Präsident Klaus und Ex-Präsident Havel wenden sich an Bürger: Ratschläge für 2011
Auch wenn am Neujahrstag das politische Leben in Tschechien weitgehend ruht, sind die Blicke der breiten Öffentlichkeit auf den Staatspräsidenten gerichtet. Dessen traditionelle Neujahrsansprache gilt oft als wichtiger Leitfaden, der nicht nur die politischen Debatten in den ersten Tagen des Jahres bestimmt, sondern oft auch als programmatischer Ansatz des Staatsoberhaupts verstanden wird. Aber nicht nur Präsident Václav Klaus richtete sich zu Jahresbeginn an seine Landsleute. Auch sein Vorgänger Václav Havel hatte am ersten Sonntag im Januar einen Fernsehauftritt.
Im Vergleich zu den vergangenen Jahren war Präsident Klaus in seinen Aussagen diesmal sehr konkret und brachte in seiner Neujahrsbotschaft starke Bezüge zur aktuellen innenpolitischen Lage in Tschechien. Zehn Tage zuvor hatte er eine maßgebliche Rolle bei der Schlichtung der ersten großen Krise der gegenwärtigen Drei-Parteien-Regierung von Premier Petr Nečas gespielt. So verwundert es wenig, dass Klaus darauf zu sprechen kam und dem Kabinett offen seine Unterstützung aussprach:
„Am ersten Tag des neuen Jahres möchte ich die gegenwärtige Regierung unterstützen, die – hoffentlich – aus ihrer Krise vor Weihnachten die richtigen Schlüsse gezogen hat. Wir brauchen eine stabile und funktionsfähige Regierung, eine Regierung, die vom Anspruch zusammengehalten wird, dem Land zu dienen und die nicht von – wenn auch legitimen - Parteiinteressen bedrängt wird. Wenn die Regierung ihre Reformen mutig, schnell und rationell vollzieht und es schafft, die Reformen den Bürgern verständlich zu erklären, dann bin ich überzeugt, dass die tschechische Öffentlichkeit, die in ihrer Mehrheit eine Gemeinschaft von vernünftigen Menschen ist, sie verstehen und unterstützen wird.“ An die Vernunft der tschechischen Bürger appellierte er auch, indem er um ihre Unterstützung für die geplanten Reformen der Regierung Nečas warb:„Wir haben ohne Rücklagen gelebt und uns verschuldet. In den Jahren 2004 bis 2007 haben wir es versäumt, die günstige wirtschaftliche Lage zu nutzen, um notwendige Änderungen vorzunehmen. Das Jahr 2009 und einen Großteil des Jahres 2010 haben wir in der Erwartung einer Regierung vergeudet, die die Änderungen angeht. Wir sollten uns gerade an diesem Tag nicht vor der Zukunft fürchten, aber wir sollten wissen, dass die Reformen notwendig sind, und nur mit ihrer Hilfe sichergestellt werden kann, dass weder wir, noch unsere Kinder oder Enkel in die Schwierigkeiten geraten, mit denen heute einige Länder unseres Kontinents zu kämpfen haben.“
Im Jahr 2000 betrug laut Klaus die Gesamtverschuldung Tschechiens zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im Jahr 2011 wird diese bei vierzig Prozent liegen. Nach der bevorstehenden Gesundungskur, wie er die Sanierung der Staatsfinanzen bezeichnete, dürfe sich - so der Präsident - eine leichtfertige Verschwendung von öffentlichen Geldern nicht mehr wiederholen.Von Václav Klaus ist bekannt, dass er ein Anhänger des traditionellen tschechischen Parteiengefüges ist und neuen Gruppierungen und ihren Vertretern eher skeptisch gegenübersteht. Dennoch warb er dafür, den neuen Politikern, die in die Parlamente auf nationaler wie kommunaler Ebene gelangt sind, eine Chance zu geben:
„Im Parlament sind nun neue und früher unbekannte politische Parteien vertreten. Und sowohl auf der nationalen Ebene, wie auch in den Städten und Gemeinden finden sich in den Volksvertretungen neue Persönlichkeiten. Geben wir ihnen die Chance zu zeigen, was sie können.“
Einen Tag nach dem amtierenden Staatsoberhaupt war auch sein Vorgänger Václav Havel auf den tschechischen Bildschirmen präsent. Er war Gast in der sonntäglichen Diskussionsrunde im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen. So wie bei Klaus ging es auch bei Havel um eine Mischung aus einem bilanzierenden Rückblick auf das vergangene Jahr und einem Ausblick auf 2011.
Auch Havel unterstützte die Reformbemühungen der jetzigen Regierung von Premier Petr Nečas, obwohl er Zweifel äußerte, dass das ambitionierte Reformprogramm zu schaffen und vor allem durchzusetzen ist:
„Ich bin nämlich ein Zeitzeuge. In den vierzehn Jahren, in denen ich im Amt war, habe ich viele Minister kennengelernt, die für das Gesundheitswesen oder Arbeit und Soziales verantwortlich waren. Und beim ersten Gespräch mit mir haben alle von den Reformen gesprochen, die sie planen. Schon damals stand eine Reform des Rentensystems an. Wenn ich die Minister der jetzigen Regierung höre, wie sie über ihre Vorhaben sprechen, dann kommt mir das alles wieder in den Sinn - und wir sehen dabei, dass über einige Reformen schon seit gut zwei Jahrzehnten gesprochen wird. Ich würde mir sehr wünschen, wenn die jetzige Regierung tatsächlich einige der besagten Reform zustande bringen würde, aber meine Begeisterung wird dadurch gebremst, dass alle bisherigen Regierungen und alle Minister vieles ändern wollten.“
Obwohl Václav Havel seit fast acht Jahren kein öffentliches Amt mehr bekleidet und mehr oder weniger Privatperson ist, hat auch er im vergangen Jahr mehrfach offen zum politischen Klima im Land Stellung bezogen. Seine in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik richtete sich in erster Linie gegen die Vetternwirtschaft und den Stillstand im politischen Leben des Landes, der zu einer Entfremdung zwischen Bürgern und ihren gewählten Vertretern geführt hat, wie er im Tschechischen Fernsehen erklärte:
„Ich glaube wirklich, und zwar anhand verschiedener Beobachtungen, dass die Gesellschaft unruhig ist und dass es zu einer gewissen Entfremdung zwischen der Politik und der Bürgergesellschaft gekommen ist. Die Luft, die wir atmen, ist nicht mehr ganz frisch. Die drei Wahlen auf verschiedenen Ebenen im vergangenen Jahr haben das auch bewiesen. In meinen Augen brachten die Wahlen etwas sehr Positives zu tage, indem sie gezeigt haben, dass unser politisches System wirklich offen ist. So konnten neue Parteien entstehen und auf Anhieb in die Regierung gelangen, alte sind wiederum in Vergessenheit geraten. Das ganze System ist in Bewegung geraten, und das ist gut so. Schlimmer ist, dass diese Offenheit oft dazu geführt hat, dass Personen an die Macht gelangen, die dazu nicht berufen sind - aber das ist das Risiko jeder Demokratie. Die Wahlen haben tatsächlich den Unmut vieler Bürger gegenüber den alten Parteien und Politikern gezeigt. Nichtsdestotrotz: Die grundsätzliche Veränderung, die ich mir wünschen würde, ist das scheinbar noch nicht.“
Es gehe jedoch nicht um Veränderungen als Selbstzweck, so der frühere tschechische Präsident. Vielmehr müsse es gelingen, die Grundprinzipien der Demokratie in Tschechien zu erneuern, wie er abschließend erklärte:„Die Demokratie muss eine formal-institutionelle Grundlage haben, in deren Rahmen sie sich erst verwirklichen kann. Das alleine reicht aber nicht. Wichtiger scheint mir ihr Geist zu sein, die politische Kultur, inwieweit die Bürger mit der Demokratie und ihren Grundinstrumenten wirklich umzugehen lernen. Eng damit verbunden ist auch der Respekt vor der rechtsstaatlichen Ordnung. Bei uns wurde sehr schnell nach der Samtenen Revolution das Prinzip der Privatisierung akzentuiert, das heißt des schnellstmöglichen Übergangs eines riesigen Staatsvermögens in private Hand. Das war zwar notwendig und unausweichlich, geschah aber auf Kosten der Rechtsordnung – ganz so, als ob die Ökonomen und Unternehmer ungeduldig waren und sie von den verantwortlichen Politikern zu wenig gebremst worden sind. Ich fürchte, dass wir jetzt die sauren Früchte dieser Hast ernten. Dazu gehören die weit verbreitete Korruption und die verschiedenen mafiaartigen Praktiken.“