Slow Radio: Vogelzwitschern zum Entspannen

Illustrationsfoto: Breakingpic, Pexels, Public Domain

Der Mensch heute ist meist viel zu gestresst. Nicht selten nervt einen auch die laute Umgebung. In der Natur allerdings finden wir Erholung. Darauf baut auch das sogenannte Slow Radio.

Jan Kužník  (Foto: Alžběta Švarcová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ein geheimer Ort in Südböhmen. Die Vögel zwitschern, Wasser plätschert, und in den Baumwipfeln raschelt der Wind. Das Slow Radio sendet rund um die Uhr, und zwar im Internet. So kann man sich die erholsame Natur ins Büro oder nach Hause holen. Jan Kužník ist einer der Gründer des Projekts:

„Slow Radio wurde von vier Leuten ins Leben gerufen. Es ist der Ableger eines älteren Projekts von uns, Slow TV. Dafür haben wir ein Modell vom Norwegischen Fernsehen übernommen, das Dauersendungen von Schiffen ausstrahlt oder per Kamera die Wanderungen der Rentiere beobachtet. Daraus haben wir eine tschechische Version gemacht, bei der etwa der Flughafen gefilmt wird, eine Straßenbahn oder eine Staustufe für Kanuten. Jemand sagte dann, dass es doch interessant wäre, nur eine Audioversion zu erstellen. Am schönsten ist es in der Natur. Und so entstanden unsere ersten Live-Übertragungen.“

Illustrationsfoto: Breakingpic,  Pexels,  Public Domain
Daraus entwickelte sich das heutige Projekt: eine Geräuschkulisse, bei der sich entspannen lässt. Bei der Suche nach dem richtigen Ort half die tschechische Ornithologische Gesellschaft:

„Das war das Schwerste am ganzen Projekt. Wir haben nach einem idealen Ort gesucht, aber nach etwa einem Jahr mussten wir feststellen, dass es diesen nicht gibt. Der Platz sollte keine menschlichen Geräusche bieten, aber viel interessante Natur und zudem sicher sein vor ungewollten Zugriffen. Wir haben uns mehrere mögliche Stellen angeschaut. Erst durch eine Empfehlung der Ornithologischen Gesellschaft sind wir fündig geworden. Den Ort will ich aber nicht genauer beschreiben, damit dort niemand hingeht.“

Versteckter Ort in Südböhmen

Ein paar Angaben macht Jan Kužník aber doch. Es handle sich um ein Brutgebiet für Vögel, das geschützt ist. Und es liege an einer Wasserfläche in Südböhmen, so der Radiobetreiber. Tatsächlich ist tags und nachts einiges los, wenn man die Sendung einschaltet…

„Das Slow Radio sendet von einem Ort, an dem zu dieser Jahreszeit laut den Ornithologen bis zu 40 Vogelarten zu hören sind. Da sich die Mikrophone in Wassernähe befinden, erkennt man zum Beispiel auch das Platschen der Fische. Und besonders in der Nacht springen sie aus dem Wasser und schnappen nach Mücken. Frösche sind des Weiteren zu hören und Waldtiere, die vorbeikommen. Dazu summen die Insekten. Da wir in Stereo in hoher Audio-Qualität senden, kann man manchmal am Kopfhörer auch mitbekommen, wie eine Mücke von der einen zur anderen Seite fliegt. So wahrheitsgetreu ist die Übertragung. Neben den Tönen von Tier und Natur ist in der Ferne aber auch der Mensch zu hören. In Tschechien und auch anderswo in Europa liegt wohl kein Ort so weit von der Zivilisation entfernt, dass man von ihr gar nichts mitbekommt. Auch bis zu unseren Mikrophonen dringt ab und an das Rauschen des Straßenverkehrs durch oder von einem Rasenmäher. Ich denke aber, das ist minimal“, so Kužník.

Illustrationsfoto: Nic Stage,  Flickr,  CC BY-NC-SA 2.0
Um wirklichen Spitzen-Sound zu bieten, haben die Macher von Slow Radio zwei Mikrophone vor Ort postiert. Es seien Geräte für professionelle Filmarbeiten in Studio-Qualität, betont Jan Kužník. Aber das ist noch nicht alles an Technik, was dort installiert wurde:

„Außerdem muss dort ein Gerät sein, das die Impulse der Mikrophone verarbeitet. Das heißt, dort befindet sich zudem ein Computer. Und letztlich brauchen wir Internet-Empfang, das war die zweite Vorgabe, die unsere Suche nach dem richtigen Ort so erschwert hat. Denn an den entlegenen Orten, die wir gefunden haben, gab es dann kein Handy-Signal. Und das zumindest brauchen wir für die Übertragung. Das heißt, einen Router haben wir dort auch. Die Sendung lässt sich unter der Webadresse www.slowradio.cz verfolgen.“

Jiří Kantor  (Foto: Jan Sklenář,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Mit dem Slow Radio wollen Kužník und seine Mitstreiter den gestressten Tschechen bei der Entspannung helfen. Dazu zitierte der Nachrichtenserver idnes.cz vor einiger Zeit den Sonderpädagogen und Musiktherapeuten Jiří Kantor. Der Wissenschaftler von der Palacký-Universität in Olomouc / Olmütz sagte unter anderem:

„Die Töne der Natur sind ein Beispiel für sogenannte Ambient-Klänge. Im Fall von Vogelgezwitscher spricht man auch von Ambient-Vogelklang. Die Wirkung von solchen Klängen ist bisher noch wenig erforscht, doch es gibt einige Studien, die ihre positive Wirkung auf den menschlichen Organismus belegen. Bei den Versuchsreihen werden die Probanden zunächst künstlich unter Stress gesetzt. Dann wird im Vergleich zu einer Kontrollgruppe festgestellt, wie stark die Wirkung von Ambient-Klängen auf das parasympathische Nervensystem ist. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems ist verantwortlich dafür, dass man sich beruhigt und entspannt.“

Laut Kantor dürfte Vogelgesang weitaus positiver auf den Organismus wirken, als bisher empirisch nachgewiesen wurde.

„Leider werden bisher Ambient-Klänge vor allem für kommerzielle Zwecke erforscht. Ich glaube aber, dass ein Anstieg praktischer Projekte mit Ambient-Klängen zu einer vermehrten Nachfrage nach wissenschaftlichen Studien zu dem Thema führen wird“, so der Pädagoge und Therapeut.

Von Frühjahr bis Herbst

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Slow Radio sendet allerdings nicht das ganze Jahr über, sondern nur zur Vegetationszeit, wie Jan Kužník erläutert:

„Wir versuchen, so lang wie möglich auf Sendung zu sein. Dieses Jahr haben wir gegen Ende März begonnen und wollen mit den ersten Frösten aufhören, die theoretisch die technischen Geräte beschädigen könnten. Im vergangenen Jahr haben wir, glaube ich, Ende Oktober oder Anfang November unsere Übertragungen beendet. Dann ist auch in der Natur einfach nicht mehr so viel zu hören. Meist schaffen wir es bis zum Abflug der Wildgänse, das ist so das letzte interessante Ereignis, das wir mitnehmen.“

Auf der Website von Slow Radio lässt sich übrigens auch die Übertragungsqualität wählen.

„Falls jemand per Handy empfängt und wenig Datenvolumen oder einen teuren Tarif hat, dann kann er auf eine niedrigere Qualität schalten“, so die Empfehlung von Jan Kužník.

Aber auch Praxen und Privatfirmen wenden sich an die Macher und fragen, ob sie in Wartesälen nicht die Übertragung von Slow Radio spielen können. Das ist unter einer Bedingung dann meist auch möglich:

„Unsere Einschränkung ist, dass von den Hörern dafür keine Gebühren verlangt werden, dass unser Radio also nicht kommerziell genutzt wird. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die meisten Hörer uns bei der Arbeit eingeschaltet haben. Das hilft sich zu konzentrieren, wenn nicht gerade eine Mücke herumfliegt und die Leute aus dem Konzept bringt.“

Bisher finanzieren die vier Gründer das Radio selbst beziehungsweise aus Spenden von Fans. Für die Zukunft würde man gerne noch etwas mehr Informationen zu den Vögeln anbieten. Das bedeutet, dass ein System zur Erkennung von Vogelstimmen angeschlossen wird. Die bisherigen Möglichkeiten seien aber noch nicht ausgereift, gesteht Jan Kužník.