Privatmiesepeter
In Deutschland ist das Privatradio knapp ein Vierteljahrhundert alt. In Tschechien ist es ein bisschen jünger, es entstand erst nach dem Sturz des kommunistischen Regimes vor 20 Jahren. Seither jedenfalls können wir da und dort immer wieder hören, wie wichtig doch der Einzug der Privaten ins bislang öffentlich-rechtliche bzw. staatliche Reich der Frequenzen war, wie bunt die Medienlandschaft doch wurde, dank der kommerziellen Betreiber.
Da ist natürlich etwas dran. Kaum jemand in Europa stellt heute das duale Mediensystem, also einen Mix aus öffentlichen und privaten Sendern, ernsthaft infrage. Wir öffentlich-rechtlichen sehen uns freilich herausgefordert. Während die Chefs der Privatsender über den Maßstab ihres Erfolgs nicht lange nachdenken müssen, schließlich geht es einfach nur ums Geldverdienen, kauen wir immer wieder an den Grundfragen unserer Existenz. Information sollen wir vermitteln, unterhalten sollen wir, einen Bildungsauftrag haben wir auch. Ein Kitt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sollen wir sein, eine Plattform für das gesellschaftliche Gespräch, innerhalb der Landesgrenzen und – im Fall von Radio Prag – sogar über diese Grenzen hinaus. Doch wer beurteilt den Erfolg? Ist die Quote der alleinige Maßstab, oder geht es nicht doch um mehr? Und dann sehe ich in der Prager U-Bahn das Plakat eines Prager Privatradiosenders. Es macht Werbung für die neue Internetdomain, die sich der Sender gesichert hat, und die man etwa mit www.beschissenesleben.cz übersetzen könnte. Das Plakat gibt irgendein Beispiel dafür, warum das Leben in Prag eben beschissen sei, und fordert die Hörer auf, doch ebenfalls ihre Erfahrungen mit dem beschissenen Leben einzubringen. Auf der genannten Internetseite findet man dann diverses Gejammer über den Stau am Morgen, den in der Wohnung vergessenen Wohnungsschlüssel oder den Vogelkot auf der Jacke. Vielleicht sollte ich eine Domain eröffnen, die man frei mit www.herrlichesleben.cz übersetzen könnte. Der erste Eintrag käme von mir selbst: Ich darf bei einem Sender arbeiten, bei dem die klassische öffentlich-rechtliche Frage „Wer sind wir, woher kommen wir und wohin gehen wir?“ gewissermaßen zum Berufsalltag gehört, bei dem aber trotzdem niemand auf die Idee kommen würde, eine Internetplattform über das angeblich beschissene Leben einzurichten. Herrlich!