Rasantes Erfolgsmodell mit Ausdauer

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Neulich Abend stehe ich vor meinem Bücherregal und ziehe ein gelbes schmales Bändchen hervor. „Prag. Das Insider-Lexikon“. Es ist von Christoph Bartmann und aus dem Jahre 1994. Als ich mich ein Jahr später – vor fast 15 Jahren also - zum ersten Mal für längere Zeit in Tschechien aufhielt, da hat mir das Buch – so schmal es auch war – tiefe Einblicke in das Land gegeben. 66 Schlagwörter mit erfrischend kurzen Essay.

Foto: ČTK
Ich stehe also neulich mit dem zerlesenen Buch in der Hand da und lasse die Seiten wie ein Daumenkino durch meine Finger gleiten. Es bleibt hängen bei „K“, wie „Klaus“. Ich überfliege…Herbst ´89…Bürgerforum tagt…Laterna Magika…Klaus stellt Dokument vor…Titel „Was wir wollen“…

„Das Papier fordert einen demokratischen Rechtsstaat samt Marktwirtschaft, Umweltschutz sowie ein unabhängiges akademisches und kulturelles Leben. `Was wir wollen´ definiert, was Klaus will: Im Bürgerforum regt sich neben Zustimmung auch Widerstand. So praktisch, so leidenschaftslos hat sich mancher die Revolution nun doch nicht vorgestellt. Doch Klaus setzt sich durch. Denn Klaus setzt sich immer durch. Deshalb ist er heute die unumstrittene Nummer eins der Prager Politik. Selten geliebt, doch viel bewundert, verkörpert Klaus den Phänotyp der Stunde.“

Die Nummer eins der Prager Politik. Ich schaue noch mal auf das Jahr der Veröffentlichung – 1994. Interessant, denke ich, und lese:

„Wahrscheinlich hat der kluge Klaus früh begriffen, dass die Rolle des guten Menschen bereits an Václav Havel vergeben war. Klaus hingegen, unnahbar, kühl und effizient, stellt weniger einen Menschen zum Anfassen als ein Modell zum Nachahmen dar.“

Erfolgsmodell, hm, ich lese weiter:

„Volkstümlich zu sein, war nie Klaus´ Ziel. Vielmehr drängte es ihn danach, erst einmal ´der beste Finanzminister der Welt´ - so pries ihn die geistesverwandte Margret Thatcher werbewirksam vor den letzten Wahlen – und schließlich Premier zu werden – und zu bleiben.“

Na, wenn man Bartmann glauben kann, dann ist Klaus ja über sein Ziel hinausgeschossen, denke ich, und springe an eine andere Stelle:

„In vieler Hinsicht ist Klaus ein Antipode Havels: Havel verfängt sich in moralischen Abstraktionen, Klaus packt die Bürger bei ihren Wünschen.“

Und zwar rasant!

„Klaus ist so rasant, wie jedermann und jedefrau in diesem Land gern wären. Und deshalb kann niemand Klaus so bald gefährlich werden, es sei denn Klaus selbst, falls der eines Tages Opfer seiner eigenen Rasanz werden sollte.“

Ich klappe das Buch zu. Schön, mal wieder in so altem Kram herumzulesen, denke ich. Vielleicht schlage ich demnächst noch mal unter „H“, wie „Havel“ nach.