Propagandafunk aus der DDR in die ČSSR: Sender Vltava 1968/69

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Vor 45 Jahren, genau am 12. Februar 1969, stellte die Radiostation namens Vltava mit dem Standort in der damaligen DDR ihre Tätigkeit ein. Der Sender war ein halbes Jahr zuvor von der SED eingerichtet worden. Seine Programme in Tschechisch und Slowakisch hatten das Ziel verfolgt, die tschechoslowakische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der Überfall der ČSSR im August 1968 durch die Sowjetunion und weitere Staaten des Warschauer Paktes in Wirklichkeit eine „brüderliche Hilfeleistung“ gewesen sei.

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In der Nacht zum 21. August 1968, als Panzer und Truppen der Streitkräfte von fünf so genannten Bruderländern über die Staatsgrenze der Tschechoslowakei ins Land rollten, begann parallel dazu auch ein regelrechter internationaler Informationskrieg im Äther. Das geschah sogar im Tschechoslowakischen Rundfunk selbst. Seine Mittelwellensender wurden schon kurz nach Mitternacht abgeschaltet - auf Anordnung von Karel Hoffman, dem Direktor der Zentralen Verwaltung für Kommunikation, der ein Gegner des Reformprozesses in der Tschechoslowakei war. Dank Technikern und Redakteuren konnte der staatliche Rundfunk aber wenige Stunden später schon wieder über die Mittelwelle ausstrahlen. Erst dann konnte die offizielle Stellungnahme der Parteiführung mit Alexander Dubček an der Spitze durchgegeben werden, sie wurde als „Aufruf zum tschechoslowakischen Volk“ bekannt. Ungefähr in derselben Zeit, gegen fünf Uhr morgens, meldete sich aus der DDR zum ersten Mal die Radiostation mit dem tschechischen Namen Vltava, also Moldau.

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Vltavas Programme in Tschechisch und Slowakisch wurden auf den Wellen 210 und 197 Meter über zwei Sender ausgestrahlt, deren Standorte bei Dresden und dem damaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) waren. Die Sendungen liefen täglich von fünf Uhr morgens bis Mitternacht. Der Sender meldete sich immer wieder mit einer Kennmelodie aus dem symphonischen Gedicht „Vltava“ von Bedřich Smetana und bezeichnete sich als „die sozialistische Stimme der Wahrheit“.

„Nur ein dem Sozialismus verbundener Rundfunk informiert richtig“– das war eine der Vltava-Parolen. Zu den „richtigen“ Informationen des Senders gehörte vom ersten Tag an auch die ins Tschechische übersetzte und mehrmals wiederholte Erklärung der sowjetischen Agentur TASS:

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„Wie bekannt gegeben, haben die Sowjetunion und weitere Bündnisstaaten dem Ersuchen von Partei- und Staatsvertretern der ČSSR um eine unverzügliche Hilfeleistung einschließlich der Waffenhilfe an das tschechoslowakische Brudervolk entsprochen. Im Sinne dieser Entscheidung drangen Kampfeinheiten der verbündeten sozialistischen Länder am 21. August in alle Regionen und Städte der Tschechoslowakei vor. Der Vormarsch der Streitkräfte der Bruderländer verlief ungehindert, die Einheiten der tschechoslowakischen Volksarmee sind an ihren Standorten geblieben und die Bevölkerung bewahrt Ruhe. Viele tschechoslowakische Bürger zeitigen den Verbündeten Dankbarkeit für ihr rechtzeitiges Kommen und die Hilfe gegen die konterrevolutionären Kräfte.“

Ludvík Svoboda  (Foto: Stanislav Tereba,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Als nur wenig später die obersten Vertreter der ČSSR nach Moskau verschleppt wurden, berichtete „Vltava“:

„Staatspräsident Svoboda und die Regierungsdelegation haben Verhandlungen in Moskau aufgenommen. Es geht darum, gemeinsam mit Freunden und Genossen die antiimperialistische und sozialistische Zukunft der ČSSR zu gewährleisten. Es geht um die Erhaltung und Festigung der Macht der Arbeiter und Bauern, es geht um die Sicherheit in Europa. Die Garantie dafür ist die enge Verbundenheit in der Gemeinschaft der sozialistischen Völker und Staaten, die niemand und nichts zerstören kann.“

Diese offizielle Darstellung der Lage in der Tschechoslowakei wurde bei Vltava durch die Ausdrucksweise in den Kommentaren weit übertroffen. Zum Teil handelte es sich um Beiträge aus der eigenen Redaktion in Ostberlin und zum Teil um Übersetzungen von Artikeln aus der sowjetischen, bulgarischen und polnischen Presse. Hierzu gehörte auch eine Menge von Appellen an das tschechoslowakische Volk:

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„Erlauben Sie nicht dem Handvoll Abenteurer, dem die Interessen des Volkes, des Friedens und Sozialismus sowie die Sicherheit des Landes gleichgültig sind, den guten Ruf des tschechoslowakischen Volkes zu schädigen und mit dessen Schicksal zu spielen. Decken Sie die politische Unterwanderung auf und vereiteln Sie jegliche Provokationen. Bleiben Sie wachsam im Namen der hellen Zukunft des Heimatlandes, im Namen der Nation!“

Man scheute sich auch keineswegs, für propagandistische Zwecke erlogene Nachrichten als „brandaktuell“ zu präsentieren:

„Werte Freunde, sehr geehrte Hörer, wir haben eine aufregende Nachricht bekommen. In der Nähe des Nationaltheaters in Prag ist ein Nazi-Nest aufgedeckt worden. Im Gebäude gegenüber der Fußgängerbrücke zur Slawischen Insel wurde nicht nur ein Lager mit ausländischen Waffen gefunden sowie ein Funk- und Verschlüsselungsgerät und ein Set von Spezialhandschuhen, die das Hinterlassen von Fingerabdrücken verhindern, sondern auch Dokumente nationalsozialistischer Herkunft. Neben faschistischen Broschüren und Plakaten wurde auch eine Abbildung von Adolf Hitler gefunden. Die Faschisten sind zu Taten übergegangen. Wir wiederholen: Die Faschisten von der NPD haben ihre Tätigkeit aufgenommen. Außer der Konterrevolution tritt auch die Gefahr des Faschismus zutage, die aus dem Westen kommt. Heute wurde ein Hitler-Bild gefunden, und morgen kann bereits unser ganzes Heimatland mit Hakenkreuzen tapeziert sein. Tschechen und Slowaken, lasst dies nicht zu!“

Radio Andernach  (Foto: John Scott Rafoss,  Free Domain)
Ein Dorn im Auge war dem „sozialistischen“ Radiosender Vltava auch der Tschechoslowakische Rundfunk, der nach der Okkupation des Landes noch ein paar Monate relativ frei blieb. Unter Berufung auf die Information einer ungenannten französischen Agentur meldete Vltava, dass sich „zahlreiche Radiosender, die sich als freie tschechoslowakische Stationen präsentieren, in Wirklichkeit auf dem Gebiet Westdeutschlands befinden“.

Zur Untermauerung dieser Behauptung wurden detaillierte Informationen über den Truppenbetreuungssender der Bundeswehr „Radio Andernach“ in Rheinland-Pfalz hinzugefügt. Das Vokabular des Kalten Krieges passte dabei gut ins Konzept:

„Das Radio-Bataillon in Andernach orientiert sich in seiner Tätigkeit an den Prinzipien, die von dem Nazi-Propagandaminister Goebbels so formuliert wurden: ‚Geheime Sender verfolgen in besonderem Maße die Aufgabe, furchterregende Nachrichten zu verbreiten, sich auch für die Herbeiführung der Inflation einzusetzen, die Bevölkerung zu Hamsterkäufen von Lebensmitteln zu animieren und in allgemeine Panik zu versetzen‘.“

Obendrein berief man sich auf Artikel in der bundesdeutschen Presse. Zum Beispiel auf die - wie es hieß - „großbourgeoise Zeitung“ „Die Welt“. Diese soll damals bekannt gegeben haben, bei den Mitarbeitern der erwähnten „geheimen“ Radiosender an der bundesdeutschen Grenze zur ČSSR handele es sich „zum Teil um erfahrene Männer aus der Zeit der Hitler-Okkupation und zum Teil um junge Menschen, die in den letzten Monaten als Geheimdiensttelegrafisten beziehungsweise Agenten durch die Konterrevolution ausgebildet worden seien“.

Mauerbau in Berlin 1961  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-88574-0004 / Stöhr / CC-BY-SA)
Ein weiterer Kommentar bei Vltava setzte den Mauerbau in Berlin 1961 und die Sowjetinvasion in der Tschechoslowakei 1968 gleich:

„Der Sicherheit und dem Frieden in Europa wurde damit jeweils guter Dienst geleistet. Damals wie heute wurde der Imperialismus rechtzeitig und entschieden zurückgeschlagen.“

Vltavas Programme waren nicht nur an ihrem Inhalt leicht zu erkennen, sondern anfangs auch am starken deutschen Akzent und den häufigen Sprachfehlern der Sprecher. Die Berliner Redaktion, die später um eine weitere in Dresden erweitert wurde, konnte offensichtlich nicht so schnell mit Muttersprachlern besetzt werden. Die sozusagen „geeigneten“ Tschechen und Slowaken wurden erst später gefunden. Nach und nach wuchs die Zahl der Redakteure auf insgesamt 100 an. Doch die Mehrheit der tschechoslowakischen Bevölkerung dürfte die Sendungen aus der DDR nicht gehört haben. Trotzdem kursierten landesweit Witze über den Sender. Darüber, wie seine Programme hierzulande ankamen, informierte regelmäßig die Prager Botschaft der DDR die vorgesetzten Organe in Berlin. In einem erhalten gebliebenen Bericht hieß es:

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„Bei der ideologisch-politischen Beeinflussung und Erziehung der tschechoslowakischen Bevölkerung leistet die Rundfunkstation Vltava eine bedeutende Arbeit. Wir schlagen wiederholt vor, die tschechische Aussprache der Sprecher und Kommentatoren zu verbessern, eventuell tschechische Kommunisten zu engagieren. Es ist notwendig, die Sendungen der Station Vltava fortzusetzen. Tschechische Revisionisten bezeichnen diese Sendungen, die klare Sprache von Vltava, als dogmatisch und konservativ.“

Nach der Besetzung der ČSSR 1968 bot Vltava aber nicht das einzige tschechischsprachige Propaganda-Radioprogramm aus dem Ausland. Auch der Moskauer Rundfunk dehnte seine Sendungen in Tschechisch auf den ganzen Tag aus. Eine Woche lang kam Ähnliches auch aus Polen. Der Sender „Vltava“ allerdings berieselte die Tschechen und Slowaken am längsten mit dem Kreml genehmen Informationen. Als er am 12. Februar 1969 verstummte, waren die Weichen für die neue politische Richtung in der Tschechoslowakei bereits gestellt. Es war die Politik der so genannten Normalisierung, eine Art neostalinistischer Kurs.