6000 Kilometer Bananen: Fairtrade Tschechien und Slowakei feiert 20 Jahre
Was haben fairer Handel und Literatur miteinander gemeinsam? Laut Michal Stehlík, dem Direktor des Prager Literaturmuseums, geht es bei beidem viel um Verantwortung. Dies sagte Stehlík anlässlich eines Empfangs, bei dem am Montag das 20-jährige Bestehen von Fairtrade Tschechien und Slowakei (FTČS) gefeiert wurde. Die Organisation hatte sich dafür die schmucken Räumlichkeiten des noch relativ neuen Museums ausgesucht. Dem abendlichen Empfang ging eine Konferenz voraus, bei der unter anderem die bisherigen Erfolge des fairen Handels in Tschechien bilanziert wurden.
Applaudiert wurde zum Auftakt der Jubiläumskonferenz, mit der die Fairtrade-Organisation für Tschechien und die Slowakei an ihre Anfänge vor 20 Jahren erinnerte. Später gab es, wie es sich gehört, Torte, Luftballons und fair gehandelte Rosen. Einer der besonderen Gäste, die der NGO zum Geburtstag gratulierten, war Hartwig Kirner. Er ist Geschäftsführer der Schwesterorganisation Fairtrade Österreich und sagte gegenüber Radio Prag International:
„Ich bin jetzt mehr als 17 Jahre bei Fairtrade in Österreich tätig. Viele davon habe ich mit der Fairtrade-Organisation Tschechien und Slowakei zusammengearbeitet. Der Fortschritt in diesen 20 Jahren war wirklich immens. Fairtrade ist mittlerweile eine Marke, die hier anerkannt ist bei den Themen Handelsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Und es ist wirklich schön, wie sich die Tschechische Republik in die internationale Fairtrade-Familie eingliedert.“
Diese Familie wird von Fairtrade International in Bonn zusammengehalten, das derzeit 19 Landesbüros und drei Produzentennetzwerke vereint. Die tschechisch-slowakische Tochter kam 2014 hinzu. Den Beitritt hatten die Prager damals noch unter dem Namen Asociace pro fair trade (Assoziation für Fair Trade) ausgehandelt, und eben dieser Verein ist vor 20 Jahren, also 2004 gegründet worden – was derzeit gefeiert wird.
Die Assoziation bezog sich zu Beginn auf den fairen Handel im Allgemeinen, weswegen der Begriff damals im Namen noch mit den zwei Worten Fair Trade auftauchte. Als ein Wort schreibt sich die englische Bezeichnung nur, wenn es konkret um die Dachorganisation und ihre Länderbüros geht, die im Rahmen ihres Zertifizierungssystems das bekannte blau-grüne Label vergeben.
Daran war in Tschechien 2004 noch nicht zu denken. Damals ging es vor allem darum, die Idee des fairen Handels hierzulande vorzustellen und zertifizierte Produkte überhaupt zum Verkauf anzubieten. Darum verdient gemacht haben sich dabei drei kleine NGOs, die sich in der Assoziation zusammenschlossen: Jeden svět (Eine Welt), Ekumenická akademie (Ökumenische Akademie) und Společnost pro fair trade (Gesellschaft für Fair Trade, heute: NaZemi). Lubomír Kadaně, aktueller Geschäftsführer von FTČS, macht an einigen Zahlen deutlich, welcher Weg seitdem zurückgelegt wurde:
„Fairtrade Tschechien und Slowakei feiert 20 Jahre. Und ich denke, man kann heute sagen, dass es sich um eine stabile Organisation handelt. Gemeinsam mit anderen Unterstützern hat sie dafür gesorgt, dass in Tschechien inzwischen etwa 2800 Produkte mit dem Fairtrade-Label zu haben sind. Das ist ein großer Erfolg. Und aus Meinungsumfragen wissen wir, dass 67 Prozent der Menschen das Label kennen. Seit der Zeit vor 20 Jahren, als es noch 16 Prozent waren, gab es also ein großes Wachstum.“
An diesem arbeitet die NGO weiter, und das mit einer Reihe von Handelspartnern. Dazu gehören etwa Fair-Trade-Onlineshops, aber auch Tankstellenbistros oder namhafte Supermarktketten. Kadaně nennt einen Verkaufsschlager:
„Bananen sind ein zentraler Artikel für Fairtrade. In den 20 Jahren wurden in Tschechien so viele faire Bananen verkauft, dass sie einzeln aneinandergereiht eine Linie von Prag bis nach Nairobi bilden würden. Das sind etwa 6000 Kilometer.“
„Fairtrade-Label verleiht Einzigartigkeit“
Die beliebtesten fairen Produkte sind weltweit aber Kakao und Kaffee. Das ist auch in Tschechien und der Slowakei so. Darum gehörten Kaffeeröstereien zu den Pionieren, die sich hierzulande um das Fairtrade-Label bemühten. So etwa das Genossenschaftsunternehmen FairBio, das in Kostelec nad Labem / Elbekosteletz grüne Kaffeebohnen aus Brasilien, dem Kongo oder auch Papua-Neuguinea verarbeitet. Martin Třešňák ist der Geschäftsführer:
„Unsere Rösterei feiert in diesem Jahr die Hälfte von dem, was FTČS vorweist, nämlich zehn Jahre Existenz. Wir haben mit EU-Fördergeldern begonnen, mit denen wir Leute einstellen und die nötige Technik kaufen konnten. Da wir ganz bei null angefangen haben, ging es zunächst langsam voran. Aber dank der Fördergelder hatten wir Zeit, alles zu lernen – also das Rösten von Kaffee und auch den Umgang mit unseren Mitarbeitern, von denen die meisten eine Behinderung haben.“
Die FairBio-Rösterei ist schon seit mehreren Jahren nicht mehr von EU-Fonds abhängig. Inzwischen würden sie nur noch hin und wieder kleinere Fördersummen innerhalb Tschechiens beantragen, sagt Třešňák. Heißt das also, dass eine kleine Faitrade-zertifizierte Produktionsfirma hierzulande mittlerweile eigenständig bestehen kann?
„Dafür sind wir der lebende Beweis. Aber unser Unternehmen ist nicht nur auf den fairen Handel ausgerichtet. Wichtig ist für uns auch die soziale Komponente. Ich bin jedoch überzeugt, dass uns das Fairtrade-Label eine Einzigartigkeit verleiht – eben in Verbindung mit dem sozialen Unternehmertum und der Genossenschaftsform. Diese Kombination macht unsere Originalität aus. Es ist einerseits zwar eine schwere Last, alle drei Prinzipien einzuhalten. Andererseits sehen wir aber den Sinn darin. Und die Verbindung über die gesamte Welt, von den Bauern im Globalen Süden bis hin zu den Verbrauchern, ist perfekt.“
In Tschechien hergestellte Produkte, wie etwa Kaffee oder auch Kekse aus fair gehandeltem Kakao und Zucker, haben sicher zu einer größeren Bekanntheit des Fairtrade-Labels beigetragen. Parallel dazu besteht eine weitere zentrale Aufgabe von FTČS darin, Aufklärungs- und Informationsarbeit zu leisten. Das war schon zu jenen Zeiten so, als die Organisation noch den Namen Assoziation für Fair Trade trug. Gerade in den Anfangsjahren waren publikumswirksame Happenings ein wichtiges Mittel. So gab es 2012 in Prag etwa einen Unterwäsche-Lauf. 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer joggten dabei in Unterwäsche aus fairer Baumwolle um den Wenzelsplatz.
An andere Aktionen erinnert sich Pavla Švecová. Sie war vor etwa zehn Jahren in der Ökumenischen Akademie bei den internationalen Projekten „Make Chocolate Fair!“ und „Make Fruit Fair!“ aktiv:
„Wir sind den Prager Halbmarathon in einem Bananenkostüm mitgelaufen. Das ist sehr aufgefallen. Denn unter den Tausenden Läufern war eben eine große Banane. Das haben viele Leute gesehen. Dann gab es ein Happening, bei dem wir uns als Nikolaus und seine Begleiter verkleidet haben. So verkündeten wir in mehreren Städten Tschechiens, dass der Nikolaus lieber Fair-Trade-Schokolade verteilen wolle, als Ersatzprodukte. Zumeist gab es darauf positive Reaktionen. Aber das liegt auch schon zehn Jahre zurück, als es noch großes Unwissen über den fairen Handel gab. Für viele Leute waren das neue Informationen.“
Zwar gebe es immer auch Menschen, die nichts davon wissen wollten, was in der Welt schlecht laufe, fügt Švecová hinzu. Dennoch sei klar erkennbar, dass jetzt mehr Menschen in Tschechien wüssten, was der faire Handel sei, so ihre Einschätzung.
Direkter Kontakt mit Landwirten im Globalen Süden
Für die Informationsarbeit produziert Fairtrade Tschechien und Slowakei mittlerweile auch Dokumentarfilme. „Ve stínu kakaovníku“ (Im Schatten des Kakaobaumes) wurde beim Internationalen Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad sogar in der Kategorie Kurzfilm ausgezeichnet. Gedreht hat Autor und Regisseur Stanislav Komínek, der bei FTČS für die Aufklärungskampagnen zuständig ist, in der Elfenbeinküste. Dafür stellte er die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen einander gegenüber, die auf Kakaoplantagen mit und ohne Fairtrade-Zertifizierung bestehen.
Wie wichtig der direkte Kontakt in die Länder des Globalen Südens ist, erläutert Lubomír Kadaně:
„Wir laden regelmäßig Landwirte nach Tschechien und in die Slowakei ein, damit sie von ihren Erfahrungen und Problemen berichten sowie davon, was Fairtrade für sie bedeutet. Und ganz ähnlich bieten wir jungen Botschaftern, Journalisten und Influencern von hier die Möglichkeit, in Länder zu reisen, in denen Kaffee, Kakao und andere Nutzpflanzen angebaut werden. Dort sammeln sie eigene Erfahrungen und können diese danach hierzulande weitergeben.“
Das macht zum Beispiel Mirka Van Gils Slavíková. Sie ist Konditorin, Bloggerin, Influencerin und war zum Beispiel in der beliebten Fernsehshow „Peče celá země“ (in Deutschland „Das große Backen“) als Jurymitglied zu sehen. Seit 2020 engagiert sie sich öffentlich für FTČS und ruft zum Kauf fair gehandelter Produkte auf. Im vergangenen Jahr hat sie an einer Informationsreise der Organisation nach Peru teilgenommen und Bananen-, Kakao- und Kaffeeplantagen besucht…
„Die Reise hat meinen Horizont unglaublich erweitert. Das stärkste Erlebnis war für mich der Besuch einer Kaffeeplantage, auf der die Inka-Frau Josefine arbeitet. Als wir dort ankamen, sahen wir die Indigenen mit ihren hohen Hüten. Darunter war eine ganz kleine Großmutter, die etwas für mich ausstrahlte, sodass ich sie einfach umarmen musste. Erst danach habe ich erfahren, wer sie ist. Sie ist 86 Jahre alt, hat neun Kinder und erntet bis heute die Kirschen für unseren Kaffee. Das Treffen war so intensiv, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wir konnten uns gar nicht mehr trennen und haben Armbänder ausgetauscht.“
Bei der Fairtrade-Jubiläumskonferenz berichtete Mirka Van Gils Slavíková sehr anschaulich davon, dass sie seit ihrem Besuch in Peru ihren Kaffee nicht mehr so gleichgültig wie früher trinken würde und dabei das Gesicht der alten Bäuerin vor sich sehe. Dem schloss sie eine Kritik an dem übermäßigen Konsum im Globalen Norden an und an der anonymen Beziehung der Verbraucher zu den Rohstoffen aus dem Globalen Süden. Und im Interview führte sie aus:
„Die wichtige Erkenntnis, die mir diese Reise gebracht hat, ist diese: Ich muss immer noch mehr bei den Leuten hier ein Bewusstsein schaffen dafür, dass der Kaffee auf unserem Tisch keine Selbstverständlichkeit ist. Hinter ihm stehen Menschen, wie auch hinter der Schokolade Menschen stehen und ebenso hinter den Bananen. Alle diese Pflanzen müssen per Hand angebaut werden, denn oft können keine Maschinen bei der Ernte und überhaupt beim Anbau eingesetzt werden. Es ist eine unglaublich harte Arbeit. Ich weiß, dass es viele Leute hierzulande erzürnt – aber ich denke, dass wir endlich anfangen sollten, faire Preise zu bezahlen. Das heißt, dass ich für Bananen nicht nur 50 Cent gebe, sondern zwei oder drei Euro. Denn das ist ihr Preis. Wir wissen die nötige Arbeit beim Anbau einfach nicht zu schätzen. Das ist schlecht. Ich glaube, dass wir ziemlich egoistisch und rücksichtslos sind.“
Klimakrise als Herausforderung für Zukunft
Die Menschen hierzulande zu motivieren, fair gehandelte Waren zu kaufen, bleibt auch in den kommenden Jahren die Hauptaufgabe für Fairtrade Tschechien und Slowakei. Zudem stünden viele weitere Herausforderungen an, gibt Lubomír Kadaně einen Ausblick, und das gelte ebenfalls für die Partner im Globalen Süden. Die Landwirte seien immer mehr mit den Folgen der Klimakrise konfrontiert, die Trockenheit oder unvorhersehbares Wetter verursache, so der Geschäftsführer.
ZUM THEMA
Auf diese Problemlage richtet sich die Arbeit von Fairtrade International immer mehr aus. Bei der Konferenz wurde zudem die Frage diskutiert, wie neue Technologien sinnvoll bei der Bildungsarbeit zu entwicklungspolitischen Themen eingesetzt werden können. Auch Hartwig Kirner lenkt den Blick in die nähere Zukunft und sagt:
„Ich wünsche der Fairtrade-Organisation in der Tschechischen Republik, dass sie sich auch die nächsten Jahre so positiv entwickelt, dass sie ihren Spirit beibehält und weiterhin mit so viel Leidenschaft für den fairen Handel kämpft. Und ich wünsche ihr, dass die Konsumentinnen und Konsumenten sie dabei unterstützen.“