Pressestimmen zu den Protesten tschechischer Landwirte vor dem Kopenhagener EU-Summit und zum Präsidentschaftswahlkampf

Proteste tschechischer Landwirte (Foto: CTK)

Die erste Dezemberwoche neigt sich ihrem Ende zu - Zeit für uns, an dieser Stelle wie gewohnt mit Ihnen, verehrte Hörer, die wichtigsten Ereignisse der zurückliegenden Tage aus der Sicht der tschechischen Medien noch einmal Revue passieren zu lassen. Zur Sendereihe "Im Spiegel der Medien" begrüßen Sie aus dem Prager Studio recht herzlich Robert Schuster und Silja Schultheis.

Proteste tschechischer Landwirte  (Foto: CTK)
Zwei Ereignisse waren es, die in der vergangenen Woche in besonderem Maße von der tschechischen Presse diskutiert wurden: Die jüngsten - und bislang heftigsten - Proteste tschechischer Landwirte gegen die von der Europäischen Union vorgeschlagenen Agrar-Direktzahlungen am Mittwoch dieser Woche. Und die Frage nach dem künftigen tschechischen Staatsoberhaupt und Nachfolger des amtierenden Präsidenten Vaclav Havel, dessen Amtszeit Ende Januar kommenden Jahres definitiv endet. Darüber hinaus kommentierten viele Zeitungen die in der vergangenen Woche erfolgte Abwahl von Jiri Balvin, dem Direktor des öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehens. Da wir uns damit bereits in unserem letzten Medienspiegel ausführlich beschäftigt haben, soll sie jedoch heute nicht im Blickpunkt dieser Sendung stehen.

Zu unserem ersten Thema. "Wessen Geld wollen die Landwirte?" fragt die Zeitung Hospodarske noviny in Reaktion auf die Proteste von rund 7.000 tschechischen Landwirten, die am Mittwoch vor dem Landwirtschaftsministerium lautstark für bessere Bedingungen ihres Berufsstandes nach dem tschechischen EU-Beitritt demonstrierten. Weiter heißt es in dem Blatt:

"Die unzufriedenen Landwirte bemühen sich, die Öffentlichkeit von ihrer gewissermaßen erlöserischen Mission zu überzeugen: wir kämpfen für das gesamte Landbevölkerung, für die tschechischen Verbraucher, für die ganze Republik - wir verkaufen uns nicht der Europäischen Union."

Bei genauerem Hinsehen, so der Kommentator weiter, erwiesen sich die Proteste der Bauern jedoch als ziemlich egoistisch:

"Die Landwirte wollen offensichtlich, dass sie sowohl in den Geschäften für ihre Produkte mehr Geld bekommen als auch dass die Steuerzahler ihnen mehr in Form von staatlichen Subventionen zahlen. Es ist unredlich, die Mitbürger mit Losungen über die Verteidigung ihrer Interessen zum Narren zu halten, wenn es ganz offensichtlich um lobbyistische Interessen geht, die für die Geldbeutel der Verbraucher schlichtweg unvorteilhaft sind."

Die Zeitung Lidove noviny erörtert in ihrer Mittwochsausgabe die Frage, inwiefern die Proteste der Landwirte der tschechischen Regierung in Hinblick auf den bevorstehenden EU-Gipfel in Kopenhagen gelegen kommen:

"Die Bauern-Proteste passen den Regierungsvertretern für die Verhandlungen mit der EU in den Kram. Ihre Taktik ist klar: Brüssel macht aus Angst vor der Stimmung unter den polnischen und tschechischen Landwirten ein paar mehr Euro locker als geplant."

Ob der Zeitpunkt für die Proteste jedoch günstig gewählt war, sei fraglich, bemerkt der Autor:

"Kamen die Demonstrationen nicht zu spät? Die Europäische Union ändert zwar häufig im letzten Moment ihre Haltung. Vielleicht wäre es aber lohnenswert gewesen, die europäischen Beamten bereits vor dem Finale der Beitrittsverhandlungen mit der Stimmung unter den Landwirten vertraut zu machen?"

Soweit die Überlegungen der Zeitung Lidove noviny und soviel zu diesem Thema.

Präsidentsstandarte
Die Frage, wer in knapp zwei Monaten den charismatischen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel nach 13 Jahren im Amt ablöst, zählt seit Wochen zum Dauerbrenner in den Kommentarspalten der hiesigen Medien. Ende vergangener Woche erhielt sie durch die Ergebnisse eines von den regierenden Sozialdemokraten durchgeführten Referendums über ihren Präsidentschafts-Kandidaten erneuten Auftrieb. Deutlich kritisiert wurde von nahezu allen Print-Medien sowohl die Tatsache, dass und wie diese Umfrage durchgeführt wurde als auch das Ergebnis, in dem der vor einem halben Jahr aus der Politik ausgeschiedene Ex-Premier Milos Zeman ein klares Comeback hinsichtlich seiner Beliebtheit erlebte. Dazu schreibt die Zeitung Pravo in ihrer Mittwochsausgabe:

"Milos Zeman fällt nach ein paar Monaten vollständig aus der Rolle heraus, die er unlängst bei seinem angeblich definitiven Ausscheiden aus der Politik spielte. Damals hat sich Zeman zu einem Politiker stilisiert, der das gemacht hat, was er sich vorgenommen hat und ein politisches Engagement künftig allein für die Krisensituation erwägt, in der Tschechien nicht in der Lage wäre, einen neuen Präsidenten zu wählen."

Das jetzige Verhalten des Ex-Premiers, so der Kommentator weiter, liefe diesen Vorsätzen jedoch diametral entgegen:

"Wenn Zeman sein Versprechen nur ein wenig ernst gemeint hätte, müsste er jetzt auf die nahenden Präsidentschaftswahlen vollkommen anders reagieren. Er müsste seinen Einfluss und seine Kontakte nutzen, um sich selbst vor einer Rückkehr in die Politik zu schützen. Stattdessen macht er sich bereits im Voraus über alle Präsidentschafts-Kandidaten lustig, wirft ihnen Schwäche vor und glüht vor Stolz über sein eigenes Übergewicht und seine Stärke. Damit gibt er faktisch zu, dass er die Öffentlichkeit mit seinem fingierten Rückzug aus der Politik nur zum Narren gehalten hat."

Soweit die Zeitung Pravo. Das Blatt Mlada fronta dnes erkennt in dem Ergebnis der von den Sozialdemokraten durchgeführten Meinungsumfrage den Beginn eines neuen Trendes:

"Ein paar Monate Aufatmen haben den Menschen gereicht, um zu begreifen, welche Lücke Ex-Premier Zeman nach seinem Abtritt hinterlassen hat. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass es in unserer politischen Szene wenig Persönlichkeiten gibt, ist die Neuentdeckung eines ehemaligen Eckpfeilers der tschechischen Politik eine gesetzmäßige Erscheinung. Dieser Trend wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach fortsetzen."

Um diesen Trend zu stoppen, überlegt ein anderer Kommentator der Mlada fronta dnes, müsse Zemans Nachfolger, der amtierende Premier Vladimir Spidla, eine andere Taktik wählen:

"Wenn Spidla seine historische Mission erfüllen und den von ihm angekündigten neuen politischen Stil einführen will, muss er Farbe bekennen. Das sogenannte Referendum erfüllt in keinster Weise die Kriterien eines Referendums, man sollte eher von einer Meinungsumfrage sprechen. Diese Meinungsumfrage hat mit ihrem Ziel und mit der absolut diletantischen Vorbereitung den Sinn der direkten Demokratie karikiert. Das ist insbesondere vor dem bevorstehenden Referendum über den EU-Beitritt politisch unverantwortlich."

Bleibt anzumerken, dass das erwähnte Referendum faktisch keine Auswirkung auf die Nominierung des sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten hat, sondern von den Sozialdemokraten als Ausdruck direkter Demokratie zur Ermittlung der Stimmungslage in der Bevölkerung konzipiert war. Wer tatsächlich als sozialdemokratischer Kandidat in die Präsidentschaftswahlen zieht, wird sich an diesem Wochenende auf der Vorstandssitzung der stärksten Partei des Landes herausstellen.