Rechtsextremismus in der Tschechischen Republik
Nachdem es im April bei einigen der schon traditionellen Neonazi-Rockkonzerten zu Randalen und heftigen Auseinandersetzungen gekommen war, hatte der tschechische Innenminister Stanislav Gross ein Ende der weichen Welle angekündigt. Staatspräsident Vaclav Havel höchstpersönlich forderte ein härteres Vorgehen der Polizei. Doch was hat sich seit dem getan, wie sieht die Strategie des Innenministeriums aus und woher kommt eigentlich der Faschismus in Tschechien? Dazu mehr im folgenden Schauplatz mit Silja Schultheis und Olaf Barth.
Immer wieder mal tauchen die Schreckensmeldungen auf: Hier ein Neonazi-Konzert, dort ein niedergeschlagener oder, wie vor einigen Tagen in Liberec/ Reichenberg geschehen, ein niedergeschossener Roma. Und darüber, wie viele solcher Fälle nicht bekannt werden, kann man nur Vermutungen anstellen. Tschechien ist zudem ob der legeren Haltung der Öffentlichkeit und eben auch seiner Ordnungshüter zu so etwas wie dem Lieblingsreiseziel europäischer Faschisten geworden. Rechtsradikale Konzerte, Neonazi-Treffen oder -Aufmärsche, kurz und schlecht: Der Fascho-Tourismus blüht in Tschechien. Doch nicht nur das, wie ein Bericht des Innenministeriums unlängst zeigte, steigt neben der Anzahl der Personen, die der rechten Szene Tschechiens zuzuordnen sind, auch die Zahl ihrer Gewalttaten.
Dazu sagte Marie Masarikova, eine Sprecherin des Innenministeriums: "Selbstverständlich ist die Kriminalität mit extremistischem Hintergrund ein schwerwiegende Erscheinung, der nicht nur das Innenministerium besondere Aufmerksamkeit widmet. Nach Angaben der Polizei stieg die Zahl der Sympathisanten extremistischer Bewegungen im Jahr 2000 gegenüber 1999 um 36,5 % an. Im gleichen Zeitraum kam es zu einem Anstieg der Straftaten mit extremistischem Hintergrund um etwa 15,2 %, das heißt um 45 Fälle. Es handelte sich in erster Linie um Straftaten der Unterstützung und des Propagierens von Bewegungen, die die Unterdrückung der Bürgerrechte zum Ziel haben - insgesamt waren dies 148 Delikte. Im Jahr 2000 gab es keine extremistischen Straftaten mit tödlichem Ausgang. Bei den meisten Gewaltdelikten ist es aber überhaupt nicht möglich, einen Zusammenhang zwischen der Straftat und den extremistischen Bewegungen herzustellen. Eher kann man behaupten, dass es sich um zwei nebeneinander stehende Erscheinungen handelt. Die sog. "Kriminalität mit extremistischen Hintergrund" ist also sehr oft die Konsequenz einer angespannten Situation und in einer ganzen Reihe von Fällen ist objektiv strittig, ob die Attacken tatsächlich durch einen Hass gegenüber einer bestimmten Gruppe motiviert sind oder ob es sich nicht um einen Ausdruck von schlechten zwischenmenschlichen Beziehungen in konkreten Zusammenhängen handelt."
So ähnlich - nämlich als Ausdruck schlechter zwischenmenschlicher Beziehungen - würde das Innenministerium wohl auch das folgende Erlebnis einer jungen Roma einstufen, die mittlerweile nach England emigriert ist und anonym bleiben möchte: "Ich bin deshalb ausgewandert, weil ich überfallen und vergewaltigt wurde und zwar von Skinheads. Am meisten fürchte ich mich in Tschechien vor den Skinheads. Die Roma hier haben einfach Angst um ihre Kinder, dass sie überfallen oder vergewaltigt werden. Deshalb gehen sie nach England oder Kanada, weil sie einfach Angst haben, Angst um ihre Kinder."
Laut Angaben des Innenministeriums hat sich der Kreis der Personen, die zur rechten Szene zu rechnen sind, innerhalb von einem Jahr um 25 % auf 6200 vergrößert. Ondrej Cakl von der Vereinigung "Toleranz und Bürgergesellschaft" meint, dass seitens der Staatsmacht lange zu nachlässig auf alarmierende Vorgänge reagiert worden wäre. Die Veranstalter von jenen faschistischen Konzerten, bei denen es zu schweren Auseinandersetzungen gekommen war, blieben bisher vollkommen unbehelligt. War die Polizei also auf dem rechten Auge blind und hat erst viel zu spät reagiert?
Innenministeriumssprecherin Masarikova entgegnet darauf: "Ich denke, dass man nicht sagen kann, dass die Polizei in den vergangenen Jahren gegenüber den Neonazis oder anderen extremistisch orientierten Gruppierungen nachlässig gewesen wäre. Bereits im Jahr 1995 wurde im Rahmen des Polizeipräsidiums der Tschechischen Republik eine spezialisierte Arbeitsstelle eingerichtet, 1996 wurde diese Spezialisierung auch in den Polizeibehörden der Bezirke eingeführt. Eine Verbesserung der internen Koordinierung erfolgte 1999. Seit dem Jahr 2000 - mit den Erfahrungen vom IWF und Weltbank-Treffen in Prag - wurde eine auf den Kampf mit dem Extremismus spezialisierte Einheit gefördert, die im Rahmen des Kriminalamtes des Polizeipräsidiums der Tschechischen Republik tätig ist."
Zdenìk Zboril von der Prager Karlsuniversität, der wohl bekannteste Extremismusforscher Tschechiens gehört, stellte jedoch gegenüber Radio Prag in Bezug auf Nachlässigkeiten bei der Polizei Folgendes fest:
"Ja, so ist es. Erst vor drei Jahren hat man begonnen dem Extremismus größere Aufmerksamkeit zu widmen. Doch die Tätigkeit der tschechischen Neonazis reicht natürlich bedeutend weiter zurück, teilweise sogar in die Zeit vor der Wende, also vor 1989. Zu einer wahren Explosion im Bereich der rassistisch motivierten Kriminalität ist es aber insbesondere Mitte der 90er Jahre gekommen. Aber nicht nur die Polizei, sondern die Politik im allgemeinen hat auf diese gefährliche Entwicklung zu spät reagiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass z.B. der erste tschechische Extremismus-Bericht erst 1998 präsentiert wurde.
Mit Tschechien vergleichbare Länder wie Polen oder Ungarn hatten damals schon einen wichtigen Vorsprung. Am Mittwoch dieser Woche legte Innenminister Gross der Regierung einen Bericht vor, der die von ihm bereits im April angekündigte harte Welle gegen die Extremisten und insbesondere die Neonazis einläuten sollte. Der Bericht wurde jedoch zwecks Überarbeitung an ihn zurückgegeben. Premier Milos Zeman begründete diesen Schritt damit, dass die Regierung eine weitere Verbesserung der Wirksamkeit der Maßnahmen im Kampf gegen den Extremismus erwarte. Die Maßnahmen, die das Innenministerium geplant hatte, wie
* das Einschleusen von Zivilpolizisten bei Neonazi-Konzerten
* Geheimdienstüberwachung von Extremisten
* und Einreiseverbot für ausländische Neonazis zu faschistischen Veranstaltungen
schienen also auch den Regierungsmitgliedern nicht effektiv genug. Wie sieht der Extremismusexperte Zboril die vorgeschlagenen Maßnahmen - sind sie ausreichend?
"Ich denke, dass allein die repressive Vorgehensweise, die der Bericht des Innenministers vorsieht, keineswegs ausreicht. Denn es handelt sich hier um eine gesellschaftliche Erscheinung, die eine wesentlich breitere Grundlage hat. Sie geht zwar möglicherweise aus einer ähnlichen Frustration hervor, wie zur Zeit der NSDAP in Deutschland, aber die Situation nach dem Fall des Kommunismus und die Verflechtung mit den radikalen Kritikern des Establishments ist eine andere." An den Rassismus als eine gesellschaftliche Erscheinung auf breiterer Grundlage fühlt man sich auch bei den Worten einer jungen Roma aus dem nordböhmischen Most erinnert. Sie sieht sich nicht nur durch schlagende Skins bedroht, sondern ebenso durch die alltägliche Diskriminierung: "Es ist schon vorgekommen, dass ich mit meinem Sohn ins Mc Donald's gehen wollte, aber wir so heftig beschimpft wurden, dass wir es lieber gelassen haben. Deshalb möchte ich nicht mit den Kindern in die Stadt gehen. Im Bus oder im Kino setzen sich die Leute immer von uns weg. Es stimmt also nicht, dass die Roma nur wegen des Geldes aus Tschechien weg wollen. Es ist wegen des Rassismus hier".
Was müsste man also unternehmen, um sowohl die Straftaten mit neonazistischem Hintergrund zu reduzieren als auch das Übel Rassismus an seinen Wurzeln zu packen, wollte ich von Zdenek Zboril wissen?
"Ich glaube, beseitigen oder begrenzen lässt sich dieses Phänomen nur mittels eines komplexen Programms, an dem sich nicht nur das Innenministerium und die Polizei beteiligen sollten, sondern auch andere Staatsorgane, wie das Schulministerium, das Kulturministerium usw. Aber auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Personen des Erziehungssektors. Natürlich darf das nicht nur eine isolierte Aktion sein, sondern diese Institutionen sollten grenzübergreifend zusammenarbeiten. In ein paar Jahren, wenn die Tschechische Republik EU- Mitglied sein wird, ist dies unerlässlich, aber auch jetzt wäre es schon möglich mit den entsprechenden deutschen Bundesbehörden und -ministerien zusammenzuarbeiten. Gleiches gilt auch für Österreich und England. Denn die rassistisch-extremistische und antisemitische Szene dieser Staaten ist miteinander verbunden."
Erfreulich ist, dass sich deutsche und tschechische Beamte der Kriminal- und Fremdenpolizei sowie des Grenzschutzes im Juni in Waidhaus auf eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Neonazismus einigten. Und die Pressesprecherin des Innenministeriums ergänzt:
"Extremismus, Rassismus und Xenophobie werden vom Innenministerium als Erscheinungen begriffen, die die Grenzen des Nationalstaates überschreiten und zu deren Verfolgung deshalb eine internationale Zusammenarbeit notwendig ist. Heute geht es dabei doch vor allem um den Informations- und Kenntnisaustausch und um die Installierung staatenübergreifender polizeilicher Verbindungen. Zum Beispiel hat im Oktober des letzten Jahres ein gemeinsames Britisch-Tschechisches Seminar stattgefunden".
Man scheint also langsam aber sicher auf dem richtigen Weg zu sein. Abschließend habe ich dem Extremismusexperten Zboril eine Frage gestellt, die uns ein Hörer als Reaktion auf einen unserer Tagesechobeiträge zum Thema Rechtsextremismus in Tschechien schickte:
Warum entsteht so etwas in einem Land, das ja furchtbar unter dem Faschismus gelitten hat ? Das fragt man sich nicht nur bei uns, sondern auch in der ehemaligen Sowjetunion, wo sich sogar noch mehr Neonazis und Neofaschisten zeigen als bei uns. Die Ursache dieses Phänomens besteht wohl darin, dass der Neofaschismus eine Möglichkeit eröffnet, sehr radikal, gar aggressiv auf den gegenwärtigen Stand der Dinge zu reagieren: Also auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Neofaschismus ist stark negativ und die Leute, die heute seine Akteure oder Angehörige dieser Bewegung sind, haben keine persönlichen Erfahrungen mit dem Nazismus. Für diese Leute ist er einfach ein historisches Phänomen, denn sie wurden meistens 20, 30 und mehr Jahre nach dem 2. Weltkrieg geboren und haben keine persönliche Beziehung dazu. Sie nutzen diesen historischen Fakt einfach nur zu ihren Zwecken aus. Ich denke diese Leute sind radikale bis hasserfüllte Kritiker der heutigen gesellschaftspolitischen Situation, gegenüber der sie den Neonazismus als eine Art Waffe einsetzen. Wenn es ihn nicht gebe, würden sie sich etwas anderes aussuchen, wie z.B. den christlichen Fundamentalismus. Nehmen sie nur das Beispiel Irland, wo sich die Protestanten und Katholiken gegenseitig bekämpfen. Es ist einfach eine bestimmte Gruppe - sagen wir minimal 5 Prozent der Gesellschaft - denen der Hass des Menschen auf den Menschen zum Axiom ihres Lebens wurde. Damit sie diesen Hass realisieren können, benutzen sie irgendein politisches oder historisches Stereotyp.