Razzia – Roma - Rechtsstreit

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Themen, die in dieser Woche die Kommentarspalten der tschechischen Tageszeitungen gefüllt haben: die Razzia beim tschechischen Energieriesen ČEZ, außerdem die Entschuldigung der tschechischen Regierung an Roma-Frauen und zu guter Letzt noch ein Thema aus dem Boulevard. Christian Rühmkorf sprach darüber mit Patrick Gschwend, der die Zeitungen unter die Lupe genommen hat.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Moderator: Patrick, du hast es angesprochen. Am Dienstag führten Brüsseler Beamte in den Firmengebäuden des tschechischen Energieriesen ČEZ - aber auch in Büros der Finanzgruppe J&T - Razzien durch. Kurz zum Hintergrund: ČEZ wird verdächtigt gemeinsam mit J&T illegale Absprachen getroffen zu haben. Das Ziel: die Rolle von ČEZ auf dem tschechischen Energiemarkt zu stärken. Von ČEZ wurden die Vorwürfe natürlich umgehend zurückgewiesen und die Ermittlungen der EU-Kommission bagatellisiert. Trotzdem hat die Angelegenheit Aufsehen erregt. ČEZ ist schließlich eines der größten und einflussreichsten tschechischen Unternehmen.

P.G.: Man sollte dazu sagen, dass bisher keine Untersuchungsergebnisse bekannt sind. Ob also der Verdacht gegen ČEZ begründet ist, steht noch nicht fest.

M.: Was haben die Kommentatoren zu dem Fall geschrieben?

P.G.: Da wäre zum Beispiel Jiří Štický von der Mladá Fronta Dnes. Für ihn ist der Fall ČEZ zunächst einmal nur einer von vielen, die kein gutes Licht auf die Machenschaften in der tschechischen Wirtschaft werfen:

„Es fängt schon an, auffällig zu werden: Das FBI soll untersuchen, ob bei der Privatisierung der Tschechischen Sparkasse Schmiergelder gezahlt wurden. Der britische Antikorruptionsdienst strebt eine Klage an wegen Bakschisch beim Kauf schwedischer Kampfflugzeuge für die tschechische Armee. Die Schweizer Polizei friert Millionen auf dem Konto eines tschechischen Unternehmers ein, der jahrelang Geschäfte mit dem Prager Magistrat machte. Und sie fror auch die Konten der früheren Besitzer der Kohlegesellschaft Most ein. Und dann stürmen 20 Beamte aus Brüssel in die ČEZ-Zentrale.“

 (Foto: ČTK)
M.: Apropos Kohlegesellschaft Most. Die Firma mit dem Namen CzechCoal spielt ja auch eine Rolle in der aktuellen ČEZ-Affäre. Es soll eine Klage von CzechCoal gewesen sein, die die EU-Kommission auf die Spur von ČEZ und J&T gebracht hat…

P.G.: Das greift auch Štický auf. CzechCoal und ČEZ sind nämlich Konkurrenten. Mit der Kohle aus Most werden unter anderem ČEZ-Kraftwerke in Nordböhmen betrieben. Es gibt da schon lange Feilschereien um den Kohlepreis. Die Sache habe aber auch eine politische Komponente, bemerkt Štický. Ich zitiere ihn:

„Der Handelsstreit um Kohle und den Energiemarkt ist schon lange auch in die höchsten Stockwerke der Politik geraten. Den Brüsseler Beamten könnten neben Preiskalkulationen auch Fotos von Teilnehmern der Toskanareise in die Hände fallen und vielleicht auch endlich beantworten, warum der Riese ČEZ gerade den Energiemarkt-Zwergen von J&T hilft und warum tschechische Affären von der Polizei im Ausland untersucht werden.“

M.: Die angesprochene Toskanareise hat im Sommer hohe Wellen geschlagen. Dort haben sich tschechische Politiker einen Luxusurlaub auf einer Yacht gegönnt. Und nicht ganz zufällig waren dabei auch hohe ČEZ -Funktionäre anwesend. Aber kommen wir zurück zu den Razzien vom Dienstag. Gab es weitere Kommentare dazu?

Gebäude von ČEZ  (Foto: ČTK)
P.G.: Ja, natürlich. Zum Beispiel einen von Lenka Zlámalová von der Lidové Noviny. Für sie illustriert die Razzia den Kampf großer Konzerne um Einfluss in der politischen Sphäre. ČEZ sei derzeit in Tschechien einflussreicher. Man müsse sich also nicht wundern, findet Zlámalová, dass CzechCoal jetzt versucht die Brüsseler Front zur Attacke zu nutzen. Dass es soweit kommen konnte, sei auch ein Fehler der Politiker, und zwar nicht nur der tschechischen:

„Schon mehrere Jahre versucht Neelie Kroes, die EU-Kommissarin für Wettbewerb, gegen die wachsende Macht der großen Energiekonzerne vorzugehen. Und sie tut das gegen den Willen der meisten europäischen Politiker. Die reden zwar gerne und viel über die europaweite Liberalisierung des Energiemarktes. Wenn es aber um konkrete Taten geht, geben sie der Protektion ihrer eigenen nationalen Energieriesen den Vorzug.“

M.: Kroes führt ihren Kampf aber beharrlich weiter…

P.G.: Darauf weist auch Zlámalová hin, wenn sie schreibt:

„Es ist eine unerträglich große Macht in den Händen einer nicht gewählten Brüsseler Beamtin. Aber niemand sonst zähmt die zerstrittenen Energiekolosse. Die zähmen bisher eher die tschechischen Politiker.“

Ähnlich argumentiert Julie Hrstková von der Hospodářské Noviny. Dass Brüsseler Beamte die Firmen überprüfen, solle man nicht dämonisieren, meint sie. Für Hrstková ist eine Sache grundlegend:

„Findet die Kommission, was sie sucht – nämliche geheime Preisabsprachen, die im Endeffekt den Energiepreis in Tschechien verteuern? Und wenn sie die findet, wie geht sie weiter vor? Werden ČEZ und J&T mit Strafen belegt, und wenn ja, wie hoch werden diese Strafen sein? Damit hängt auch zusammen, wie die Verteuerung der Energiepreise in Tschechien ‚repariert’ wird.“

M.: Patrick, ein weiteres Thema in dieser Woche war die Entschuldigung der tschechischen Regierung an Roma-Frauen. Die Frauen wurden in den Jahren 1959 bis 1991 ohne ihr Wissen kurz nach der Geburt eines Kindes sterilisiert.

P.G.: Ja, ein sensibles Thema, das lange tabuisiert wurde. Gerade Roma-Familien sind für ihren Kinderreichtum bekannt und haben häufig mit sozialen Problemen zu kämpfen. Petr Uhl in der Zeitung Právo weist aber darauf hin, dass nicht nur Roma-Frauen unter den rechtswidrigen Sterilisierungen litten. Auch andere Frauen aus sozial schwachen Familien mussten die Eingriffe über sich ergehen lassen. Und noch etwas betont Uhl: Die Sterilisierungen würden zwar vor allem dem früheren kommunistischen Regime vorgeworfen. Untersuchungen im Jahr 2005 hätten aber gezeigt, dass sie auch noch später vorgenommen wurden. Uhl vertritt dazu diese Meinung:

„Man hat den betroffenen Frauen die Ehre einer Entschuldigung zugestanden. Das ist wichtig. Es ist der erste Schritt. Es sollten aber Entschädigungen folgen. Die Regierung muss hier für den Staat haften.“

M.: Eine eindeutige Aussage. Entschädigungszahlungen sind ja bislang abgelehnt worden. Patrick, hast du zum Abschluss vielleicht noch ein etwas leichteres Thema? Du hast gesagt, du hättest etwas aus dem Boulevard mitgebracht…

Marta Kubišová  (Foto: ČTK)
P.G.: Ja, habe ich. Es geht dabei um den Gerichtsstreit zwischen den Sängerinnen Marta Kubišová und Helena Vondráčková. Die beiden haben in den 60er Jahren gemeinsam in der Schlager-Band „Golden Kids“ gesungen. Die Band zerfiel, nach dem Kubišová wegen ihres Protestes gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 Auftrittsverbot bekam.

M.: Kubišová hatte erst 1989 ein gefeiertes Comeback. Ihre Kollegin Vondráčková hat hingegen auch in kommunistischer Zeit Karriere gemacht. Worum ging es bei dem Gerichtsstreit zwischen den Frauen?

P.G.: Vondráčková wollte eine Comeback-Tournee der Golden Kids veranstalten. Und angeblich hätte Kubišová eingewilligt, allerdings nur mündlich. Kubišová nahm dann aber Abstand von der Idee. Daraufhin wollte Vondráčková von Kubišová Geld einklagen, das für die Tour-Vorbereitung schon gezahlt wurde. Ein Prager Gericht hat die Klage nun zurückgewiesen. „Gott sei dank!“ schrieb dazu Mirka Spáčilová in der Mladá Fronta Dnes. Sie sprach von einem moralischen Sieg für Kubišová:

„Selbst wenn Vondráčková tausend Mal im Recht gewesen wäre, die menschliche Anständigkeit hätte ihr befehlen müssen, nicht gegen ein Frau vorzugehen, der die Kommunisten ein ganzes Stück ihres Lebens gestohlen haben.’ Dass sie es dennoch getan hat, ist, als würde der frühere Dissident Michael Kocáb gegen Václav Havel vor Gericht ziehen, weil der ihm seit der Revolution noch zehn Kronen für ein Bier schuldet.“