Rätselhafter Streit über Autoren der Neujahrsamnestie

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Staatspräsident Václav Klaus hatte es kurz vor Ende seiner Amtszeit noch mal geschafft, die tschechische Politszene in Aufruhr zu versetzen. Seine weitreichende Amnestie zum Jahreswechsel ist auch noch viereinhalb Monate später ein Streitpunkt. Im Mittelpunkt steht dabei die besonders umstrittene Passage, die lange dauernde Gerichtsverfahren betrifft. So hatte Klaus angeordnet, dass Angeklagte in Gerichtsverfahren, die sich länger als acht Jahre hinziehen, freikommen sollen. Amnestiert wurden dabei auch jene, die in große Korruptions- und Betrugsfälle verwickelt waren. Doch wer ist für diese und weitere umstrittene Passagen der Neujahrsamnestie verantwortlich? Der damalige Rechtsberater von Klaus behauptet, es seien Mitarbeiter des Justizministeriums. Justizminister und Premier wiesen dies empört zurück.

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Der umstrittenste Teil der Neujahrsamnestie betrifft die so genannte Abolition. Dort wird verfügt, dass jene laufenden Gerichtsverfahren eingestellt werden, die sich mehr als acht Jahre hinziehen und bei denen der Spitzenstrafsatz bei zehn Jahren Gefängnis liegt. Dazu gehören zum Beispiel auch Fälle von Wirtschaftskriminalität und Korruption, dort liegt die Höchststrafe genau bei zehn Jahren. In den zurückliegenden Monaten sind daher über 700 Tatverdächtige aus laufenden Verfahren amnestiert worden. Unter ihnen waren auch 19 Beschuldigte in besonders harten Fällen, bei denen dem Staat oder anderen Institutionen umgerechnet jeweils mehr als sechs Millionen Euro Schaden entstanden sind.

Hana Marvanová  (Foto: Noemi Holeková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
In den Wochen, nachdem die Neujahrsamnestie veröffentlicht wurde, hatten Politiker und Richter versucht, gegen die Abolition zu klagen. Doch selbst eine Anrufung des Verfassungsgerichts hatte keinen Erfolg. Die Anwältin Hana Marvanová hatte eine Klage von Senatoren mitverfasst. Sie sagt, es sei wichtig, endlich zu erfahren, wer für die Amnestie eigentlich verantwortlich war:

„Es gibt eine ganze Reihe von Beschuldigten und Angeklagten, die von der Amnestie profitieren, deren Strafverfolgung eingestellt wurde und die den Geschädigten keinen Schadensersatz zahlen müssen. Diese Personen oder ihre Anwälte könnten vielleicht auf irgendeine Weise am Zuschnitt der Amnestie beteiligt gewesen sein. Solche Spekulationen werden dadurch genährt, dass die Autoren der Amnestie weiter im Dunkeln bleiben.“

Vratislav Mynář  (Foto: Marián Vojtek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Doch Ende April gab Vratislav Mynář, der Kanzler des neuen Staatspräsidenten Miloš Zeman, der linksgerichteten Tageszeitung „Právo“ ein Interview. Dort bezeichnete er drei ehemalige Mitarbeiter von Ex-Präsident Klaus als Autoren der Amnestie. Alle drei haben die Behauptung mittlerweile zurückgewiesen. Einer von ihnen gab sich damit aber nicht zufrieden: der Jurist Pavel Hasenkopf. Er sagt, die Behauptung, er habe die Amnestie entworfen, sei für ihn als Juristen rufschädigend. Zehn Jahre lang war Hasenkopf Rechtsberater von Klaus, bis er 2013 die Prager Burg verlies. Immerhin gab Pavel Hasenkopf zu, dass er im Herbst vergangenen Jahres einen Entwurf für die Amnestie verfasst hat. Jedoch sei sein Entwurf nicht berücksichtigt worden, wie er vergangene Woche in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte:

Pavel Hasenkopf  (Foto: ČTK)
„Ich erhielt am 19. Oktober eine kurze Anweisung, dass Präsident Klaus gerne meinen Entwurf für eine Amnestie hätte. Ich habe einen Monat daran gearbeitet. Ob noch weitere Personen angesprochen wurden, weiß ich nicht. Ich habe dann am 28. November meinen Vorschlag vorgelegt. Da ich keine Vorgaben erhalten hatte, habe ich meinen Vorschlag so ausgearbeitet, als hätte ich freie Hand gehabt. Diesen Entwurf habe ich auch auf meinen Webseiten veröffentlicht. Er hat aber keinerlei Gemeinsamkeiten mit der Amnestie, die letztlich vom Präsidenten erlassen wurde.“

Stattdessen verweist der Jurist auf das Justizministerium. Dieses habe mit der weitreichenden Amnestie vor allem das Ziel verfolgt, die überfüllten Gefängnisse zu leeren. Tatsächlich wurden in der Folge über 6000 Menschen aus der Haft entlassen.

„Es gab viele Vorschläge für eine Amnestie, inklusive meinem eigenen. Aber die Grundlage für die endgültige Fassung war ein Vorschlag aus dem Justizministerium selbst oder aus dessen Umfeld“, so Pavel Hasenkopf.

Diese Behauptung ist brisant. Denn Premier Petr Nečas hat schon im Januar jegliche Beteiligung der Regierung an der Amnestie kategorisch zurückgewiesen. Nun aber ist die tschechische Öffentlichkeit scharf darauf geworden zu erfahren, was hinter der Behauptung steckt. Justizminister Pavel Blažek zeigte sich vergangene Woche äußerst aufgebracht:

Pavel Blažek  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Es ist unglaublich, dass ein Staatsangestellter mehrere Behauptungen aufstellen kann, die er nicht einmal andeutungsweise wissen kann, und dadurch eine große Affäre in den Medien entsteht. Herr Hasenkopf verstößt gegen alle Regeln für die Tätigkeit von Staatsangestellten. Die Medien fabulieren deswegen über die höchsten Staatsvertreter: die Präsidialkanzlei, Ministerien, den Premier und die Regierung. Außerdem macht der Mensch, obwohl ich ihn noch nicht gesehen habe, den Eindruck, als ob er unzurechnungsfähig sein. Und das meine ich ernst.“

Miloš Zeman  (Foto: Kristýna Maková)
Premier Nečas schlug in dieselbe Kerbe und bezeichnete Hasenkopf als reif für die Psychiatrie. Dieser sagte indes, schon die Schärfe der Reaktionen des Regierungschef und seines Ministers seien für ihn ein Schuldeingeständnis.

Am Sonntag bekam der Streit dann eine weitere Wendung bekommen. Denn Pavel Hasenkopf hat sich nun erstmals auf konkretes Beweismaterial berufen. Es soll sich um die Mailkorrespondenz eines Mitarbeiters des Justizministeriums handeln, die über Hasenkopfs Computer lief und die der Jurist abfotografieren ließ. Im Tschechischen Fernsehen sagte er:

„Diese Unterlagen habe ich alle direkt an Staatspräsident Zeman übergeben, und zwar bereits am Freitag. Es liegt damit beim Präsidenten zu beurteilen, ob es angebracht ist, den Namen dieses Menschen der Öffentlichkeit mitzuteilen oder den Namen für sich zu behalten, weil der Mann nur auf Auftrag gehandelt hat.“

Zdeněk Koudelka  (Foto: ČT24)
Eine Sprecherin des Präsidenten bestätigte den Eingang der Unterlagen am späten Freitagnachmittag. Zeman habe die Materialien übers Wochenende nach Hause zum Durchsehen mitgenommen, sagte sie.

Wer aber nun erwartet hätte, dass sich die Dinge aufklären würden, der sah sich am Montag bereits getäuscht. Denn Zeman ließ verlauten, dass es gerade Hasenkopf gewesen sei, der die umstrittensten Passagen der Amnestie entworfen habe. Darauf reagierte Hasenkopf, indem er selbst den Namen des angeblichen Autoren bekanntgab: Es sei Zdeněk Koudelka, ein Jurist, der mit Zeman befreundet ist und vom früheren Präsidenten Klaus erfolglos zum Verfassungsrichter vorgeschlagen wurde.

Ondřej Kundra  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Der Fall wird also immer verworrener. Es gibt aber einige Beobachter der politischen Szene, die das zweitrangig finden. So zum Beispiel Ondřej Kundra, Leiter der Politikredaktion bei der angesehenen Wochenzeitung „Respekt“:

„Es darf bei dem ganzen Gerede über die mögliche Autoren nicht in Vergessenheit geraten, dass Staatspräsident Klaus und Premier Nečas die Amnestie unterzeichnet haben. Das sind die beiden Menschen, die letztlich die Verantwortung haben, wer auch immer den Text der Amnestie verfasst hat.“