Reality Check

Foto: Europäische Kommission
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Gewusst haben wir es ja eigentlich immer: Milliarden, die jede Sekunde rund um den Erdball verschoben werden, abenteuerliche Aktiengeschäfte, abgewickelt mit geliehenem Geld, Währungsspekulationen im großen Stil – all das sind weitgehend virtuelle Deals. Riesige Phantasieblasen, die nur so lange nicht platzen, so lange genügend Menschen an sie glauben. Doch erst seitdem aus der amerikanischen Immobilien- eine internationale Finanzkrise geworden ist, wird das auch laut ausgesprochen.

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Das Wort Realwirtschaft hat plötzlich Hochkonjunktur. „Die Finanzkrise wirkt sich mittlerweile auch auf die Realwirtschaft aus“, heißt es etwa. Dieser neue Realitätssinn, das allgemeine Eingeständnis, dass es auch weniger reale Sphären gibt, täte der Politik ebenfalls ganz gut.

Nehmen wir zum Beispiel die Debatte über die Stationierung eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen. Seine Befürworter sprechen von einer Bedrohung aus so genannten Schurkenstaaten wie etwa dem Iran und behaupten, diese Bedrohung mit dem geplanten System tatsächlich abwenden zu können. Seine Gegner wiederum fürchten sich vor gefährlicher Strahlung, und aus Moskau hört man gar, dass zehn Abwehrraketen in Polen und eine Radaranlage in Mittelböhmen gleich das ganze strategische Arsenal Russlands ins Wanken bringen würden.

Wie real oder wie virtuell sind diese Ängste und Hoffnungen? Realpolitisch wären in der Raketenfrage jedenfalls noch ganz andere Dinge wichtig. Zum Beispiel wirtschaftliche Interessen in West und Ost, innenpolitische Machtspiele bei allen Beteiligten, Herausforderungen für die Spionageabwehr, Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Systems und nicht zuletzt die Frage, wie groß der Keil ist, der da in die EU und in die NATO getrieben wird – oder getrieben werden soll.

Ökonomische Seifenblasen stehen derzeit nicht hoch im Kurs. Vielleicht ein Anlass, auch manche politische Sprechblase neu zu bewerten.