Neuer Sender in drei Wochen: Radio für ukrainische Geflüchtete in Tschechien
Fast 500.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge hat Tschechien bisher aufgenommen. Manche sind schon bald wieder in ihre Heimat zurückgekehrt oder in ein anderes Land weitergereist. Aber eine gewisse Anzahl von ihnen wird wohl noch länger oder gar für immer in Tschechien bleiben. Für sie gibt es schon seit einem Jahr einen Radiosender, der von der tschechischen Privatstation Hitradio betrieben wird. Er wurde in nur drei Wochen geplant und eingerichtet, ohne dass der Programmdirektor und sein Team ein Wort Ukrainisch konnten. Geholfen haben dabei die Geflüchteten selbst.
Die Marke Hitradio vereint in Tschechien mehrere Regionalsender, die auf die Zielgruppe der 25- bis 45-Jährigen abzielen. 2005 gegründet, gehört Hitradio zum Unternehmen Media Marketing Services und ist eines der meistgehörtesten Privatradios hierzulande. Neben den zehn Stationen, darunter etwa City Brno, Contact oder North Music, gehört seit März 2022 auch Radio Ukrajina zum Portfolio.
Als Abenteuer bezeichnet Hitradio-Programmdirektor Michal Merenda die Entstehung des neuen Senders. Auf den Radiodays Europe in Prag erzählte er von drei hektischen Wochen, kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, in denen die Station ins Leben gerufen wurde. Zehntausende Flüchtlinge kamen damals täglich nach Tschechien. Obwohl er selbst kein Wort Ukrainisch sprach, habe er ihnen einen Anknüpfungspunkt bieten wollen, sagt Merenda:
„Meine erste Story darüber lautet: Dringlichkeit und eine Mission machen alles möglich – vor allem beim Radio. Viele Rundfunkstationen haben sich wahrscheinlich die gleiche Frage gestellt: Wie können wir den Geflüchteten helfen, und was brauchen sie? Meiner Auffassung nach sind dies Informationen, ein Gemeinschaftsgefühl und jemand, der immer für sie da ist – 24 Stunden an sieben Tagen die Woche.“
Nur wenige Tage nach der Invasion Russlands habe die Hitradio-Leitung den Plan geäußert, einen Radiosender auf Ukrainisch zu starten. Er habe die Idee gut gefunden, betont Merenda…
„Auf meine Frage, wann er auf Sendung gehen solle, sagte mein Chef: In drei Wochen. Nun bin ich ein ziemlich fauler Mensch. Ich brauche schon drei Wochen dafür, ein einfaches Musikelement für einen Werbejingle auszuwählen. Und jetzt sollte ich in dieser Zeit einen kompletten Radiosender aufziehen. Aber in diesem Moment wussten wir alle, dass dies sehr wichtig ist.“
Merenda begann sogleich, ukrainischsprachige Mitarbeiter zu suchen, Lizenzangelegenheiten zu regeln und ein Programmschema zu entwickeln. Er blickt zurück:
„Dies waren Tage voller Beratungen mit wichtigen Leuten, etwa von der ukrainischen Botschaft, der tschechischen Regierung oder Flüchtlingsorganisationen. Aber auch mit Pfarrern, Experten in Arbeits- und Unterkunftsfragen oder aber Autoren von Märchengeschichten. Letztlich haben wir es geschafft.“
Am 26. März 2022 ging Radio Ukrajina dann auf Sendung.
Alle erdenklichen Fehler gemacht
Wenn man Rundfunk für eine spezifische Zielgruppe macht, dann müsse man auch deren Sprache sprechen, so ein Erfahrungswert von Michal Merenda. Da dies im Falle von Radio Ukrajina nicht gegeben war, habe er „menschliche Wörterbücher“ hinzuziehen müssen…
„Ich fand eine große Hilfe bei Olga Perebyjnis, der Ehefrau des damaligen ukrainischen Botschafters. Außerdem gab es Natalia Churikova, eine ehemalige Moderatorin von Radio Free Europe, und Sophia Tatomyr, eine wunderbare junge Frau, die mit der ersten Fluchtwelle nach Tschechien gekommen war. Ohne die drei wäre ich verloren gewesen. Denn es passierten alle Fehler, die man nur machen kann.“
Dies habe schon bei der Einstellung neuer Moderatoren begonnen, geht der Radiomacher ins Detail. 500 Bewerbungen habe er auf dem Tisch gehabt und 50 Interessierte zu Sprechproben eingeladen:
„Bei der ersten Kandidatin war ich begeistert. Sie hatte eine schöne Stimme und eine gute Intonation. Also spielte ich die Aufnahme Natalia vor. Sie lächelte nur und sagte, dass wir die Frau aber nicht einstellen könnten – denn sie spreche nicht Ukrainisch, sondern einen Mix aus Russisch und Ukrainisch. Ich hatte ja keinen Schimmer.“
Ähnlich sei es bei der Musikauswahl gelaufen, so Merenda weiter. Sein Team habe gut klingende Songs von ukrainischen Radiosendern übernommen. Es war dieses Mal Sophia, die ihm sagen musste, dass die meisten aber russische Produktionen waren und vom Publikum der Angreiferseite im Krieg zugeordnet würden. Und auch bei den Erkennungsmelodien für die neuen Sendungen habe die Vorarbeit der tschechischen Kollegen korrigiert werden müssen:
„Wir hatten einen Servicejingle vorbereitet mit dem ukrainischen Wort für Wetter. Er wurde von der besten Stimme gesprochen, die wir im Sender haben. Als wir den Jingle dem neuen ukrainischen Team vorspielten, fingen sie an zu lachen und sagten: ‚Michal, das ist so süß. Aber es klingt schlecht.‘ Also haben sie den Spot selbst noch einmal aufgenommen.“
Neu ins Radio verliebt
Aus all den Anfangsfehlern habe man aber schnell gelernt, resümiert der Programmchef lächelnd. Es sei gelungen, in kürzester Zeit die richtigen Leute einzustellen. Die Moderatoren von Radio Ukrajina hätten etwas zu sagen, so Merendas Fazit. Und sie seien nicht nur Teil der Comunity, sondern auch mit Leidenschaft bei der Sache…
„Egal ob es um Radio für Geflüchtete geht, für junge Leute oder für Rockmusikfans: Die Lehre für alle Formate lautet, dass man immer jene Leute einstellen muss, für die das Programm gemacht wird. Man muss sie respektieren und ihnen zuhören. Man muss ihnen zuschauen, ihre Weltsicht verstehen und damit arbeiten. Man sollte im Gespräch mit ihnen nicht als erster reden und nie voreingenommen sein.“
Denn auch ein Programmdirektor habe nicht immer auf alles die richtigen Antworten parat, so die beinahe demütige Schlussfolgerung des Teamchefs. Seine Aufgabe sehe er darum darin, die passenden Leute für die jeweiligen Projekte zu finden und die richtigen Fragen zu stellen. Der Rest sei an der Redaktion:
„Sie haben es geschafft. Die Geflüchteten haben ihr Publikum und ihre Follower gefunden. Sie produzieren phantastische Inhalte, und ich bin sehr stolz darauf. Als Flüchtlinge haben sie ein neues Zuhause gefunden, und ich glaube, dass viele von ihnen für immer bei uns bleiben.“
Und noch eine Story hatte Michal Merenda bei den Radiodays Europe zu erzählen. Sie sei romantisch, kündigte er an, denn sie handle davon, wie er sich wieder ins Radio verliebt habe. Die Konzeption von Radio Ukrajina habe ihn von Neuem über Sinn und Funktion des Rundfunks nachdenken lassen:
„Er wurde einst erfunden, um wichtige Informationen weiterzuverbreiten und zu teilen. Dabei geht es um das Gefühl von Verbundenheit – etwa wenn der Moderator in der Live-Sendung zu weinen beginnt, weil er von der Geschichte eines Hörers so berührt ist. Oder wenn jemand im Studio anruft und sagt, dass wir seine Laune, seinen Tag oder auch sein Leben verändert hätten und dass er uns als seine Freunde betrachten würde. Dieses Gefühl der Verbundenheit geht manchmal durch Formalitäten verloren, denn wir arbeiten nach Sendeschemen und Musiktrends. Diese sind auch wichtig. Aber der Geist des Radios liegt woanders.“
Daran denke er nun immer bei seiner Arbeit, ergänzt Merenda, egal ob er Werbung für die Sender mache oder Rücksprache mit den Moderatoren halte. Und aus dem Abenteuer mit Radio Ukrajina könne er folgende Erkenntnis teilen:
„Du und dein Team, ihr könnt eine Herausforderung meistern, wenn der Grund dafür stark genug ist. Bei allem, was wir tun, sollten wir im großen Maßstab denken. Denn beim Radio ist nichts unmöglich.“
Auch Radio Prag International betreibt ein Programm für ukrainische Geflüchtete. Zu finden ist der Podcast für Ukrainer in Tschechien auf unserer Webseite: https://cesky.radio.cz/node/8743871/o-poradu. Zudem wird es in den kommenden Wochen einen Webauftritt auf Ukrainisch von Radio Prag International geben.
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