Kritik und Pessimismus: Neujahrsansprache von Präsident Klaus ungewohnt düster
Bei seiner Rede zu Jahresbeginn hat der tschechische Staatspräsident Václav Klaus diesmal ungewohnt pessimistische Töne angeschlagen. Im bevorstehenden Wahljahr warnte der Präsident seine Mitbürger unter anderem vor allzu leichtfertigen Wahlversprechen der kandidierenden Parteien.
Gleich zu Beginn seiner Rede blickte Václav Klaus noch einmal auf jenes Ereignis zurück, das die letzten Tage des Jahres 2011 dominiert hatte:
„Den Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate kann ich nicht anders beginnen, als mit einer Erinnerung an das traurige Ereignis der vorweihnachtlichen Zeit, den Tod von Václav Havel. Havel hatte mit seinem ganzen Leben, wie auch in den dreizehn Jahren als Präsident, bedeutende Verdienste um unsere Freiheit und Demokratie. Ein menschliches Leben ist auf diese Weise vollendet worden, seine Bedeutung wird uns sicher noch beschäftigen.“
Eine eher düstere Grundstimmung zog sich aber auch durch die danach folgenden Passagen von Klaus´ Rede. Wie so oft bei vergleichbaren Anlässen äußerte sich der Staatspräsident auch diesmal kritisch zur Europäischen Union. Die Entwicklung der vergangenen Wochen und Monate bezeichnete er im Großen und Ganzen als Fehlentwicklung.
Václav Klaus ging aber auch auf die Tendenzen in der tschechischen Innenpolitik ein. Getreu seiner grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber Nichtregierungsorganisationen und Interessensgruppen bemängelte er, dass diese im vergangenen Jahr versucht hätten, für die eigene Klientel Vorteile zu ergattern, ohne dabei Rücksicht auf das Gemeinwohl zu nehmen:
„Fast ununterbrochen fanden scharfe politische und mediale Auseinandersetzungen statt, die nicht zu einer ruhigen Atmosphäre im Land beitrugen. Neben den politischen Parteien hatten daran auch verschiedene Interessensgruppen Anteil. Sie übten Druck aus und haben dabei immer noch nicht begriffen, dass man auf Kosten anderer nichts erreichen kann und durch Zugeständnisse zu ihren Gunsten nur verhindert wird, dass eine sozial gerechtere Umverteilung des Wohlstands in der Gesellschaft möglich wird.“Aus diesen Sätzen leitete das Staatsoberhaupt zu einer abschließenden Warnung über:
„In diesem Jahr stehen uns Wahlen zu den Kreisparlamenten und in den Senat bevor. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie zu einem weiteren leichtsinnigen Wettstreit darüber werden, wer den Wählern mehr verspricht. Die Wahlkämpfe werden jedenfalls eine wichtige Information sein und zeigen, wer mit welchem Programm und politischen Stil den Wählern gegenübertritt.“
Die von Klaus angesprochenen Kampagnen vor den Senats- und Kreiswahlen müssen nicht die einzigen sein, die auf die Tschechen im Jahr 2012 zukommen. Denn sollte in den nächsten Wochen endgültig die Direktwahl des Staatsoberhauptes beschlossen werden, würde im Herbst sicher auch schon der Kampf um Klaus´ eigene Nachfolge im Präsidentenamt toben.
Václav Klaus hat also gesprochen und seine Rede hat umgehend zahlreiche Reaktionen provoziert. Die Grenzen verliefen dabei ohne größere Überraschungen. Während im Regierungslager – trotz der pessimistischen Tonlage der Neujahrsansprache - weitgehend Zufriedenheit herrschte, bemängelte die sozialdemokratische und kommunistische Opposition, dass Klaus nicht auf die zu erwartende Verschlechterung der Lebensverhältnisse vieler Tschechen im Zuge der Sozialreformen oder der Anhebung der Mehrwertsteuer einging.Petr Nováček analysiert seit vielen Jahren die tschechische Politik für das Inlandsprogramm des Tschechischen Rundfunks. Er zeigte sich ebenfalls von der eher düsteren Tonlage der Neujahrsansprache überrascht, wie er im Tschechischen Rundfunk erklärte:
„Präsident Klaus war sehr ernst und für seine Verhältnisse fast schon pessimistisch. Meistens vertritt er ja in seinen Reden die Ansicht, dass man sich nicht vor der Zukunft fürchten oder von den äußeren Bedingungen nicht einschüchtern lassen sollte. Bisher hat er stets dazu aufgerufen, selbstbewusst in die Zukunft zu schauen. Davon fand sich in seiner Neujahrsansprache wenig wieder. Er hat zudem anhand einiger Fälle gezeigt, dass die Lage wirklich nicht einfach ist.“Wenig überrascht zeigte sich Nováček über das harsche Urteil des Staatsoberhaupts über die Tätigkeit von Gewerkschaften und weiteren Interessensverbänden. Diese hatten im vergangenen immer wieder gegen die Regierungspolitik protestiert und das Kabinett in einigen Fällen sogar zum Einlenken bewegt. Der Präsident müsste allerdings, so Nováček weiter, konsequenterweise auch die Überlegung anstellen, warum es erst so weit kommen musste, dass zum Beispiel Ärzte erst in dem Moment eine Gehaltserhöhung durchsetzen konnten, als sie massenweise mit ihren Kündigungen gedroht hatten.„Ich würde mir zudem die Frage stellen, warum diese Gruppen überhaupt existieren? Nicht vielleicht auch deshalb, weil zum Beispiel die politischen Parteien ihre Arbeit nicht machen und nicht um einen Interessensausgleich bemüht sind? Wenn zum Beispiel die Parteien die Sorgen der Menschen dieses Landes besser wahrnehmen würden, wenn sie – wie von Klaus gefordert - ein breites Reservoir an neuen Persönlichkeiten stellen würden, dann wäre die Lage weitaus besser. Da muss man aber hinzufügen, dass in Klaus´ Zeiten als Parteivorsitzender es unvorstellbar war, dass sich neben ihm jemand als Alternative etabliert hätte.“ Und noch ein Punkt ist Petr Nováček bei der diesjährigen Neujahrsansprache von Präsident Václav Klaus aufgefallen: Gegen Ende seiner Rede hob das Staatsoberhaupt ganz besonders die Rolle der traditionellen Gemeinschaften in der Gesellschaft, wie etwa der Familien hervor. Das alles geschah nicht zufällig, wie Nováček zu glauben meint:
„Ich denke, dass diese Sätze sehr sorgfältig ausgewählt wurden und dass sie auch vom Prager Erzbischof Duka hätten stammen können. Da kann ich nur an die Rede von Klaus zur diesjährigen Wallfahrt zu Ehren des hl. Wenzel in Stará Boleslav erinnern, wo sich erstmals angedeutet hat, dass Klaus auf die katholische Kirche zugeht. Seither lassen sich in den Reden von Klaus oft Wendungen und Argumente finden, die der Ökonom Klaus zuvor nie gebraucht hat. Ich sehe darin einen Versuch des Präsidenten, auch die Gläubigen zu erreichen, die ihm zuvor distanziert gegenüber gestanden sind, und ihnen zu erkennen geben, dass auch sie zur Gemeinschaft gehören, die angesichts der Herausforderungen nicht ihre Hoffnung verlieren sollte.“