Premierminister vorbehalten. Lange nach Einbruch der Dunkelheit betritt er plötzlich das Podium, ungewöhnlich schwungvoll, ungewöhnlich leger im roten Hemd und sichtlich bestens gelaunt:
"Es ist schön Leute zu sehen, die Mut haben, und ich muss sagen, dass ich stolz auf euch bin! Denn wir haben uns den Weg in die Zukunft geöffnet und müssen uns vor ihr nicht fürchten!"
Zu guter letzt singt Spidla dann sogar noch ein bekanntes tschechisches Volkslied: "Babeta geht in die Welt hinaus", so tönt es von der Bühne.
Am nächsten Tag sprach Tschechien dann nicht nur vom Ergebnis des Referendums, sondern auch von einem nicht wieder zu erkennenden Premierminister, dem ansonsten der Ruf vorauseilt, eine gewisse wortkarge Trockenheit zu versprühen. Doch was Manche als trocken interpretieren, das ist in einer Zeit der mund- und mediengerechten Politikrhetorik vielleicht doch eher der leise-bedächtige Ton, der die Ausführungen des 52jährigen Sozialdemokraten ansonsten zumeist begleitet. Die Vertiefung der europäischen Integration jedoch, die ist ihm ein zentrales Anliegen, und dem verleiht er schon mal eine Extraportion Nachdruck. Davon konnten sich auch die Besucher jenes Vortrages ein Bild machen, den Spidla Mitte Februar in der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung gehalten hat. Hier eine Kostprobe:
Ein bisschen zu viel Pathos an dieser Stelle? Vielleicht. Dass das für viele so klingen mag, dessen sei er sich durchaus bewusst, so meint auch Spidla:
"Trotzdem bin ich der Ansicht, dass diese Worte in der Perspektive der Geschichte die Veränderung, deren Zeugen wir in den letzten fünfzig Jahren auf unserem Kontinent geworden sind, klar ausdrücken."
Die Perspektive der Geschichte, sie ist für den gelernten Historiker Spidla wesentlich. Gerade in Bezug auf die Europäische Union. Immer wieder weist Spidla auf die für ihn grundsätzliche Aufgabe der EU hin, auf den großen historischen Wurf, den sie für ihn bedeutet. Nämlich: Die Überwindung der Katastrophen des 20. Jahrhunderts:
"Ehre gebührt der Weitsicht und dem Mut jener Politiker, die sich auf diesen neuen Weg begeben und ihn weiterentwickelt haben. Viele von ihnen kamen und kommen gerade aus Ihrem Land, aus Deutschland."
Von den Wählern im Inland wird soviel europäischer Geist jedoch freilich nicht immer goutiert. Jan Bures, Politologe an der Prager Karlsuniversität sowie an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und internationale Beziehungen über Vladimir Spidla:"Er präsentiert sich programmatisch als Politiker, der die weltweiten Interessen der EU sehr gut versteht. Und ich glaube, dass darin eine schon fast zu starke Vision zum Tragen kommt, die sich zu Hause vorerst nicht unbedingt bezahlt macht."
Die Meinungsumfragen der letzten Monate deuten tatsächlich in diese Richtung. Spidlas Sozialdemokratische Partei ist in einigen Untersuchungen schon auf Platz drei zurückgefallen, hinter die Demokratische Bürgerpartei ODS und sogar hinter die Kommunisten. Beide Oppositionsparteien gelten - jede auf ihre Weise - als euroskeptisch. Umgekehrt werden manche Reformvorhaben der Regierung, wie etwa einschneidende Sparpakete, oft gerade mit dem bevorstehenden EU-Beitritt in Verbindung gebracht. Dazu kommt laut Jan Bures noch ein weiterer Faktor:
"Spidla ist in hohem Maße ein Intellektueller, der sich in gewissen theoretischen Konzeptionen bewegt - und zwar auf ökonomischem und auf politischem Gebiet. Und es ist eben die Frage, ob die gewöhnlichen sozialdemokratischen Wähler das noch verstehen."Unverständnis erntet Spidla übrigens nicht nur von manchen Wählern, sondern oft auch Präsident Vaclav Klaus. Dieser nämlich macht im In- und Ausland immer wieder durch seine betont EU-skeptischen Aussagen auf sich aufmerksam, die sich vor allem gegen eine zu tiefe europäische Integration richten. Dazu Spidla im Pressegespräch in der tschechischen Botschaft Berlin:
"Das ist meiner Meinung nach kein Problem. Ich habe auch in anderen Ländern gesehen, dass nicht gerade die totale Einstimmigkeit herrscht. Unterschiedliche Aspekte sind immer wieder interessant, man kann damit arbeiten."
Spidlas Fürsprache für eine weit reichende europäische Integration beinhaltet übrigens auch das Bekenntnis zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch ein Punkt ist dabei auch für den tschechischen Premier unabdingbar, ein Punkt, der in letzter Zeit für gehöriges Kopfzerbrechen unter europäischen Politikern gesorgt hatte: Die Aufrechterhaltung der transatlantischen Achse als Bestandteil einer europäischen Sicherheitsarchitektur:
"Die transatlantische Achse ist ein Produkt des Jalta-Systems. Das Jalta-System ist weg, und die transatlantische Achse ist natürlich geschwächt. Wenn sie zusammenbricht, dann ist Europa marginalisiert, und meiner Meinung nach sind es ein wenig später auch die Vereinigten Staaten. Also diese transatlantische Achse ist lebenswichtig für beide Seiten."